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Prozessauftakt: Harte Worte im Prozess um „Hatun und Can“

Der Chef des Frauennothilfe-Vereins „Hatun und Can“ steht vor Gericht. Sein Verteidiger stellt bei der Prozesseröffnung am Freitag einen Befangenheitsantrag.

Still saß der Mann im kurzärmligen Polohemd auf der Anklagebank. Ruhig sah er in die Kameras. Einst war er als Andreas Becker in einem schicken BMW X6 durch die Stadt gefahren. Als Vorsitzender des Frauennothilfe-Vereins „Hatun und Can“ hatte er sich das Pseudonym zugelegt – angeblich, um sich vor Racheakten zu schützen. Aus Sicht der Ermittler aber ist Udo D. ein Betrüger, dem es nur um private Vorteile ging. Das empört seinen Anwalt seit Monaten und führte bei Prozessbeginn am Freitag zu drastischen Worten. „Absurd, boshaft, abenteuerlich“, seien die Vorwürfe, schimpfte Hubert Dreyling. Bereits im Vorfeld des Prozesses habe das Verhalten der Richter bei D. den Eindruck hinterlassen, sie könnten „grob voreingenommen“ sein. Auf rund hundert Seiten hatte Dreyling notiert, was nach seiner Auffassung nur Lügen von „kriminellen Zeugen“ sind oder Ermittlungsfehler. Für den Befangenheitsantrag brauchte er zwei Stunden.

Die Staatsanwaltschaft meint, dass Udo D. nach dem sogenannten Ehrenmord an der Deutsch-Türkin Hatun Sürücü den Verein im Juli 2006 nur gründete, um sich zu bereichern. Der damalige Neuköllner Empfänger von Sozialleistungen soll zwischen Januar 2007 und April 2010 Spendengelder von mehr als 690 000 Euro erschlichen und diese fast ausschließlich für private Zwecke verwendet haben. Die Ermittlungen kamen durch eine Anzeige von „Emma“-Chefredakteurin Alice Schwarzer ins Rollen. Sie hatte 2009 in der RTL-Show „Wer wird Millionär“ 500 000 Euro gewonnen und das Geld dem Verein gespendet.

„Tatsächlich hatte der Angeschuldigte von Anfang an nie vor, die Spenden dem Satzungswerk entsprechend zu verwenden“, heißt es in der Anklageschrift. Der Verein habe auch nur wenigen Frauen geholfen. „Das Geld verwendete der Angeschuldigte unter anderem für seine Lebenshaltungskosten, Genussmittel, Bewirtungskosten sowie für seine Lebensgefährtinnen und Bekannten, denen er zum Teil Bargeld zur Verfügung stellte und Essen, Kleidung sowie Reisen finanziert.“

Der Verteidiger aber wetterte. „Udo D. führte ein äußerst bescheidenes Leben.“ Mit „Plastik, Kunstleder und einer billigen Uhr an der Wand“. Ein großer Teil des Geldes sei an Helfer gegangen. „Das waren Hartz-IV-Empfänger, die er für zehn Euro die Stunde schwarz bezahlte.“ Sozialarbeiter seien wegen der schlechten finanziellen Lage nicht bezahlbar gewesen. Und wenn Udo D. in Bordellen oder Bars unterwegs war, dann als „Vertrauensmann des Landeskriminalamtes“.

Dreyling bestimmte den Tag. Die Anklage wurde noch nicht verlesen. Bis zum Freitag soll über den Befangenheitsantrag entschieden werden.

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