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Insgesamt 100 Schilder stehen im Wald.

© Johannes Zurl

Update

„Mit Zangen und Brecheisen abgerissen“: NS-Opferdenkmal beschmiert und beschädigt

Mit 100 Spiegeln wird am Murellenberg in Berlin-Westend an Opfer der NS-Militärjustiz erinnert. Das Denkmal wurde jetzt attackiert. Anwohner sind entsetzt.

Am Morgen danach ist der Unmut groß. Unbekannte haben das Verkehrsspiegel-Denkmal am Murellenberg in Berlin-Westend beschädigt – jetzt ermittelt der Staatsschutz.

Das Denkmal ist stadtweit bekannt und sehr einprägsam, weil ungewöhnlich: Denn es besteht aus mehr als 100 Verkehrsspiegeln, die im Wald hinter der Waldbühne stehen und an die Ermordeten der NS-Militärjustiz erinnern. Der Betrachter sieht darin auch sich selbst. Und genau diese Spiegel waren jetzt das Ziel von Unbekannten.

„Die Plaketten sind fast vollständig gewaltsam mit Zangen oder Brecheisen abgerissen, und, wo dies nicht erreicht worden ist, zerkratzt oder mit Hakenkreuzen beschmiert worden“, beschreibt Uwe Otzen die Beschädigung, die er nach eigenen Angaben am Dienstag gegen 10 Uhr bei einem Spaziergang in der Murellenschlucht entdeckt hatte.

Die Polizei hat den Vandalismus am Morgen danach bestätigt. Die Spiegel seien zerkratzt und teilweise mit Hakenkreuzen besprüht worden, teilte die Polizei am Mittwochmorgen mit. Ein Spaziergänger habe die Beschädigungen am Dienstagmittag gegen 13 Uhr bemerkt.

Nach Veröffentlichung dieses Textes meldeten sich weitere Leser. So gab ein Bürger am Donnerstag an, auf die Schäden bereits Ende November aufmerksam geworden zu sein. "Ich habe der Senatsverwaltung am 29.11 eine Mail mit den Fotos geschickt - ohne Antwort." Der Polizei wurde der Fall aber offenbar nicht bekannt.

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Die Nachricht machte seit der Nacht zu Mittwoch schnell die Runde im bürgerlichen Berliner Westen, denn gleich nebenan existiert die Siedlung Ruhleben. Die befindet sich etwas versteckt zwischen Olympiastadion, Wald und dem U-Bahnhof Ruhleben, hart an der Bezirksgrenze zu Berlin-Spandau.

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Die 400 Haushalte dort sind gut vernetzt und organisiert im umtriebigen Verein "IG Ruhleben". 2022 steht das 100-Jährige Bestehen dieses Vereins an, Vorsitzender ist Tagesspiegel-Leser Johannes Zurl.

"Ich bin gleich in den Wald gegangen", erzählen Anwohner

"Auch ich bin gleich in den Wald gegangen, um mir die Schäden anzuschauen", sagte Zurl am Morgen dem Tagesspiegel. Erste Erleichterung: Die 100 großen Verkehrsspiegel selbst sind offenbar nicht beschädigt - dafür hängen sie vielleicht zu hoch.

"Die Spiegel sind zum Glück intakt"

"Die Spiegel sind zum Glück intakt. Aber es wurden die Plaketten, die das Denkmal erklären, abgerissen oder abgebrochen. Andere Schilder wurden mit einem Schraubenzieher oder ähnlichem Werkzeug zerkratzt. Die Schrift ist somit nicht mehr lesbar", berichtete Zurl und schickte dem Tagesspiegel auch Fotos, die wir hier zeigen.

Die Plaketten hingen an den Stangen - sie wurden abgerissen oder zerkratzt. Dahinter die Waldbühne.
Die Plaketten hingen an den Stangen - sie wurden abgerissen oder zerkratzt. Dahinter die Waldbühne.

© Johannes Zurl

Auch Schmiererei haben die Nachbarn entdeckt und gemeldet. "Es wurden kleine Hakenkreuze mit Edding auf die Schilder geschmiert." Wo die abgerissenen oder abgebrochenen Info-Schilder sind, ist nicht ganz klar. Sie können auch unter dem Laub liegen.

Der oder die Täter müssen Schraubenzieher oder ähnliches Werkzeug benutzt haben, um die Plaketten zu zerstören.
Der oder die Täter müssen Schraubenzieher oder ähnliches Werkzeug benutzt haben, um die Plaketten zu zerstören.

© Johannes Zurl

Anwohner hatten am Vortag eine dieser abgebrochenen Plakette am Boden entdeckt, aufgehoben und der Polizei übergeben. Andere Anwohner berichteten, dass zumindest Schmierereien schon einmal dort entdeckt wurden, diese aber schnell entfernt worden waren.

Das Denkmal aus 106 Spiegel steht seit 2002 im Wald

Das Denkmal der Künstlerin Patricia Pisani wurde 2002 eingeweiht umfasst laut Bezirksamt insgesamt 106 Verkehrsspiegel, von denen auf 16 Spiegeln Texte eingraviert sind, die darüber informieren, dass während der NS-Zeit am Hang des Murellenbergs Wehrdienst- und Befehlsverweigerer und Deserteure erschossen wurden.

230 Erschossene

Mehr als 230 Getötete sind inzwischen namentlich bekannt. Die Betroffenen wurden in der Mehrheit nach Urteilen des Reichskriegsgerichtes standrechtlich erschossen, heißt es auf einer Informationsseite des Bezirksamtes. Viele von ihnen seien im Spandauer Fort Hahneberg beerdigt worden.

Die Spiegel stehen von der Glockenturmstraße am Olympiastadion entlang des Waldweges bis in der Nähe des Erschießungsortes hinter der Waldbühne. Der genaue Ort der Erschießungen ist laut Bezirksamt nicht bekannt.

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