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Neue Stufe der Gewalt: Anschlag auf Polizisten: Ein Sprengsatz und die Folgen

Der Sprengstoffanschlag auf Polizisten erschreckt nicht nur Berlin. Die Bilder künden von der nächsten Stufe der Eskalation linksextremer Gewalt. Ist die Grenze zum Terror überschritten?

Von Frank Jansen

Im Internet, beim Videoportal „Youtube“, sind die verstörenden Bilder aus Berlin zu sehen. Die Demonstranten stehen dicht an dicht, in der Ferne sind Polizisten zu erkennen, plötzlich steigt weißlicher Rauch auf. Es knallt gewaltig, ein Blitz zuckt hoch, der Rauch breitet sich aus, es folgt noch ein Knall und noch einer. Die Menge weicht zurück, es wird nur verhalten gejohlt, die Detonation klingt offenbar auch in den Ohren von Berufsautonomen stärker als das übliche Krachen von Silvesterböllern bei Auftritten des schwarzen Blocks. Behelmte Polizisten dringen vor, vom Lautsprecherwagen der Demonstranten schallt das Tremolo einer männlichen Stimme. Sie agitiert gegen die Polizei, die Demonstranten rufen den Beamten „haut ab, haut ab“ zu. Dass drei Polizisten durch die Detonation schwere Verletzungen erlitten und neun weitere leichte, sieht man in dem Video nicht. Doch die Bilder künden von der nächsten Stufe der Eskalation linksextremer Gewalt, gezündet am vergangenen Sonnabend in der Torstraße in Mitte.

Wurde die Polizei überrascht?

Einen solchen Angriff mit Sprengstoff auf die Polizei während einer Demonstration, verbunden auch mit dem Risiko tödlicher Verletzungen bei Demonstranten selbst, gab es vermutlich seit der Wiedervereinigung nicht. Einen bombenähnlichen Gegenstand, offenbar eine Ladung Polenböller in einem Behälter, hatte die Polizei nicht erwartet. Und auch sonst kaum jemand. Die Bilder der Detonation erinnern an die bürgerkriegsartigen Krawalle in Athen. In Deutschland hingegen flogen bisher „nur“ Steine, Flaschen, Holzlatten, Silvesterkracher, in Extremfällen Brandsätze oder Gehwegplatten. Linksextreme Gewalt, nicht nur gegen die Polizei, eskaliert allerdings schon seit Jahren, gerade auch in Berlin. Außerdem ist der Einsatz der üblichen Wurfgeschosse ebenfalls lebensgefährlich.

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Am 1. Mai 2009 wurde in Kreuzberg eine junge Frau von brennendem Kraftstoff getroffen, der aus einer geschleuderten Brandflasche heraustropfte. Das Opfer erlitt schwere Verbrennungen am Rücken und überlebte nur, weil Passanten die Flammen rasch erstickten. So erscheint im Rückblick der Angriff vom Sonnabend während der Demonstration mit dem Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise“ nicht ganz so überraschend. Andererseits haben Linksextremisten bislang darauf verzichtet, bei Demonstrationen mit Bomben oder Schusswaffen zu agieren. Nun scheint jedoch alles möglich.

Wie kam es zu dieser Eskalation?

Das gewaltbereite Spektrum der linken Szene, vor allem die Autonomen, waren nach der Wiedervereinigung in die Defensive geraten. Die Hochphase Anfang der achtziger Jahre, vor allem die Hausbesetzerkrawalle in Berlin, war lange vorbei. Außerdem hatte der Zusammenbruch des Ostblocks den Kommunismus auch für viele Linke ideell ruiniert. Und der Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) wurde schwächer, 1998 löste sie sich auf. Es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis die an Militanz orientierte Szene wieder die Kraft fand, über die Rituale am 1. Mai in Berlin und Hamburg hinaus massive Gewalt zu inszenieren. Der Umschwung hat einen Namen: Heiligendamm.

Den breiten Protest gegen den G-8-Gipfel in dem Badeort an der Ostsee nutzten linksextreme Gewalttäter, um der Polizei am 2. Juni 2007 in Rostock eine Straßenschlacht zu liefern, wie sie die Bundesrepublik lange nicht erlebt hatte. Außerdem war schon seit Monaten eine militante Kampagne im Gange, die terroristische Züge trägt und bis heute anhält. Vor allem in Norddeutschland wurden gezielt Anschläge mit Brandsätzen, Farbflaschen und anderen Tatmitteln auf Fahrzeuge und Gebäude verübt. Attackiert wurden vor allem Konzerne und die Polizei. Eine Formation tat sich dabei besonders hervor: Die „Militante Gruppe“ (MG) bekannte sich zu zahlreichen Attacken. Und sie versuchte, in der Szene eine Debatte über Attentate anzufachen. Die MG wollte von Gewalt gegen Sachen zu Gewalt gegen Menschen übergehen, aber nicht auf eigene Faust. Doch die Mehrheit der Autonomen lehnt Terroraktionen nach dem Muster der RAF oder der Revolutionären Zellen ab.

