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Verwahrlosung: Dreijähriger fast verhungert – Bewährung für die Mutter

Bei seiner Rettung hatte der Junge den Entwicklungsstand eines Säuglings Hellersdorferin wurde gestern wegen Verletzung der Fürsorgepflicht verurteilt.

Der dreijährige Justin steckte in einem viel zu kleinen Schlafsack, als Mitarbeiter des Jugendamtes nach ihm sehen wollten. Entkräftet lag er in einem Reisebett – stark unterernährt, dehydriert. Er wog neun Kilogramm. Ein Gewicht, das dem eines neunmonatigen Säuglings entspricht. Seiner Mutter fiel es gestern vor dem Amtsgericht Tiergarten schwer, Fehler zuzugeben. „Er aß schlecht. Sollte ich ihm das Essen denn in den Hals stecken, dass er sich verschluckt?“, konterte sie in schnippisch-trotzigem Ton.

Jessica H. ist 25 Jahre alt. Die einst Arbeitslose hat sich Anfang 2005 selbstständig gemacht, verdient ihr Geld als Reinigungskraft. Sie habe auch nach einer Tagesmutter für Justin gesucht, erklärte die Frau, die in Hellersdorf wohnte. Warum nichts daraus geworden ist, ließ sie offen. Wenn sie einen Auftrag hatte, sei Justin schließlich von jungen Leuten aus ihrem Bekanntenkreis betreut worden. „Die haben auch was mit ihm gemacht“, beteuerte die Mutter und beharrte auch, dass Justin stehen und „ein paar Töne“ sagen konnte.

Die Mediziner haben anderes berichtet. Demnach konnte der dreijährige Junge nicht einmal krabbeln. In Ansätzen habe er das im Kinderkrankenhaus in Lichtenberg gelernt, sagte eine Ärztin. Dort war er einen Monat. In dieser Zeit nahm er 2,1 Kilogramm zu. Die Flüssigkeit musste man ihm mit einem Löffel einflößen. „Er konnte weder aus einer Flasche noch aus einer Tasse trinken“, erinnerte sich die Zeugin. „Zur Entlassung konnte er laut lachen und gezielt zufassen.“ Seine Mutter allerdings hatte sich nur ein einziges Mal blicken lassen.

Im Prozess ging es um einen Zeitraum von drei Monaten. Zwischen März und Juli 2005 habe sie ihren Sohn nicht ausreichend versorgt und gepflegt. „Sie ließ ihn verwahrlosen“, hieß es in der Anklage. Das Kinderzimmer fand die Polizei verschmutzt von den drei Hunden der Frau. „Das war mein erstes Kind“, sagte die Mutter. Außerdem habe eine Ärztin sie beruhigt, als sie sich einmal ums Gewicht des Jungen sorgte: „Das wird schon“, sei ihr gesagt worden. Damals aber war Justin erst 18 Monate alt.

Der Junge kam nicht zurück zur Mutter. Er lebt bei einer Pflegefamilie in Brandenburg. Als er vier Jahre alt wurde, wog er 13 Kilogramm und sprach erste Worte. Heute kann er laufen, aber größere Strecken fallen ihm noch schwer. „Sie waren Justin keine gute Mutter“, sagte die Richterin. Im Grunde habe sie ihr Kind einfach im Bett dahinvegetieren lassen. Gegen die Mutter ergingen 18 Monate Haft auf Bewährung. Zudem soll sie 1000 Euro an das Kinderschutzzentrum zahlen.

Kerstin Gehrke

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