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Selbstjustiz an Sexualstraftäter?: 16-Jähriger wegen Ermordung eines Pädophilen vor Gericht 

Ein 16-Jähriger steht seit Donnerstag vor Gericht: Er erstach einen Mann, der ihn offenbar sexuell missbraucht hatte. Die Anklage geht davon aus, dass der Schüler beschloss, das Recht selbst in die Hand zu nehmen und sich für den Übergriff zu rächen.

Der Teenager zog sich eine Kapuze über den Kopf, als er auf den Saal zuging. John S., gerade einmal 16 Jahre alt, hat einen vorbestraften Pädophilen getötet, der ihn offenbar sexuell missbraucht hatte. Die Messerstiche soll er bei der Polizei gestanden haben. Doch war es ein eiskalter Mord aus Rache? Das prüft seit Donnerstag ein Jugendgericht.

Der Junge aus schwierigen Verhältnissen und sein späteres Opfer kannten sich aus der Nachbarschaft. John S. war einer der Schüler, die der 55-jährige Harry H. in seine vernachlässigte Wohnung im Falkenhagener Feld in Spandau gelockt hatte. Dort gab es Tabak, Alkohol, eine Playstation und keinerlei Verbote. Fast täglich soll der wegen Kindesmissbrauchs Vorbestrafte Besuch von Minderjährigen erhalten haben, die jüngsten 12 Jahre. Im Juli war John S. einmal allein in der Wohnung in einem Elfgeschosser. Er soll Opfer eines Übergriffs geworden sein.

Dass der ungepflegte Einzelgänger ständig Teenager zu sich einlud, soll in der Siedlung ein offenes Geheimnis gewesen sein. 2011 gab es ein Verfahren gegen den Mann, der im Jahr 2002 in Dresen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von sieben Kindern zu drei Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt worden war. Bis Mai 2011 stand er unter Führungsaufsicht, durfte sich Minderjährigen nicht nähern. Doch das neue Verfahren endete im November 2011 mit einem Freispruch. Die Angaben der beiden mutmaßlichen Opfer waren widersprüchlich.

Harry H. bekam es auch im Falle von S. mit der Polizei zu tun. Einer der Jungen, die häufig Nachmittage bei ihm verbrachten, hatte ihn angezeigt und erklärt: „Harry hat den John betatscht.“ Doch der als schüchtern und sensibel geltende S. weigerte sich, den Pädophilen zu belasten. Die Anklage geht davon aus, dass der Schüler beschloss, das Recht selbst in die Hand zu nehmen und sich für den Übergriff zu rächen.

Am 1. November stach er den Ermittlungen zufolge in der Wohnung von Harry H. mindestens viermal zu. Erst in den Bauch, als der Mann zum Parterrefenster lief in den Rücken. H. verblutete vor dem Haus. Der damals 15-jährige John saß im Treppenhaus. War es Selbstjustiz, begangen aus niedrigen Beweggründen? Oder ist der Junge ausgerastet und stach im Affekt zu, als er den Sexualtäter zur Rede stellen wollte? Ein Urteil in dem unter Ausschluss der Öffentlichkeit laufenden Prozess wird Ende Mai erwartet.

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