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Corona-Schnelltests waren im Frühjahr ein zentrales Instrument, um Lockerungen zu ermöglichen.

© Kay Nietfeld/dpa

Update

Teststellen-Razzia in Berlin: Clan-Männer sollen mit Abrechnungen von Corona-Tests betrogen haben

Die Polizei durchsucht 150 Corona-Teststellen in Berlin wegen Betrugsverdachts, es gibt 50 Verdächtige. Im Visier ist offenbar auch ein Mann der Remmo-Familie.

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Mit einer Großrazzia gehen Berlins Generalstaatsanwaltschaft und die Polizei gegen möglichen Abrechnungsbetrug mit Corona-Schnelltests vor. Seit Mittwoch um 7.15 Uhr vollstrecken die Ermittler Durchsuchungsbeschlüsse in circa 150 Teststellen in Berlin. Die Ermittlungen wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges richten sich gegen mehr als 50 Tatverdächtige. Mehr als 200 Polizisten sind im Einsatz.

Nach Tagesspiegel-Informationen beobachten Beamte auch ein bekanntes Mitglied der Remmos: Der Mann gehört zu jenem Zweig der Großfamilie, die in Neukölln seit Jahren für Aufsehen sorgt. Vor einigen Monaten hat er eine Teststelle in Tempelhof eröffnet. Ob am Mittwoch auch dort durchsucht wurde, bestätigte die Staatsanwaltschaft nicht.

Ausgangspunkt der Ermittlungen seien frühere Durchsuchungen von Teststellen in Neukölln gewesen, sagte Martin Steltner von der Staatsanwaltschaft. Dort habe es Verdachtsmomente gegeben, dass in die Abrechnungen der Tests kriminelle Clanstrukturen involviert gewesen seien.

Seit Juni sei daher „flächendeckend“ die Abrechnungspraxis überprüft worden, erklärte Steltner. Wo sich „Unplausibilitäten“ ergeben hätten, werde das nun mit dem Landeskriminalamt kontrolliert. Nach den Durchsuchungen würden die Ergebnisse ausgewertet und „Folgemaßnahmen“ eingeleitet.

Zwischenzeitlich mehr als 1500 Teststellen in Berlin

Weil die Lage nach der zweiten Corona-Welle konfus war, entstand „Goldgräberstimmung“ im Milieu, wie es ein Beamter ausdrückte. Und weil die Clans über Lokale verfügen und schnell Personal mobilisieren konnten, darunter viele Angehörige, hätten sich zahlreiche im Milieu bekannte Großfamilien an den Geschäften beteiligt.

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Die kostenlosen, von der Bundesregierung finanzierten Bürgertests waren im März eingeführt worden, um einen sicheren Weg zu Lockerungen zu ermöglichen. Diese waren in der Regel an eine Testpflicht gebunden - etwa der Besuch eines Geschäfts oder Restaurants, was teilweise wieder aufgehoben wurde.

In der Folge waren in der Stadt binnen weniger Wochen zahlreiche privat betriebene Teststellen entstanden, zwischenzeitlich lag ihre Zahl bei mehr als 1600. Sowohl die Zertifizierung der Einrichtungen als auch die Abrechnung der Tests waren hingegen relativ simpel gestaltet.

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Anfangs konnten pauschal 18 Euro pro Test über die für die ambulante Versorgung zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) abgerechnet werden. Schnell kam der Verdacht auf, dass Betrüger mit den Teststellen illegal Geschäfte machen. Der KV mussten Teststellen nur die Zahl der Abstriche und die Betreibernummer melden - theoretisch ließen sich also zahlreiche Fälle "erfinden".

Kassenärztliche Vereinigung hält 80 Millionen Euro zurück

Von März bis Mai sind in Berlin rund 100 Millionen Euro an die Anbieter der kostenlosen Corona-Tests geflossen. Am Mittwoch teilte die Kassenärztliche Vereinigung mit, private Anbieter hätten bisher 11,5 Millionen Corona-Tests abgerechnet. Für den Monat Mai sei wegen Betrugsverdachts allerdings ein Auszahlbetrag von 3,6 Millionen Euro zurückbehalten worden, für den Juni die gesamte ermittelte Summe von 78 Millionen Euro. Die Juni-Auszahlung soll demnach erst nach einem Austausch mit den Ermittlungsbehörden erfolgen.

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Schon Ende Juni war von 160 Verdachtsfällen die Rede. Seit Juli gibt es nur noch 12,50 Euro pro Test. Inzwischen ist auch die Zahl der Teststellen in Berlin auf 1300 zurückgegangen. Kontroll-Aktionen hatten sich bisher vor allem auf bezirklicher Ebene abgespielt. Schließungen von Teststellen gab es vornehmlich wegen Hygienemängeln oder des Einsatzes nicht zugelassener Tests.

Betrugsvorwurf: Zwei Festnahmen bereit im Juni

Erst im Juni wurden in Berlin allerdings zwei Männer wegen möglichen Betrugs mit Corona-Selbsttests festgenommen. Ermittelt werde gegen insgesamt drei Verdächtige aus der weit verzweigten Großfamilie Al-Z., hieß es damals aus Justizkreisen: Die Männer sollen einen Gesamtschaden von 500.000 Euro verursacht zu haben.

Der Vorwurf: Von Dritten bezahlte Tests wurden nicht geliefert, wofür die Verdächtigen eigens Scheinfirmen gegründet haben sollen. Andererseits sollen von Herstellern korrekt gelieferte Tests nicht bezahlt worden sein. (mit dpa)

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