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Blitzerkontrollen in Berlin.

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Update

Tempo-Kontrollen: Schon 537 Raser bei Blitzermarathon in Berlin erwischt

Seit Donnerstag früh kontrolliert die Polizei beim breit angekündigten Blitzermarathon. 537 Raser wurden bislang ermittelt. Einer fuhr mit 102 km/h, wo nur Tempo 60 erlaubt war. Dennoch scheinen sich viele Fahrer auf die Kontrollen vorbereitet zu haben.

Nach den ersten sechs Stunden des bundesweiten Blitzermarathons hat Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt am Mittag eine erste Zwischenbilanz für die Hauptstadt vermeldet: Bislang wurden in Berlin 537 Fahrer ermittelt, die zu schnell unterwegs waren. Unter den Rasern sei auch ein "Spitzenreiter", der statt der erlaubten 60 km/h mit 102 Stundenkilometern in Schulzendorf unterwegs war. In zwei Tempo-30-Zonen, in Friedrichshain und Charlottenburg, sind zwei Autofahrer mit jeweils 60 km/h erwischt worden.

Kandt sagte: "Meine Kolleginnen und Kollegen haben mir bereits nach den ersten Stunden unseres 1. Bundesweiten Blitzermarathons mitteilen können, dass das Geschwindigkeitsniveau auf den Straßen Berlins spürbar niedriger ist, als an einem normalen Donnerstag. Es hat sich also gelohnt, den Berlinerinnen und Berlinern alle Blitzer vorher über die Medien zu verraten."

Doch Verständnis haben die Autofahrer nicht immer. "Ich kann diese Messstation hier nicht verstehen", ärgerte sich zum Beispiel Marius Kraus. Er ist am Donnerstagmorgen mit 50 Stundenkilometern aus dem Verkehr der Sonnenallee in Neukölln gewunken worden, obwohl er als Anwohner wusste, dass für die viel befahrene Straße ein Tempolimit von 30 Stundenkilometern gilt. "Die Schule ist aber auf der anderen Straßenseite", sagte er, obwohl sich auch auf seiner Straßenseite eine Schule befindet.

An der Ecke Thiemannstraße standen am Donnerstag von acht bis elf Uhr 18 Beamte und kontrollierten drei Stunden lang den Verkehr. Auf beiden Seiten haben sie dort insgesamt 25 Autofahrer aus dem Verkehr gefischt. Dabei maßen zwei Beamte mit einem Stativ-Lasermessgerät die Geschwindigkeit der vorbei fahrenden Autos und alarmierten bei Auffälligkeiten ihre Kollegen über Funk. Diese winkten die Fahrer mit überhöhter Geschwindigkeit daraufhin aus dem Verkehr.

Rasender Transporter flüchtet

Einer von ihnen war Jörg Rockstroh. Der 58-jährige Polizist geriet morgens kurz in Gefahr, als ein rasender Transporter nicht auf seine Haltegeste reagierte, auf die linke Fahrspur auswich und flüchtete. Mit einem lauten Knall krachte dabei die Kelle des Beamten gegen den Rückspiegel. "Da muss man manchmal schon aufpassen, dass man nicht unter die Räder kommt", sagte er. Ein Kollege von Rockstroh rief daraufhin einen Streifenwagen zur Hilfe, der dem Temposünder ein paar Minuten später mit Blaulicht und Sirene folgte.

"Ich habe niemandem geschadet"

Auch der herausgewunkene Taxifahrer Sergio Da Ros wusste von den Kontrollen. "Ich habe aber niemandem geschadet", erklärte sich der 69-Jährige, der seit 50 Jahren Taxi fahre und sein Auto "im Griff" habe. "Viele der Temposünder zeigen sich aber auch einsichtig", sagte eine Pressesprecherin vor Ort. Die 250 Punkte, an denen in der Stadt heute kontrolliert wird, seien überwiegend Gefahrenschwerpunkte, und über jeden wurde ausgiebig informiert. Ganz Berlin hat die Vorabinformation zum Blitzermarathon vernommen.

Ganz Berlin? Nein. In der Lessingstraße zeigte sich ein BMW-Fahrer unwissend. Er wollte nichts gehört haben. Radio? Nee. Mit 42 Km/h wurde Peter H. aus der Zone 30 rausgewinkt, und das als viertelkundiger Anwohner. Trotzdem kein Groll. „Ich finde es sehr richtig, was ihr hier macht“, gratulierte er den Beamten. Tempokontrolle mit Harmonie. Weiter vorne, nahe der Lessingbrücke, nestelte Thomas Preuß am Geschwindigkeitsmessgerät, den Laser des FG21-P ausrichtend. Kollege Lars Frühauf verlas die Digitalanzeige. 29 Km/h, 31 Km/h, 28 Km/h. Brave Berliner. Vorgewarnte Berliner. „Unser Gerät misst bis zu 250 Km/h“, sagte Preuß. Aber das sei heute ja hoffentlich nicht nötig. Seit vier Jahren hat das Duo schon mit dem flexiblen Handleser gearbeitet, meistens vor Kindergärten und Schulen, nun im Rahmen des ersten 24-Stunden-Blitzmarathons.

