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Lange Haftzeiten: Gefängnisse werden zu Altenheimen

Immer mehr Häftlinge sind Pflegefälle. Nun starb ein Mann nach 34 Haftjahren Trotz mehrerer Herzinfarkte und Schlaganfälle wurde er nicht begnadigt.

Wenn es hinter Tegeler Gittern hieß, dass Gefangene bis zum Tode hier schmoren müssen, fiel immer der Name von Wolfgang Rybinski. Seit vielen Jahren war er krank, hatte drei Herzinfarkte und zwei Schlaganfälle. Einmal musste er mit dem Rettungshubschrauber in die Klinik geflogen werden. Entlassen wurde er dennoch nicht. Nun ist er 70-jährig gestorben, erst vor wenigen Wochen hatte die Justiz ihn in ein Sterbehospiz überführt. Da die Staatsanwaltschaft ihn trotz des nahenden Todes nicht begnadigen wollte, erhielt er lediglich eine „Strafunterbrechung“, die bis September befristet war.

Rybinski hat ziemlich genau die Hälfte seines Lebens in Tegel verbracht. Mit 34 Jahren wurde er wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, 1979 wegen Vergewaltigung. Schlagzeilen machte er 1986. Er ermordete und vergewaltigte eine 87-Jährige in deren Schmargendorfer Wohnung. Vier Tage später wurde er festgenommen, die Kripo hatte nicht viel Arbeit mit den Ermittlungen. Denn Rybinski hatte die Dame als Altenpfleger betreut. 1987 wurde er zu Lebenslang verurteilt. Mehrmals hatte er Anträge auf Freilassung gestellt, nachdem er 15 Jahre – das Minimum bei Lebenslang – abgesessen hatte. Die Justiz hatte sie alle abgelehnt.

In der Justizvollzugsanstalt Tegel hat sich die Zahl der 60-Jährigen laut Justizverwaltung in den letzten sechs Jahren vervierfacht: Waren im Jahr 2004 nur 14 Häftlinge älter als 60, sind es in diesem Jahr 60. Zurzeit ist der älteste Häftling 77. „Wir sehen, dass wir immer mehr ältere Gefangene haben und reagieren darauf“, sagt Bernhard Schodrowski von der Senatsverwaltung für Justiz. Lars Hoffmann von der Justizvollzugsanstalt Tegel berichtet von einer Ergotherapeutin, die Programme für ältere Inhaftierte anbiete. Auch „Gehirnjogging“ sei in Planung. „Wir sind bemüht, vergleichbare Angebote wie draußen zu machen“, sagt er. Nicht sinnvoll nennt Hoffmann einen eigenen Seniorentrakt – der Austausch von Jung und Alt sei sinnvoll. Auch suche man Senioren-Einrichtungen, die bereit und in der Lage sind, Entlassene aufzunehmen. Das sei nicht einfach, weil dieselben Vorbehalte wie bei der Entlassung von Sicherheitsverwahrten bestünden.

Der Altersdurchschnitt in Haftanstalten steigt allerdings nicht so wie in der Bevölkerung. Zwar gibt es lebenslange Freiheitsstrafen, aber nur für Mord und besonders schwere Fälle des Totschlags. Und „in der Regel wird nach 15 Jahren geprüft, ob der Verurteilte zur Bewährung freigelassen werden kann“, sagt Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Nur wenn Gerichte eine besonders schwere Schuld feststellen, liege der Zeitpunkt einige Jahre später. Außerdem dürfe das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit einer Entlassung nicht entgegenstehen. Sogar bei den 37 Straftätern, die zurzeit zu „Sicherheitsverwahrung“ verurteilt sind, weil ein Rückfall zu befürchten war, wird alle zwei Jahre eine Entlassung geprüft. So gesehen sitzen Häftlinge nur in Ausnahmefällen ein Leben lang hinter Gittern.

Der katholische Seelsorger in Tegel Axel Wiesbrock sagt: „In Würde alt zu werden ist ein bedeutsamer Anspruch“. Die vorzeitige Entlassung von Häftlingen müsse aber abgewogen werden: mit der Verurteilung, „die ihre Gültigkeit hat“, und einer „Angstdebatte“, die bei vorzeitigen Entlassungen oft aufbrande. Anhand der konkreten Situation des Einzelnen könne aber erwogen werden, ob die Kriterien für die Haftunterbrechung bei Gebrechlichkeit geweitet werden können.

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