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Die Unfallswracks in der Grunerstraße in Berlin-Mitte.

© imago/Olaf Selchow

Tödlicher Unfall mit Polizeiwagen: Anwalt von Fabien Martinis Eltern greift Staatsanwalt an

Immer wieder kritisiert der Anwalt das Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Nun reicht er eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den ermittelnden Staatsanwalt ein.

Vor knapp 20 Monaten kam Fabien Martini ums Leben, getötet bei einem Unfall mit einem Einsatzwagen der Berliner Polizei. 21 Jahre alt war sie da. Seither nahmen die Ermittlungen zu dem Unfall immer wieder neue Wendungen. Vor zehn Tagen hat der Anwalt der Eltern von Fabien Martini offiziell eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den ermittelnden Oberstaatsanwalt D. gestellt.

Gerichtet war das Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt, an Generalstaatsanwältin Margarete Koppers, doch bis Freitag erhielt der Anwalt keine Antwort – deshalb macht er es nun öffentlich. Rechtsanwalt Matthias Hardt wirft dem ermittelnden Oberstaatsanwalt sinnlose, versäumte Ermittlungen und Fehler bei der Untersuchung des Unfallortes in der Grunerstraße in Mitte vor.

Dort wollte Fabien Martini am 29. Januar 2018 mit ihrem Auto von der rechten Spur über die gesamte Fahrbahn nach links. Dann fuhr der Einsatzwagen der Polizei, der zu einem Eileinsatz mit Blaulicht unterwegs war, in das Auto der Frau. Am Steuer saß der Beamte Peter G., er fuhr den Streifenwagen mit 134 Stundenkilometern durch den Tunnel der Grunerstraße, beim Aufprall war der Wagen noch 91 Stundenkilometer schnell. 

Gegen G. wurde zunächst wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung ermittelt. Ein Jahr nach dem Unfall wurden die Ermittlungen auf Druck der Familie ausgeweitet auf den Verdacht, dass G. betrunken gewesen sein könnte. „Ein Ende der Ermittlungen ist nach Auskunft der Staatsanwaltschaft nicht abzusehen, insbesondere ist zur Zeit nicht mit der Erhebung der Anklage zu rechnen“, beklagt der Anwalt. Zugleich fordert er „eine baldige Erhebung der Anklage vor dem Landgericht wegen Totschlag, Eingriff in den Straßenverkehr, Trunkenheit am Steuer, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort“.

Verfahren gegen Rechtsanwalt der Familie

Die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den ermittelnden Staatsanwalt fällt zusammen mit einem Verfahren, das gegen Rechtsanwalt Hardt eingeleitet worden ist. Er hatte nach einer Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft im Februar 2019 Kopien der Patientenakte von G. an die Senatsfinanzverwaltung weitergereicht. Dort hatte er schon lange zuvor Schadenersatzansprüche angemeldet; den Antrag untermauerte er mit den Patientenakten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen unbefugter Weitergabe von Privatgeheimnissen gegen Hardt.

Die Eltern von Fabien M. und ihre Anwälte bei einer Pressekonferenz.
Die Eltern von Fabien M. und ihre Anwälte bei einer Pressekonferenz.

© rbb/rbb24

Zahlreiche Vorwürfe des Rechtsanwalts sind bekannt, er hatte bereits mehrfach das Vorgehen der Staatsanwaltschaft öffentlich kritisiert. Nun aber greift er zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde. So beklagt der Anwalt, dass zunächst ausschließlich gegen Fabien Martini ermittelt worden sei, auch hätten die Verkehrsunfallermittler G. nicht noch am Unfallort sprechen können, obwohl er noch nicht im Krankenhaus gewesen sei. Es sei auch keine medizinische Untersuchung und Blutentnahme angeordnet worden, um Alkohol, Medikamente oder Drogen nachzuweisen.

Zuerst nur Ermittlungen gegen Fabien Martini

„Alle diese Maßnahmen wurden jedoch im Rahmen der Obduktion des Unfall-Opfers Fabien Martini durchgeführt, deren Fahrzeug beschlagnahmt wurde, wie auch das Handy“, kritisiert Hardt. Bei Peter G. hätte die Staatsanwaltschaft lediglich die Auswertung der Blackbox des Polizeiwagens angeordnet. G. sei zunächst unbehelligt geblieben. In der Charité hätten Mitarbeiter Alkoholgeruch bei G. bemerkt, ein Blutalkoholtest habe 1,1 Promille ergeben. „Da jedoch keine Anordnung der Polizei oder Staatsanwaltschaft vorlag, wurde keine zweite Blutalkoholprobe durchgeführt“, erklärte Hardt.

Der verdächtige Polizist kam nach dem Crash an die Charité.
Der verdächtige Polizist kam nach dem Crash an die Charité.

