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Spätestens am U-Bahnhof Mehringdamm verlor die Polizei den Überblick.

© dpa

Kreuzberg: Polizei übt Selbstkritik nach Nazi-Krawall

Nach dem Neonazi-Krawall in Kreuzberg sind in Polizeikreisen selbstkritische Stimmen zu hören. Vor dem Aufmarsch vom Sonnabend sei offenbar die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremisten unterschätzt worden.

Von Frank Jansen

Der „Kräfteansatz“ der Polizei sei vor allem im U-Bahnhof Mehringdamm zu gering gewesen, „und dann wurden die Beamten von den Neonazis überrannt“. Die enorme Gewaltbereitschaft in Teilen der Szene „muss zu neuem Nachdenken führen“. Die Zeiten, „in denen die Polizei Rechtsextremisten als eklig, aber friedlich ansieht, sind vorbei“. Der Staat könne sich keinen Autoritätsverlust leisten. Auch Innensenator Ehrhart Körting (SPD) sagte, dass bei dem Einsatz nicht alles optimal gelaufen sei.

Etwa 110 Neonazis hatten, wie berichtet, am Mehringdamm Linke, Migranten und Polizisten attackiert. Die Rechtsextremisten wollten in Richtung Tempelhof marschieren, doch 500 Gegendemonstranten blockierten die Route. Es flogen Tomaten, zumindest die Neonazis warfen auch Böller. Die Polizei wollte die Rechtsextremisten durch den U-Bahnhof Mehringdamm aus dem blockierten Areal herausführen. Doch die Neonazis rannten aus dem U-Bahnhof und schlugen auf der Straße um sich. Linke wurden verletzt.

Die Polizei bekam die Lage erst nach einigen Minuten in den Griff. Bei dem Einsatz erlitten 36 Beamte Verletzungen, einer liegt mit einem Knalltrauma im Krankenhaus. Die Polizei nahm 40 Neonazis und acht Gegendemonstranten vorläufig fest, es wurden 29 Verfahren eingeleitet. Eines richtet sich gegen die Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak (Linke), wegen Verdachts auf versuchte Gefangenenbefreiung.

Die Polizei steht auch wegen der Geheimhaltung der Demo-Route in der Kritik. Polizeikreise betonten, schon bei früheren Aufmärschen sei die Strecke nicht mitgeteilt worden, um Zusammenstöße mit Nazigegnern zu vermeiden. Innensenator Körting sagte aber in der Abendschau, dass man die Bevölkerung künftig einen Tag vorher informieren werde.

Der Krawall vom Sonnabend belegt erneut die Aggressivität der „Autonomen Nationalisten“ (AN), vor der Verfassungsschützer bundesweit schon lange warnen. Die AN kopieren den Habitus der linken Autonomen und gelten als treibende Kraft in der „Ausländer-raus-Kampagne“, die Berliner Neonazis seit Dezember betreiben. Der Auftritt in Kreuzberg sollte nun einer der Höhepunkte sein. Es sei zu erwarten, dass die Kampagne weitergeführt wird, sagte am Montag Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid. Außerdem zeigten die oft kleinen und kurzen Aktionen, dass sich die AN „professionalisieren“. Laut Schmid haben die AN mit der rassistischen Propaganda ihr Themenspektrum erweitert, das früher auf den Kampf gegen Linke fixiert war.

In der Kampagne ist auch vom angeblichen „Volkstod“ die Rede. Diese Vokabel strapazieren auch Neonazis in Südbrandenburg, die bizarre Aktionsformen präsentieren. Am 1.Mai marschierten auch im sächsischen Bautzen 150 Rechtsextremisten, darunter Berliner, mit weißen Totenmasken ohne Anmeldung auf. Die überraschte Polizei konnte nur von 30 Neonazis die Personalien feststellen. Den Mummenschanz forciert vor allem die Gruppierung „Spreelichter“, deren Mitglieder als Sensenmänner verkleidet bei einem Karnevalsumzug vor Spreewald-Touristen und auf einer Autobahnbrücke posierten. Verfassungsschutzkreise warnen, die etwa 150 Spreelichter „driften ab in sektenhaften Wahn“.

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