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Suchaktion

© ddp

Vermisstenfall: Auf den Grund gegangen

Die Berliner Polizei sucht intensiv nach der verschwundenen russischen Regimekritikerin, von der seit Kartfeitag jede Spur fehlt – auch im Lietzensee. Die Polizeihunde haben angeschlagen.

Die Gartenterrasse des Viersternehotels „Seehof“ liegt im Schatten, die Wiese ist leer. Zu kalt, kein Publikum, aber das hätten die fünf Polizeitaucher im Lietzensee in Charlottenburg auch gar nicht gebrauchen können. Denn dort suchen sie an diesem Freitagmorgen nach Anna Michaltschuk, 52. Ob es Hinweise gab, dass sich die Frau im See befindet? Nein, sagt ein Polizeisprecher am Ufer, „wir suchen immer das Umfeld ab, wo Vermisste zuletzt gesehen wurden“. Und das war in diesem Fall am Karfreitag in ihrer Wohnung, gleich um die Ecke. Seitdem ist die russische Künstlerin und Putin-Kritikerin verschwunden.

Als die Polizeitaucher ins Wasser gleiten und langsam die 40 Meter lange Kaimauer und den schlammigen Grund absuchen, haben die Polizeihunde – Leika, Geisha, Yves und Largo – ihren Job bereits erledigt. „Wir haben sie im Schlauchboot über den Lietzensee gefahren“, sagt ein Polizist. Ein Hund hat an der Kaimauer angeschlagen. Der See ist vier Meter tief, das Wasser trüb. Die Suche beginnt.

Und so bietet sich im gutbürgerlichen Kiez ein bizarres Bild: Kinder johlen am Ufer auf dem Spielplatz, Rentner verfüttern Brot an die schnatternden Enten – und wenige Meter entfernt hoffen die Taucher mit den Sauerstoffflaschen auf dem Rücken, dass sie ja keine toten Körper im Wasser ertasten. Denn bislang hat die Polizei „keinerlei Hinweise, dass die Frau Opfer eines Verbrechens wurde“ oder „dass ihr Verschwinden einen politischen Hintergrund hat“.

Anna Michaltschuk wohnt seit November gleich neben der Stadtautobahn, zusammen mit ihrem Mann, dem rennomierten Philosophie-Professor Michail Ryklin. Wie berichtet, hatte das Ehepaar in den vergangenen Jahren mehrfach Ärger mit dem russischen Staat. Im Jahr 2003 war Michaltschuk Mitorganisatorin der Ausstellung „Achtung, Religion!“ und wurde vor Gericht gestellt. Die Ausstellung fand damals im „Sacharow Museum“ statt, einer Organisation zur Erinnerung an den Menschenrechtler und Nobelpreisträger Andrej Sacharow. Die Anklage warf ihr vor, nationalen und religiösen Zwist zu schüren. Michaltschuk wurde im März 2005 freigesprochen, jedoch wurde das Ehepaar immer wieder bedroht und auch antisemitisch beschimpft. Sie zogen später nach Köln, wo der Mann 2006 an der Universität arbeitete. Am Nachmittag des Karfreitag hat er seine Frau zuletzt gesehen. Sie hatte sich verabschiedet, Geld, Schlüssel und Brille mitgenommen, sie wollte einkaufen gehen. Seither verliert sich ihre Spur.

Im S-Bahnhof Charlottenburg gibt es einen russischen Lebensmittelladen, den sie angeblich besuchen wollte. Auf dem Zehn-Minuten-Fußweg dorthin befindet sich eine Kleingartenkolonie an der Rönnestraße. Auch dort sucht die Polizei an diesem Freitagmittag, 90 Polizisten durchkämmen die Parzellen, die zwischen Stadtautobahn und den S-Bahngleisen liegen. Den Laubenpieper werden Personenbeschreibungen – 1,60 Meter groß, schlank dunkelblond, Pagenhaarschnitt – in die Hand gedrückt, die Suche aber bleibt erfolglos. Wie die am Lietzensee. „Vielleicht haben die Hunde auch auf ein Grillwürstchen reagiert“, sagt später einer der Polizisten. Das klinge makaber, aber die Hunde riechen nun mal Fäulnisgase. Und so bleibt am Nachmittag nur eines, die Hoffnung. Immerhin.

Hinweise an die Polizei: 4664 912409

André Görke

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