Wenig später meldete Preuß einen grünen Seat Toleda ins Funkgerät, zwölf Stundenkilometer mehr als erlaubt. Robert Müggenburg, Bubengesicht, mit Warnweste weithin sichtbar, winkte das Auto aus der Kolonne. „Sie waren zu schnell unterwegs, guter Mann.“ Der gute Mann erklärte sich: „Ich hab es nicht gesehen. Aber meine Tochter meinte noch, dass ich lieber aufpassen soll.“ - „So ist es. Immer auf die Kinder hören. Ihr Wagen?“  - „Nee, der gehört meiner Schwiegermutter. Ich habe den Führerschein erst seit zwei Monaten.“ Ein Spätstartet am Gaspedal, Alter 56, Geburtsjahr 1957. „Der klassische Fahranfänger ist das jetzt nicht gerade“, musste Müggenburg grinsen. Immerhin, trotz Probezeit gab es keine Punkte, nur 25 Euro Strafe. „Das geht doch“, atmete der Neuling am Lenkrad auf und hatte dann noch, seiner großen Sorge befreit, ein praktisches Problem für die Streife. „Können Sie mir helfen? Meine Scheiben beschlagen so schnell. Ich sehe ja kaum was.“ Müggenburg riet zu mehr Luftzirkulation. Die Polizei, Kontrolleur und Helfer.

Tempoverweis? Erstmal ein Blick ins Fotoalbum

In Zehlendorf war der Einsatzwagen der Blitzkontrolle weithin sichtbar. Ein Trupp nahm das Tempo an der Clayallee 121. Zur Rechten säumt hier der Grunewald die Straße, zur Linken der Wohlstand. Große Villen, schnelle Autos. Hohes Tempo. Der exponierte Standort gefiel auch der Presse, um den Lasermesser drängelten sich mehr Journalisten als Polizisten.

Ein weißer Skoda bemerkte den Trubel trotzdem nicht, 8 km/h über Toleranz, Kommissar Arndt schwenkte die Kelle. Am Steuer eine Rentnerin, 73 Jahre alt, neben ihr eine Freundin. „Zu schnell? Ich? Wirklich?“, fragte die Fahrerin erstaunt. Wirklich. Die Elektronik lügt nicht. Während ihre Daten verschriftlicht wurden, blätterten die Damen durch ein Fotoalbum. Ach, schau mal hier, schön, tolles Bild, und da, im Urlaub, der Gerhard! Launige Beschäftigung im Angesicht der Strafe. In zwei, drei Wochen werde bei der betagten Fahrzeughalterin ein Schreiben eingehen, dazu könne sie dann Stellung beziehen, erklärte Arndt das Standardprozedere.

Kollegin Vogt beschrieb, warum man schon im Vorfeld so viel und so eindringlich gewarnt habe: „Es wäre in unserem Sinne, wenn wir niemanden rausfischen müssen. Wenn man heute auf das Tempo achtet, achtet man vielleicht auch in Zukunft darauf.“ Eine Meinung, die auch Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Berliner Grünen teilt. Er wohnt in Grunewald, war zum großen Blitzermarathon in die Clayallee gekommen. „Die Wissenschaft sagt, so eine Kontrolle bleibt bis zu drei Wochen im Gedächtnis. Ich finde es gut, wenn die Polizei den Kontrolldruck erhöht, das aber mit offenem Visier tut. Und außerdem“ – Lux schaute sich lächelnd um, sah tempogedrosselte Wagen an der Messstelle vorbeischleichen, die Fahrer wussten um die Kontrolle, waren fast übervorsichtig  – „glaube ich, dass diese Aktion die Stadt total entschleunigt.“

1300 Beamte sind im Einsatz

Seit Tagen sind alle 250 Berliner Kontrollstellen im Internet veröffentlicht. 1300 Beamte sind im Einsatz, möglichst viele der erwischten Fahrer sollen sofort nach dem Verstoß angehalten werden. Brandenburg blitzt an 400 Stellen. Dort starben im vergangenen Jahr 52 der 166 Verkehrstoten durch zu hohes Tempo. Bundesweit sind am Donnerstag 14 700 Polizisten an etwa 8600 Kontrollstellen im Einsatz – ein noch nie dagewesener Aufwand. „Keine Toleranz gegenüber Rasern“, heißt es in einer Mitteilung, und weiter: „Wer gesellschaftliche Normen nicht akzeptiert, dessen Fehlverhalten darf auch von der Gesellschaft nicht toleriert werden.“

Beamte kennen alle denkbaren Ausreden

Pardon wird es nicht geben, kündigte Burghardt an. Wer zu schnell fährt, muss zahlen. Polizisten kennen ohnehin alle denkbaren Ausreden, denn es sind immer die selben. Angefangen mit dem erforderlichen Motortest, „der Wagen kommt gerade aus der Werkstatt“, bis hin zum „wichtigen Termin“.

