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Linke Gewalt: Auf Krawall aus

Brennende Autos fast jede Nacht, Massenkrawall am 1. Mai – die Gewalt radikaler Linker und ihrer Nachahmer macht Berlin zu schaffen. Berlin leidet einer Studie zufolge besonders stark unter linker Gewalt. Wie brisant ist die Lage?

Von Frank Jansen

Brennende Autos fast jede Nacht, Massenkrawall am 1. Mai, Steinewürfe auf Nazimärsche und die sie schützenden Polizisten – die Gewalt radikaler Linker und ihrer Nachahmer macht Berlin zu schaffen. Die Situation erinnert an die schweren Auseinandersetzungen Anfang der achtziger Jahre, als im Westteil der Stadt junge Linke, aber auch unpolitische Sturm-und-Drang-Rebellen mehr als 150 Häuser besetzten und der Polizei reihenweise Straßenschlachten lieferten. Der Konflikt trug mit dazu bei, dass die SPD 1981 das Amt des Regierenden Bürgermeisters nach 24 Jahren an den CDU-Politiker Richard von Weizsäcker verlor.

So schlimm sieht es für den rot-roten Senat noch nicht aus, doch die Lage ist alarmierend genug, dass der Berliner Verfassungsschutz nun eine ausführliche Analyse zur linken Gewalt erstellt hat. Immerhin hat die Polizei dieses Jahr bereits 128 links motivierte Brandanschläge auf insgesamt 190 Fahrzeuge registriert, dabei wurden noch weitere 66 beschädigt. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid stellten die Studie am Mittwoch im Deutschen Historischen Museum vor. Es gehe nicht darum, linke Gewalt zum Dämon zu erhöhen, sagte Körting, aber man dürfe sie auch nicht bagatellisieren.

Auf der Basis von Polizeidaten wurden 835 Delikte linker Gewalttäter in den Jahren 2003 bis 2008 ausgewertet. Das Phänomen erscheint da dreidimensional: 371 linke Gewalttaten hatten laut Studie einen „Demonstrationsbezug“, es gab 268 Brandstiftungen, weitere 232 Delikte richteten sich gegen tatsächliche oder vermutete Rechtsextremisten. Zwei Drittel der Taten wurden allerdings in nur vier der 92 Berliner Ortsteile verübt: Friedrichshain (155 Taten), Kreuzberg und Mitte (je 146 Delikte) sowie Prenzlauer Berg (100 Taten).

Vor allem bei Brandstiftungen und Angriffen auf Rechtsextremisten spiele „Revierverhalten“ eine Rolle, heißt es in der Analyse. Demnach agieren viele linke Täter gewaltsam in der Nähe der Wohnung. Das betrifft vor allem Friedrichshain, Kreuzberg und Prenzlauer Berg. Dort befinden sich auch die meisten der den Verfassungsschützern bekannten Treff- und Wohnorte „aktionsorientierter Linksextremisten“. Die Experten sprechen von „verdichteten Räumen“. In den Ortsteilen selbst stellten die Verfassungsschützer nochmal Schwerpunkte fest.

In Friedrichshain fallen als Tat- und Wohnort linker Gewalttäter vor allem die Frankfurter Allee und Umgebung auf. In Kreuzberg ist es das Gebiet zwischen Kottbusser Tor und Spree. Das ist der traditionell unruhige Kiez „SO 36“, wie er von vielen Bewohnern noch heute nach einer alten Postleitzahl genannt wird. In Prenzlauer Berg sind vor allem die Straßen um die Schönhauser Allee betroffen.

Bei Demonstrationen hingegen ändert sich das Bild. Revierverhalten ist hier weniger von Bedeutung. Vielmehr werde jede vierte linke Gewalttat von angereisten „Krawalltouristen“ begangen, steht in der Langzeitstudie. Außerdem ist diesmal der Ortsteil Mitte stärker betroffen – hier finden viele Demonstrationen statt.

Die Polizei ermittelte nach den insgesamt 835 Gewaltdelikten 1360 Täter und Verdächtige. Diese Zahl ist so hoch, weil viele linke Gewalttaten von Gruppen oder aus Gruppen heraus verübt werden. Überdurchschnittlich viele Täter und Tatverdächtige waren arbeitslos: 43 Prozent. Die Berliner Erwerbslosenquote liegt aktuell bei 13,6 Prozent.

Linke Gewalttäter sind, wie zu erwarten, ziemlich jung (im Schnitt 23 Jahre). Das Bildungsniveau ist im Vergleich zu rechten Tätern deutlich höher. Ein Viertel der linken hat Abitur, bei den rechten sind es drei bis fünf Prozent.

Warum Berlin im Vergleich zu anderen Bundesländern so stark von linker Gewalt getroffen wird, bleibt offen. Polizeipräsident Dieter Glietsch nannte beim Expertengespräch zur Vorstellung der Studie unter anderem die größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich. Doch diese Entwicklung gibt es woanders auch, ohne dass Nacht für Nacht Autos brennen und am 1. Mai stundenlang Steine, Flaschen und Bierdosen fliegen. Ähnlich brisant ist die Situation nur in Hamburg. In diesem Jahr seien bereits 150 Fahrzeuge angezündet worden, sagte der Leiter des Verfassungsschutzes der Hansestadt, Heino Vahldieck. Doch davon ließen sich höchstens 20 Brandanschläge als politisch motiviert bezeichnen.

Auch wenn die Ursachenforschung in Berlin anhält, forderten Senator Körting und Verfassungsschutzchefin Schmid am Mittwoch eine rasche Antwort der Gesellschaft auf die ausufernde linke Gewalt. Es gebe glücklicherweise einen Konsens, dass rechte Gewalt nicht hinzunehmen sei, sagte Körting. „Aber haben wir einen ähnlichen Konsens in der Ausgrenzung linker Gewalt? Mir scheint, dass wir daran arbeiten müssen.“

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