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© Mike Wolff

JVA Plötzensee: Fast täglich tönt die Anstaltssirene

Drogen im Brot und Würmer im Essen: Zwei ehemalige Freigänger berichten von den Zuständen in der JVA Plötzensee - und fordern den Widerspruch der Justiz heraus.

Drogenpäckchen, die über die Knastmauern fliegen, Handys, Fluchtversuche… Als im Sommer die Zustände in der Jugendstrafanstalt Plötzensee bekannt wurden, saßen auch Mirko W. (Namen geändert) und Oliver L. im Gefängnis. Allerdings in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee, Haus 5, offener Vollzug. Die beiden ,26 und 27 Jahre alt, verbüßten dort ihre Geldstrafen wegen Diebstahls und Schwarzfahrens. Beide sagen, dass die Zustände in den Haftanstalten katastrophal sind. Dem Tagesspiegel erzählten sie, was sie dort erlebt haben.

Fluchtversuche und Wachpersonal. Mirko W. hat Tagebuch geführt. In der Zeit vom 3. September bis zum 10. Oktober hat er knapp 30 Fluchten oder Fluchtversuche notiert. Meist sei dann der Anstaltsalarm ausgelöst worden. „Es ertönte dreimal Tuten. Die Wärter mussten alle Gefangenen nachzählen. Da wussten wir, dass mal wieder welche abgehauen sind.“ Am 10. September seien beispielsweise vier Häftlinge über den Zaun verschwunden. Mirko W. und Oliver L. sagen: Für die rund 80 Häftlinge im Haus 5 seien nur zwei Justizbeamte zuständig gewesen. Erst im Oktober – also nach dem öffentlich gewordenen Drogenschmuggel – sei dann das Personal auf vier Beamte aufgestockt worden.

Das sagt die Justiz: Eine Sprecherin bestätigt, dass am 10. September vier Gefangene entwichen sind. Im Zeitraum 3. September bis 10. Oktober habe es insgesamt 12 Entweichungen gegeben. Die Sprecherin betont aber, dass es sich um den offenen Vollzug handelt. Weil hier lediglich „Ersatzfreiheitsstrafler“ untergebracht sind, die eine nicht bezahlte Geldstrafe absitzen, sei der offene Vollzug naturgemäß weniger gesichert. Zur Anzahl der Justizbeamten äußert sich die Behörde nicht.

Drogen und Handys. Schon am ersten Tag im Knast habe ihn ein Mithäftling angesprochen, sagt Mirko W. Innerhalb eines Tages könne man ihm „50 Gramm Gras besorgen“. Auch Oliver L. gibt an, dass nahezu alle Drogen im Gefängnis im Umlauf seien: Speed, Cannabis, Heroin… Die Drogen gelangen auf mehreren Wegen in den Knast: Einer führte über die Zäune, „da wurde dann ein mit Drogen präparierter Tennisball zur richtigen Zeit rübergeworfen“. Andere Lieferungen seien über die Bäckerei aus der JVA Tegel nach Plötzensee gelangt. Diese beliefere alle Berliner Gefängnisse mit Brot. Es werde von den Häftlingen, die als „Brotschneider“ im Küchendienst arbeiten in Empfang genommen. Sie verteilten dann die darin befindlichen Drogen an die entsprechenden „Abnehmer“ , sagen die Ex-Häftlinge. Auf den Fluren verbreite sich dann die Neuigkeit: „Schon gehört? Neues Brot ist angekommen.“ Auch das Telefonieren mit Handys, das normalerweise verboten ist, gehöre in Plötzensee zum Alltag. „Genaue Taschenkontrollen hat es nicht bei jedem gegeben, viele hatten ein Handy dabei“, sagt Oliver L. Und Mirko W. setzt hinzu: „Der Kontakt nach draußen war jederzeit möglich.“

Die Justiz erwidert: „Wir haben keinerlei Hinweise darauf, dass sich Drogen im Brot befinden“, sagt die Sprecherin. Sie bezweifele entsprechende Berichte. Es sei nicht nachvollziehbar, warum Drogen ausgerechnet aus einer geschlossenen Haftanstalt in eine offene geschmuggelt werden sollten. Richtig sei, dass sämtliche Berliner Gefängnisse aus der Bäckerei der JVA Tegel mit Brot beliefert werden.

Medizinische Versorgung und Hygiene. Alle neu eingetroffenen Gefangenen müssen zu Beginn ihrer Haft vom Arzt untersucht werden. Er soll laut Justiz den „allgemeinen medizinischen Status des Gefangenen erheben“. Die Ex-Häftlinge berichten, dass einige Gefangenen erst „Tage später“ zur Eingangsuntersuchung geschickt worden seien. So seien an Tuberkulose (TBC) Erkrankte zunächst mit anderen Insassen zusammengelegt worden. Mirko W. und Oliver L. behaupten, dass ein Aids infizierter Insasse und ein Hepatitis C erkrankter Mithäftling in der Essensausgabe gearbeitet hätten. Die Mahlzeiten seien teilweise ungenießbar gewesen. Mirko W. berichtet von einem Fall am 11. Oktober: Es gab Grünkohl mit Kartoffeln und Jagdwurst. „Im Kohl fand ich plötzlich die Würmer oder Maden, so genau konnte ich das nicht auseinander halten.“ Er habe sich daraufhin beschwert und sogar einen Kurzantrag mit seiner Beschwerde ausgefüllt. „Aber seitdem habe ich nie wieder etwas von denen gehört“, sagt W.

Die Antwort der Justiz: „Bei der Anstalt ist keine Beschwerde eingegangen.“ Zudem würden bei jedem Essen zuvor der Anstaltsleiter und der Arzt eine Kostprobe nehmen, bevor es an die Insassen verteilt werde. Was die Eingangsuntersuchung betrifft, so sei festgelegt, dass sie „alsbald“ stattfinden müsse. Die Sprecherin erklärt, dass sie im Einzelfall auch mal erst „nach ein oder zwei Tagen“ erfolgen kann. Dass ein aidskranker Insasse oder jemand, der unter Hepatitis C leidet, in der Essenausgabe arbeitet, sei nicht verboten. Der Paragraph 43 des Infektionsschutzgesetzes regelt, wer in Restaurants, Kantinen und im Gefängnis Umgang mit Lebensmitteln haben darf. „Es gibt keinen Ausschlussgrund für Aidskranke, HIV-Infizierte oder Leute mit Hepatitis C“, sagt sie. Das Prinzip der Gleichbehandlung müsse beachtet werden.

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