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Prozessauftakt gegen Sexualtäter: In Freiheit – dank Justizpanne

Weil die Justiz zu langsam arbeitet, muss ein mehrfach vorbestrafter Mann aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Er soll in Hellersdorf eine Frau vergewaltigt haben und saß bereits 20 Jahre hinter Gittern.

Die Staatsanwaltschaft will verhindern, dass der Mann jemals wieder auf freien Fuß kommt und fordert Sicherungsverwahrung. Und eigentlich hätte Hans-Peter S. überhaupt nicht in Freiheit sein dürfen, sondern in Haft sitzen müssen. Tatsächlich aber kann der Angeklagte davon ausgehen, noch jahrelang draußen zu bleiben – bis das Urteil rechtskräftig ist.

Der Angeklagte kam zum Prozessauftakt in Begleitung seiner Partnerin. Sie umarmten und küssten sich. Das mutmaßliche Opfer indes hielt sich abseits. Es schien, als wollte sich die 46-jährige Frau verstecken. „Ich habe Angst vor Herrn S.“, sagte sie später. Hans-Peter S., ein mehrfach vorbestrafter Mann von 49 Jahren, soll sie vergewaltigt haben. Mit ihrer Anzeige hatte sie ihn in Untersuchungshaft gebracht. Nach sechs Monaten aber musste er entlassen werden. Eine Panne: Die Justiz hatte zu langsam gearbeitet.

Mitte Januar 2007 hatte Regina S. Strafanzeige gegen S. erstattet. Der Mann, mit dem sie in Hellersdorf Aufgang an Aufgang lebt, soll in seiner Wohnung über sie hergefallen sein. Laut Anklage schlug, würgte und vergewaltigte er die Frau. Die Vorwürfe führten zur Festnahme und zu einer Anklage, die Hans-Peter S. eine große kriminelle Energie unterstellen. Die Staatsanwaltschaft strebt die Sicherungsverwahrung des Angeklagten an. Auch nach der Haft soll S. hinter Schloss und Riegel bleiben, weil weitere gefährliche Straftaten von ihm zu befürchten seien, meint die Anklagebehörde. Er saß bereits rund 20 Jahre hinter Gittern: wegen Raubes, mehrfacher Sexualtaten und versuchten Totschlags.

Bereits am 24. Januar lag die Anklage auf dem Tisch. Damals hätte innerhalb von sechs Monaten eine Hauptverhandlung anberaumt werden müssen. Doch das Verfahren schleppte sich hin. Zunächst wurde kein geeigneter Gutachter gefunden, dann Post an die Frau falsch adressiert. Und als der Prozess schließlich für Ende August terminiert werden sollte, hatte die Verteidigerin bereits ihren Urlaub geplant.

Im Juli hob das Kammergericht deswegen den Haftbefehl für S. auf. „Das Verfahren war weder besonders schwierig, noch waren die Ermittlungen besonders aufwändig“, hieß es zur Begründung. Die Verzögerung sei deshalb vermeidbar gewesen. Sollte der Angeklagte schuldig gesprochen werden, bliebe er auf freiem Fuß, bis das Urteil rechtskräftig wird.

Dabei hatte Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) dem Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses nur wenige Wochen zuvor versichert, alles dafür zu tun, solche Pannen zu vermeiden. Damals ging es um den Fall eines 55-Jährigen, der 1998 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden war. Bereits 2005 hatte er die Strafe verbüßt. Danach wartete er vergeblich auf eine Entscheidung, ob er weiter als gefährlich gelte. Eine Panne. Der Mann ist seitdem auf freiem Fuß.

Im Prozess steht Aussage gegen Aussage. Er bestritt die Vorwürfe vehement. Alles sei freiwillig geschehen; er und die Frau hätten eine mehrmonatige Affäre gehabt, beteuerte er. Wie es zu den Verletzungen der Frau gekommen sei, wurde S. gefragt. „Es würde mich nicht wundern, wenn sie sich die Verletzungen selbst zugefügt hat“, meine der kräftig gebaute Angeklagte. Das mutmaßliche Opfer konterte empört: „Es gab nie eine Affäre.“ Der Prozess wird Freitag fortgesetzt.

Kerstin Gehkre

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