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Messerattacke: "Plötzlich spürte ich, dass etwas im Kopf steckt"

Tom H. und seine Freundin kamen gerade aus einem Club. Sie waren heiter, kicherten. Dann stieß ihm der Täter auf der Oberbaumbrücke das Messer in den Kopf. Tom überlebte nur knapp. Beim Prozess gegen den jungen Angeklagten sprach er über die Folgen des Angriffs.

Ein Schatten von hinten, dann ein extrem harter Schlag. Tom H. sah noch, wie ein Mann weglief. Und er spürte, dass etwas in seinem Kopf steckte. Er zog den Gegenstand heraus. „Als ich das Messer sah, ist ein Schalter umgekippt.“ Erst da realisierte der 31-Jährige die Gefahr. Ein junger Mann hatte ihm auf der Oberbaumbrücke das Messer sieben Zentimeter tief in den Kopf gestoßen. Weil er sich „beleidigt und in seiner Ehre verletzt fühlte“, sagte der Messerstecher später. Gestern saß Tom H. zum ersten Mal dem Angreifer im Gerichtssaal gegenüber.

Ferhat G., der 20-jährige Angeklagte, hielt den Kopf gesenkt, als Tom H. über die lebensgefährlichen Folgen des Angriffs sprach. Knapp eine Woche lag er im Koma. Als er erwachte, konnte er sich kaum bewegen und nicht sprechen. Nur langsam kamen Worte und Erinnerungen zurück. Wochenlang wurde er in einer Reha-Klinik behandelt. Alle Ärzte hätten einen „extrem guten Job gemacht“, sagt er. „Es war knapp am Rande.“ Bislang sei der Heilungsprozess trotz der erheblichen Einschränkungen im Arbeitsleben „enorm glücklich“, sagte der PR-Berater.

An jenem Morgen im März kamen Tom H. und die 34-jährige Grit A. aus einem Club. Sie hatten einen Geburtstag gefeiert, waren heiter, kicherten. Als die Frau hüpfte, rempelte sie versehentlich Ferhat G. an. Er war mit einer Brötchentüte auf dem Weg zu seiner Schule in Lichtenberg. „Ich entschuldigte mich bei dem Mann“, sagte Grit A. im Prozess. Ferhat G. habe etwas Abfälliges zu ihr gesagt. Sie und H. hätten ihn aber nicht weiter beachtet, seien weitergegangen.

An der roten Fußgängerampel sahen sich alle drei wieder. Es soll zu einer Rempelei gekommen sein. „Plötzlich steckte etwas Schwarzes in Toms Kopf“, beschrieb die Zeugin. Tom H. sagte, er könne sich nur an Sequenzen erinnern. Er habe das, was zuvor geschah, nicht als bedrohlich abgespeichert. Und hätte er ein Messer gesehen, „dann sieht man doch zu, dass man wegkommt“.

Ferhat G. muss sich seit zwei Wochen wegen versuchten Totschlags vor einer Jugendstrafkammer verantworten. Der kräftige Mann ließ über seine Anwältin erklären, dass er zutiefst bedauere, Tom H. durch sein „unbedachtes Verhalten so schwer verletzt zu haben“. Er habe ihn weder töten noch verletzen wollen. Nicht er habe angefangen. „Die Frau hat mich zuerst in den Hintern gekniffen, er grinste mich ständig an.“ Durch die Blicke habe er sich beleidigt gefühlt. Dann sei der Mann auf ihn zugekommen, um ihm „eine reinzuhauen“. Zwei Schläge habe er abbekommen. „Ich fühlte mich angegriffen und in meiner Ehre verletzt.“

Auch einer von Ferhats Lehrern hat im Prozess ausgesagt. Er beschrieb den jungen Mann als oft laut, aggressiv und dominant. Nur drei Tage vor der Tat hatten sie in der Schule über Notwehr diskutiert. „Wenn ich angegriffen werde, mache ich zack, zack und steche in den Kopf“, sagte Ferhat G. da. Vor Gericht beteuerte der in Berlin geborene Türke, das Messer nur aus Furcht vor Neonazis zu tragen. Auf Grit A. machte er einen anderen Eindruck. „Wie ein Halbstarker kam er an und ging, als hätte er Rasierklingen unter den Achseln.“ Nach der Tat sei Ferhat G. ein ganz anderer gewesen. „Wie ein kleiner dicker Junge stand er da.“

Rein äußerlich ist Tom H. nicht mehr anzusehen, was an jenem Morgen zwischen Kreuzberg und Friedrichshain geschah. Ein sportlicher Typ. Arbeiten aber kann Tom H. nicht mehr wie früher. Er klagt über Schwierigkeiten mit der Konzentration, musste neu Englisch lernen. Früher sei er in seiner Freizeit viel Rad gefahren. Doch seine Sportversuche musste er wieder abbrechen, sagt Tom H. im Zeugenstand. „Ich höre dann immer so ein Knacken im Kopf.“ Der Prozess wird Dienstag fortgesetzt.

Kerstin Gehrke

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