Für die ganz harten Fälle sind die Videowagen da, alle 21 der Berliner Polizei sind im Einsatz. Nur wer „sehr“ viel zu schnell fährt, den halten wir an, sagt Alexander Kriedemann. Er ist am Donnerstag in einem silbergrauen 5er-BMW unterwegs. Zu erkennen ist er nicht, von dem Modell in der Farbe gibt es tausende. Aber Kriedemanns Fahrzeug hat eine hochmoderne Videoanlage an Bord, die Verstöße gerichtsfest dokumentiert. Neben Tempo auch Drängeln oder Nichteinhalten des Sicherheitsabstands. Kriedemanns Fälle sind die, bei denen Sündern ein Fahrverbot droht. In einer acht-Stunden-Schicht stoppen sie nur etwa fünf bis zehn Autos mit „extremen Überschreitungen“, wie Kriedemann sagt. Wer fällig ist, sieht plötzlich eine Kelle und das rasch aufs Dach gesetzte Blaulicht. Dann wird es teuer. Uneinsichtigen Fahrern wird gerne der Film ihrer Fahrt vorgeführt.

Radarwarner sind verboten

Blitzerkontrollen in Berlin.
Blitzerkontrollen in Berlin.

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Radarwarner sind verboten

Bei vielen Fahrern kommt die Frage auf, ob Radarwarner in Navigationsgeräten oder Smartphones verboten sind. Die Theorie ist dabei eindeutig: Wer ein Fahrzeug führt, darf ein technisches Gerät nicht betreiben oder betriebsbereit mitführen, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören“, heißt es in der Straßenverkehrsordnung. Das Verbot gilt nach Auskunft von Markus Schäpe, Leiter Verkehrsrecht beim ADAC, für Radarwarner, Navis und Apps gleichermaßen – auch wenn die Hauptfunktion der Navis eigentlich die Routenführung ist und Blitzer dort „Gefahrenstellen“ heißen. Auf der sicheren Seite ist laut ADAC nur, wer ein Navi ohne während der Fahrt zuschaltbare Warnfunktion hat.

Reine Radarwarner zieht die Polizei in jedem Fall ein und vernichtet sie. Ob das bei Navis ebenfalls verhältnismäßig ist, ist rechtlich umstritten – und praktisch nach Auskunft des Juristen irrelevant, weil es in Deutschland nie passiere. Während hier wegen dieser Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis schon die Legalisierung diskutiert worden sei, kassiere die Polizei in der Schweiz solche Navis und Smartphones gnadenlos ein. Mindestens 75 Euro und vier Punkte in Flensburg werden aber auch in Deutschland fällig. Ist der Fahrer auch der Halter des Fahrzeugs mit dem Warn-Navi, kann ihm Vorsatz unterstellt und die Strafe erhöht werden. Sorglos kann nur ein Beifahrer sein, dessen Smartphone warnt.

Infos von Radiosendern sind erlaubt

Wer einen der von vornherein verbotenen Radarwarner kauft, braucht nicht auf Garantieansprüche zu hoffen, weil das Geschäft sittenwidrig ist. Formal gilt das laut ADAC auch für die Navis, obwohl die auch andere Funktionen haben. Die Infos von Radiosendern zu Tempokontrollen sind dagegen erlaubt, weil sie an die Allgemeinheit adressiert sind und eher als grundsätzlicher Hinweis auf die Überwachung dienen, solange die Stelle und das Fahrzeug mit dem Blitzer nicht zu genau beschrieben werden.

Die Apps, die wegen ihrer Warnung auch vor kurzfristigen Kontrollen bei notorischen Rasern beliebt sind, findet ADAC-Jurist Schäpe nicht allzu problematisch: Sie seien nur mäßg genau, weil zunächst jemand den Standort und ein anderer das Ende der Kontrolle melden müsse. Da die Apps eher zu oft warnten, eigneten sie sich, um Autofahrer vor der potenziellen Allgegenwart von Kontrollen zu warnen. Stefan Jacobs

Zur Übersicht der geplanten Kontrollorte in Berlin geht es hier.

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