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Sexualstraftat: Der Jäger des Kinderschänders

Seit Jahren fahndet Lars Sünnemann im Osten Berlins nach einem Vergewaltiger. Diese Woche läuft die nächste Suchaktion.

Wenn Lars Sünnemann in seinem Büro sitzt, dann schaut er dem Sextäter direkt ins Gesicht. Das Täterporträt hängt gegenüber seinem Schreibtisch in der Schöneberger Keithstraße: Er sieht dann auf dem Bild an der Wand einen Mann zwischen 30 und 40 Jahren, kurzes Haar mit extremen Geheimratsecken. Auf einer zweiten Zeichnung daneben trägt er eine Brille mit ovalen Gläsern. So etwa sieht der Vergewaltiger aus, der sich seit Ende 2006 an sechs Mädchen vergangen haben soll – in zwei Fällen blieb es bei einem Versuch. Alle Taten ereigneten sich in Lichtenberg, Marzahn und Hellersdorf. Immer waren die Mädchen zwischen sechs und neun Jahre alt. Das letzte Mal geschah es am 28. Januar 2008, als er eine Neunjährige auf dem Heimweg von der Schule in ein Gebüsch im Stadtpark Lichtenberg zerrte und sie dort vergewaltigte.

Lars Sünnemann, 41 Jahre, ist der Chef des Dezernats für Sexualdelikte. Ein schlanker Mann, groß, braungebrannt und glattrasiert mit wetterfester Gelfrisur. Sünnemann lächelt viel, und auf den ersten Blick könnte er auch als Katalog-Model durchgehen. Aber der Kriminaloberrat jagt mit seinem Team den „Sextäter von Lichtenberg“. In Spitzenzeiten, wenn also wieder eine Hinweiswelle angerollt kommt, arbeiten 20 Ermittler daran. Es ist einer der herausragenden Fälle dieser Art. Noch nie gab es so viele Tipps aus der Bevölkerung – bislang sind es 540 Stück – zu einem derartigen Fall. Und selten wurde so viel Aufwand betrieben, um einen Kinderschänder wie diesen zu fassen. Derzeit ist die Polizei dabei 500 Männer mit Hilfe einer DNA-Reihenanalyse zu überprüfen. 140 Männer haben bereits eine Speichelprobe abgegeben und konnten ausgeschlossen werden als Verdächtige.

Erst kürzlich suchten die Fahnder mit Spezialhunden in Lichtenberg nach Spuren des Täters. Diese „Mantrailhunde“, also Personensuchhunde, wurden extra aus Nordrhein-Westfalen angefordert: Ihre Halter, sogenannte Mantrailer, sind keine Polizisten, sondern „externe Sachverständige“, sagt Sünnemann. Die Tiere haben einen extrem feinen Geruchssinn und können im Gegensatz zu normalen Suchhunden so feinste Spuren erschnüffeln. Zum ersten Mal wurde dieses in Deutschland noch relativ neuartige Verfahren in Berlin kürzlich bei der Suche nach der vermissten Jugendlichen Georgine Krüger aus Moabit eingesetzt. Die nächste „Aktion“ mit den Mantrailhunden ist für den 24. Juni geplant. Ob der vergangene Einsatz der Tiere Erkenntnisse gebracht hat? Sünnemann lächelt. „Es war sehr aufschlussreich“ – mehr will er nicht sagen, wegen der laufenden Ermittlungen.

„Die Kinder, die damals nur noch in Begleitung von Eltern in die Schule gebracht wurden, gehen wieder allein.“

Wer sich dieser Tage im Kiez rund um den Stadtpark in Lichtenberg aufhält, bekommt eher nicht den Eindruck, dass die Menschen in Sorge oder gar Panik wären, weil ein gesuchter Sextäter sein Unwesen getrieben hat. Die Frau am Erdbeerverkaufsstand, die Geschäftsleute, die jungen Mütter im Park, die Jogger und Hundeausführer: Sie alle haben zwar von den „schrecklichen Vorfällen“, wie sie es meist bezeichnen im vorigen Winter gehört. Aber nun sei „Ruhe eingekehrt“, sagen zwei Mitarbeiterinnen des Puppentheaters an der Parkaue, gleich am Stadtpark. „Die Kinder, die damals nur noch in Begleitung von Eltern in die Schule gebracht wurden, gehen wieder allein“, wissen sie zu erzählen. Nachdem nach der letzten Tat nichts mehr passierte, sei auch die Panik abgeebbt.

