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© Kai-Uwe Heinrich

Kreuzberger Naunynkiez: Die Jugendgangs von der Straße holen

Junge Kriminelle terrorisieren Gleichaltrige im Kreuzberger Naunynkiez. Der Bezirk will das Problem auch mit dem Projekt "Kiezläufer" bekämpfen, für das junge Menschen mit krimineller Vergangenheit als Streetworker engagiert werden.

Die Frau ist unsicher. Sie fragt sich, ob sie die frei gewordene Wohnung in der Naunynstraße beziehen soll – als Mutter zweier jugendlicher Töchter. Hier, mitten im Kreuzberger Problemkiez. Von dem es heißt, dass hier kriminelle Jungs dealen, rauben und hehlen. Ist das nicht zu gefährlich für ihre Mädchen? Spontan spricht sie Eko, 24 Jahre, an. Er steht vor dem Jugendtreff Naunynritze und sieht so aus, als ob er sich auskennt. Sie will einen Einblick. Volltreffer. Eko ist eine Szenegröße im Kiez. Jeder kennt ihn, und er kennt jeden.

„Hier ist nur Dreck. Nur Drogen. Deine Töchter haben hier nichts verloren“, erzählt er der Mutter. Eko, kurz geschorenes Haar und gepflegter Vollbart, hat einen deutschen Pass und türkische Eltern. Seinen vollen Namen nennt er nicht. Schließlich war er selbst mal kriminell, sagt er. Das war vor mehr als zehn Jahren, als er Mitglied der berüchtigten Jugendgang „36 Boys“ war. Seine Hauptbeschäftigung bestand darin, „Opfer“ in einen Hauseingang zu zerren und ihnen mit Gewalt die Wertsachen abzunehmen. Zwar sagt die Polizei, dass es solche Gangs wie damals, heute nicht mehr gibt. Doch kriminelle Jugendliche sind hier weiterhin ein Problem. Sie treffen sich in loser Zusammensetzung, um zu „dealen, oder zu kiffen“, sagt ein Ermittler. Und zu Schlägereien und Raubüberfällen müssten die Beamten immer wieder ausrücken. Eko scheint immer noch mittendrin zu sein. Erst neulich habe es Stress mit Jungs aus Spandau gegeben. Während Eko davon erzählt, fallen die Worte „Missgeburten“ und „Hurensöhne“ häufiger. Am Ende sei der Streit dann aber noch glimpflich ausgegangen.

Seit langem versuchen Polizei und Quartiersmanagement (QM), das Problem im Kiez in den Griff zu bekommen. Eines der Angebote für die Jugendlichen ist der Freizeittreff „Naunynritze“. Doch nun gibt es Ärger. Ein Konkurrenzkampf um die jungen Bewohner im Kiez scheint sich anzubahnen. Denn seit August gibt es ein neues Projekt. „Kiezläufer“ heißt es. Drei junge Erwachsene mit krimineller Vergangenheit sollen als Streetworker die Jugendlichen vom Dealen, Kiffen und Rauben wegbringen. Auf ihre Art. Mit ihren Worten. Die mitreden können, weil sie selbst mal auf der dunklen Seite standen.

Eko findet die Kiezläufer, die er „von früher kennt“, klasse. Die kämen wenigstens auf die Jugendlichen zu, „behandeln uns mit Respekt“, sagt er. Offenbar kommen die alt eingesessenen Sozialarbeiter gar nicht mehr an die Jugendlichen heran. So erzählt Eko, dass er sich ärgert über das, was die Sozialarbeiter der „Naunynritze“ den Jugendlichen anbieten: „Was sollen die diesen schwulen brasilianischen Tanz Capoeira lernen?“, fragt er. „Alter, Breakdance wollen die tanzen.“

Ein Sozialarbeiter, der lieber inkognito bleiben will, regt sich hingegen über das neue Projekt auf. Er findet, die Arbeit der Sozialarbeiter werde durch das neue Projekt zunichte gemacht. Die „Kiezläufer“ seien die Falschen: Ohne Ausbildung. Außerdem will er mitbekommen haben, dass sie die Jugendlichen unter Druck setzen und ihnen eintrichtern, sie sollten nicht mehr die Angebote in der Naunynritze besuchen. Die Kiezläufer werden sich am Dienstag im QM-Haus in der Dresdener Straße offiziell vorstellen. Vorher wollen sie sich zu den Anfeindungen nicht äußern.

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