© Kalaene/dpa

Die zweite, mit zeitlichem Abstand genommene Probe ist aber wichtig, damit die Werte gerichtsfest verwertet werden können. Ansonsten hätte die Staatsanwaltschaft seit Juli 2018 nach Aktenlage ihre Ermittlungsarbeit eingestellt und erst auf Druck zum Alkoholverdacht wieder aufgenommen, stellt Hardt fest.

Kritik an neuen Verfahren

„Nunmehr sollten alle versäumten Ermittlungshandlungen nachgeholt werden, die eigentlich von Beginn an hätten eingeleitet werden müssen“, schreibt Hardt. Doch anstatt das Verfahren zum Unfall zum Abschluss zu bringen, seien von dem Oberstaatsanwalt neue eröffnet worden, was zur geringfügigen Verurteilung von Peter G. im Juli wegen illegalen Waffenbesitzes führte. Es ging um einen Zufallsfund bei einer Durchsuchung bei G. – zwei goldene Requisiten-Schlagringe.

„Dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft steht in klarem Widerspruch zur Strafprozessordnung, wonach – wie hier bei einem Tötungsdelikt – zunächst dies zur Anklage gebracht werden muss, bevor mögliche, weitere Straftaten ermittelt und eventuell angeklagt werden“, befindet der Anwalt der Eltern.

In anderen Tötungsfällen im Straßenverkehr sei der Staatsanwalt deutlich schneller vorgegangen. Die Eltern fragten sich, „weshalb nicht ein gleicher Eifer und Erfolg“ im Fall von Fabien Martini möglich gewesen sei. Allein die Umstände des Unfalls hätten „alle beteiligten Polizeibeamten und Staatsanwalt und Richter dazu zwingen müssen, hier sofort Ermittlungen im Hinblick auf die Fahrtüchtigkeit bzw. Fahrfähigkeit des Fahrers Peter G. durchzuführen bzw. anzuordnen“, schreibt der Anwalt.

Der Polizist Peter G. stand wegen unerlaubten Waffenbesitzes am Dienstag vor Gericht.
Der Polizist Peter G. stand wegen unerlaubten Waffenbesitzes am Dienstag vor Gericht.

© Olaf Wagner

„Diese Fehler am Unfallort sind nicht mehr zu korrigieren, aber sie durften sich nicht im Laufe des Verfahrens fortsetzen“, heißt es in der Dienstaufsichtsbeschwerde. „Nunmehr entsteht der Eindruck für die Angehörigen, dass im Falle eines an einem Verkehrsunfall mit Todesfolge beteiligten Polizeibeamten andere Maßstäbe angelegt werden, als bei einem normalen Unfallfahrer.“ Diesem Eindruck müsse die Staatsanwaltschaft entgegentreten.

Ermittler am Unfallort in der Grunerstraße.
Ermittler am Unfallort in der Grunerstraße.

© imago/Olaf Selchow

Die Staatsanwaltschaft hat im Frühsommer mehrere Gutachten in Auftrag gegeben. Derselbe Gutachter, der 2018 die Geschwindigkeiten bei der Tunnelfahrt und beim Aufprall ausgewertet hat, ist erneut hinzugezogen worden. Er soll die festgestellten Geschwindigkeiten und Reaktionszeiten darauf prüfen, ob eine Alkoholisierung während der Einsatzfahrt wahrscheinlich ist. 

Gedenken für Fabien Martini. Zum ersten Jahrestag des Todes der 21-Jährigen versammelten sich Angehörige und Freunde der jungen Frau am 29. Januar an der Unglücksstelle nahe dem Alexanderplatz.
Gedenken für Fabien Martini. Zum ersten Jahrestag des Todes der 21-Jährigen versammelten sich Angehörige und Freunde der jungen Frau am 29. Januar an der Unglücksstelle nahe dem Alexanderplatz.

© RubyImages/F. Boillot

Es geht um die Frage, ob die Reaktionen von G. am Steuer für eine Alkoholfahrt sprechen oder nicht. Das zweite im Frühsommer in Auftrag gegebene Gutachten soll wenig gebracht haben. Die Staatsanwaltschaft wollte anhand der Patientenakten wissen, ob und wie sehr G. zur Unfallzeit betrunken gewesen sein könnte. Dem Vernehmen nach gab es nicht nur Probleme, ein geeignetes Institut zu finden. Vielmehr kam das beauftragte Institut zu dem Ergebnis, dass es nur wenig feststellen könne anhand der Patientenakte – und vor allem ohne noch vorhandene Blutprobe. 

Es dürfte immer schwerer nachzuweisen sein, ob G. unter Alkoholeinfluss am Steuer saß oder nicht. Davon hängt aber ab, wer für den Schadenersatz aufkommen muss. Bei fahrlässiger Tötung durch den Polizeibeamten müsste der Staat, also das Land Berlin im Rahmen der Amtshaftung zahlen. Beim Nachweis für eine Alkoholfahrt müsste Peter G. zahlen.

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