Doch obwohl die Vergewaltigungsserie offenbar seit dem 28. Januar aufgehört hat, ist Sünnemann sich sicher, dass sich der Täter noch in Berlin aufhält. Wäre das nicht so, würden die Fahnder nicht so viel Aufwand betreiben. Dass es sich überhaupt um eine Serie handelt und denselben Verbrecher, wissen die Ermittler seit der letzten Tat im Januar vorigen Jahres. Denn die DNA-Spur, die die Ermittler sicherstellen konnten, stimmte überein mit dem genetischen Material, das nach der ersten Tat gefunden wurde: Damals war Ende November 2006 in Marzahn eine Neunjährige vergewaltigt worden. „Das DNA-Material sei eindeutig“, sagt Sünnemann, ohne aus Rücksicht auf die jungen Opfer näher darauf einzugehen. Schließlich könne sich bei einer derartigen Tat jeder denken, um was für eine Spur es sich handelte. Und dass die anderen Fälle aus dem Jahr 2007 in die Serie passen, wissen die Ermittler aus den Befragungen der kleinen Mädchen und der anschließende operativen Fallanalyse. Sünnemann formuliert es so: Die Art und Weise, wie er vorgeht und die „Durchführung“ passen. Die Modi Operandi seien dieselben. Er habe mit den Opfern dieselben sexuellen Fantasien bei seinen Taten ausgelebt, beschreibt der Chefermittler. Die Art, wie ernst Sünnemann bei der Erklärung schaut, lässt erahnen, dass es schreckliche Dinge gewesen sein müssen, die der Mann mit den Mädchen angestellt hat.

Täter hat bei erster Tat mit dem Handy telefoniert

Überhaupt, die Befragung der kleinen Opfer: Es sei eine der sensibelsten und anspruchsvollsten Aufgaben überhaupt, sagt er. Die Mädchen behutsam zu befragen und trotzdem die entscheidenden Erkenntnisse zu erlangen, erfordere enormes Einfühlungsvermögen und Professionalität seiner Mitarbeiter. Die Befragungen von Kindern laufen anders ab als bei Älteren, schildert Sünnemann: Die Beamten sitzen mit dem Opfer im „Kinderbefragungszimmer – einem freundlich, hellen Raum mit bunten Vorhängen, einem Maltisch, einer Menge Stofftiere und Spielsachen. Nur das Mikro auf dem Tisch und der Venezianische Spiegel, hinter dem ungesehen die anderen Beamten sitzen, lassen überhaupt erkennen, dass es hier um mehr geht, als nur zu spielen. Für das Phantombild, das Sünneman lieber Täterporträt nennt, weil ein Phantom unsichtbar sei und nicht darstellbar, für die Zeichnung also, seien Kinderaussagen meistens nicht sehr geeignet. „Kinder nehmen Größe, Alter und Merkmale Erwachsener sehr unterschiedlich wahr“, sagt er. Die Porträts des Sextäters seien anhand von Aussagen erwachsener Zeugen entstanden. Auch hier will sich Sünnemann aus ermittlungstaktischen Gründen nicht näher äußern.

Der Chefermittler sagt, dass er mit all dem Aufwand, mit der Fahndung in der Öffentlichkeit, mit der Belohnung von 3000 Euro für entscheidende Hinweise, mit all diesen Elementen ein „kriminalistisches Ziel“ verfolge. Eben auch mit der aufwändigen DNA-Reihenanalyse. Er stellt klar, dass es sich hier eben nicht um einen „Massentest“ handelt, wo wahllos alle Männer, die dem Profil entsprechen, angeschrieben werden. Nein, es sei eben eine ausgewählte Analyse: 500 Männer sollen eine Speichelprobe bei der Polizei abgeben. Denn die Ermittler wissen, dass es einen „Telekommunikationsweg“ gab, der in Zusammenhang mit der ersten Tat im November 2006 steht, wie Sünnemann es etwas umständlich formuliert. Konkret heißt das: Der Täter muss damals in dem Zeitraum mit dem Handy telefoniert haben. Also wurden alle Anschlussinhaber, die zur besagten Zeit in der entsprechenden Mobilfunkzelle eingeloggt waren, herausgefiltert. „Erstmal alle männlichen Nutzer“, sagt Sünnemann. Danach machen sich die Ermittler an auch an die weiblichen Anschlussinhaber und die Firmen, um dann im nächsten Schritt herauszubekommen, welcher Mann das Mobiltelefon dieser Besitzer genutzt haben könnte. Dieses Verfahren koste sehr viel Zeit, sagt er. Und es sei ein enormer Aufwand. Deshalb habe man diese Möglichkeit auch nicht sofort in Betracht gezogen, sondern erst üblichere kriminalistische Maßnahmen ausgeschöpft. „Die Reihenanalyse ist der Joker“, sagt Sünnemann. Es klingt ganz und gar nicht verzweifelt. Schließlich habe man durch den Fahndungsdruck offenbar erreicht, dass der Mann sich schon seit eineinhalb Jahren nicht mehr an einem Mädchen vergangen hat. „Jedenfalls nicht, dass wir davon Kenntnis haben“, ergänzt Sünnemann. Mit der aufwändigen Fahndung wolle er dem Täter zwei Dinge sagen: Lass es! Und: Wir geben nicht auf!

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