Nach Heiligendamm ließ der Elan des gewalttätigen Spektrums nur vorübergehend nach. Dann wurden neue Kampagnen eingeleitet, in Berlin klirrte und brannte es 2008 während der „Freiräume-Aktionstage“. Im April 2009 beteiligten sich deutsche Autonome an der Randale in Straßburg während des Gipfeltreffens von Staats- und Regierungschefs zum 60. Jahrestag der Gründung der Nato. Auch diese Krawalle gaben dem gewaltorientierten Linksextremismus einen Schub. Die Folgen kann man vor allem in Berlin besichtigen. Militanz in Form von Autozündelei wird zum makaberen Feierabendvergnügen von Linken und nichtlinken Nachahmern. Schwerpunkt ist der Kampf gegen die „Gentrifizierung“, die „Yuppiesierung“ von Stadtvierteln.

Weitere, republikweite Themen sind der Antimilitarismus – vor allem der gewaltsame Widerstand gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan –, Antirepression, Antifaschismus und natürlich Antikapitalismus. Und der Ton wird schriller. Möglicherweise entwickelt sich in der gewaltbereiten linken Szene eine Eigendynamik, die in einen Feierabendterrorismus mündet. Einige Beispiele: Im April 2009 wurden in Dresden auf dem Gelände der Offiziersschule des Heeres 42 Fahrzeuge abgebrannt. Zudem kursiert ein Flugblatt mit dem Aufruf zu gewalttätigen Attacken auf Angehörige der Bundeswehr. Im Dezember 2009 griffen mutmaßliche Autonome mit Brandsätzen eine Polizeiwache in Hamburg an. Und in Berlin probieren Militante Anschläge mit Gaskartuschen (Szenejargon: „Gasaki“) auf luxussanierte Gebäude aus. Die Zahlen des Bundesinnenministeriums sind deutlich: 2009 zählte die Polizei 1822 linke Gewalttaten. Das sind 53 Prozent mehr als im Vorjahr (1188 Delikte). Außerdem wuchs das Milieu der Autonomen und sonstigen gewaltbereiten Linksextremisten von 6300 auf 6600 Personen.

Wann wird Gewalt zum Terrorismus?

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Dass die Justiz spektakuläre Angriffe als Terrorismus einstuft, ist keineswegs sicher. So setzte der Bundesgerichtshof (BGH) im November 2007 die Haftbefehle gegen drei mutmaßliche Mitglieder der „Militanten Gruppe“ außer Vollzug und stufte die Untergrundclique, trotz vieler Brandanschläge und im Gegensatz zur Bundesanwaltschaft, nur als kriminelle Vereinigung ein. Der BGH verwies auf die Neufassung des Paragrafen 129a im Strafgesetzbuch (Bildung terroristischer Vereinigungen) aus dem Jahr 2003. Demnach sind militante Aktionen im Wesentlichen erst terroristisch, wenn sie ein staatsgefährdendes Maß erreichen. Das war nach Ansicht des BGH bei den Attacken der „Militanten Gruppe“ nicht der Fall.

Welche Konsequenzen werden diskutiert?

Auf zwei Ebenen wird diskutiert. Aus der Unionsfraktion im Bundestag kommt die Forderung, linke und rechte Gewalttaten gleichermaßen gesellschaftlich zu ächten. Auch eine Verschärfung des Strafrechts ist im Gespräch. Das würde vor allem den Paragrafen 113 betreffen, dieser befasst sich mit dem „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“. Die Innenministerkonferenz sprach sich bei ihrem Treffen Ende Mai in Hamburg dafür aus, die darin festgelegte Höchststrafe von zwei auf drei Jahre anzuheben.

Muss mit weiteren solcher Anschläge gerechnet werden?

Linksextremisten freuen sich im Internet, dass bei der Explosion am Sonnabend Polizisten verletzt wurden. „Um die grünen Gewalttäter tuts mir kein bisschen leid, lässt sich halt nicht jeder einfach verprügeln und einpfeffern“, schreibt ein „Pyromane“ bei dem in der Szene beliebten Internetportal Indymedia. Solche Äußerungen lassen vermuten, dass Nachahmer tätig werden wollen. Anleitungen gibt es reichlich. Die Berliner Polizei beschlagnahmte im Frühjahr Exemplare einer 79-seitigen Publikation namens „Prisma“. Die Buchstaben stehen für „Prima Radikales Infosammelsurium Militanter Aktionen“. Ein Kapitel trägt die Überschrift „Feuriges“. Gezeigt wird, wie man Brandflaschen herstellt.

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