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Demokratie von unten oder von oben? Was bezweckt der SPD-Fraktionsvorsitzende mit seinen Vorschlägen zu mehr Bürgerbeteiligung?

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Position des Linken-Chefs: "Das Volk wird in Berlin verstaatlicht"

SPD-Fraktionschef Raed Saleh fordert mehr Mut zu direkter Demokratie. Doch die Berliner SPD meint das nicht wirklich ernst und will tatsächlich nur Bürgerbefragungen von oben, schreibt Linken-Chef Klaus Lederer hier in seinem Gastbeitrag.

Wer hat in Berlin eigentlich Angst vor Demokratie? Warum und wem gegenüber muss der SPD-Fraktionschef seinen Mut so explizit betonen? „Pfeifen im Walde“ sagt der Volksmund dazu. Seine Melodie pfiff Raed Saleh zuletzt im Tagesspiegel jüngst sehr laut. Direkte Demokratie in Berlin, wurden wir belehrt, sei eine Erfindung der Berliner SPD. Sie habe sich deshalb bewährt, weil die Berliner immer so entschieden hätten, wie die weise Berliner SPD es sich gewünscht hat.

Meint er das ernst? Bei Olympia war es der DOSB, der gefordert hatte, die Bürger müssten entscheiden. Und dass die SPD 2014 nach der Klatsche beim Tempelhof-Volksentscheid jede Legitimation verlor, ohne Volksvotum so ein Megaprojekt aufzurufen, hat Raed Saleh offenbar verdrängt.

Ist das der Mut der SPD, zu glauben, mit einer unverbindlichen Olympiabefragung werde man schon durchkommen? Dabei sind doch Volksbefragungen „von oben“ gerade kein gutes Beispiel für direkte Demokratie, sondern eher Markenzeichen autokratischer Regimes. Da wird die Kontroverse nicht gebraucht, die Debatte nicht geführt.

SPD will politische Verantwortung abwälzen

Dazu passt es nur zu gut, dass der Senat jetzt alle Vorschläge der Opposition für eine stärkere Bürgerbeteiligung strikt abgelehnt hat. Dahinter verbirgt sich ein merkwürdiges Verständnis von demokratischer Beteiligung. Es geht nämlich nicht um aufgeklärte Entscheidungen des Volkes, sondern um das Abnicken der Regierungspolitik auf Einladung hoher Herren.

Klaus Lederer ist seit 2005 Landesvorsitzender der Linken in Berlin.
Klaus Lederer ist seit 2005 Landesvorsitzender der Linken in Berlin.

© dpa

So müssen wir befürchten, dass direkte Demokratie à la SPD zukünftig zum Einsatz kommt, um die politische Verantwortung für schwierige Entscheidungen auf den Marktplatz zu verlagern, Fragen der Opposition im Parlament auszuweichen oder innerparteiliche Konflikte der SPD auf die Berliner als Schiedsgericht abzuwälzen. Das Volk wird dann unverbindlich befragt, wenn die SPD vorab – „im kleinen Kreis bei Kalbsleber und Rotwein“ (Saleh) – zur Überzeugung kam, dass es reif genug sei für eine Meinungsäußerung?

Das ist manipulative Herrschaftstechnik. Unsere Vorschläge für verfassungskonforme, verbindliche Referenden, Volksabstimmungen bei Privatisierungen, Erleichterungen direkter Demokratie, ernsthafte, frühzeitige Beteiligung in wichtigen Fragen – all das ignoriert die SPD seit 2011. Und erinnern wir uns: Direkte Demokratie zu ermöglichen, dazu war die SPD 2006 nur im Tausch gegen die Richtlinienkompetenz für den Regierenden Bürgermeister bereit. Klaus Wowereit war sich damals schon sicher: Was Berlin nützt, weiß die SPD am besten!

Salehs Vorschlag bremst Volksentscheide aus

Deshalb sieht die direktdemokratische Bilanz der Sozialdemokraten seit 2011 so aus: Tricksen bei Abstimmungsterminen, Behinderung der Unterschriftensammlung, Unterstellung von Unterschriftenfälschungen oder Ausbremsen wie beim Energievolksentscheid. Geld aus Landeshaushalt und Landesunternehmen wurde für Senatskampagnen zweckentfremdet. Dazu Dialogverweigerung, Denunziation von Volksbegehren als „NIMBY-Spießer“ und „Anti-Berliner“. Missliebige Bürgerbegehren in den Bezirken lässt der Senat inzwischen gegen die Wand laufen: Er zieht die Planung an sich, sobald Erfolg droht.

Mehr Demokratie wagen! Bei Willy Brandt war das ein Aufbruch, Vertrauen in die Bevölkerung. Raed Salehs Text atmet nicht den „kühnen Mut“ des demokratischen Aufbruchs. Er offenbart die wohlkalkulierte Absicht, Volksinitiativen einzuhegen, zu verstaatlichen, zu kontrollieren, auszubremsen. Das ist Angst vor Demokratie; Demokratie, solange und nur dann, wenn die SPD es erlaubt. Willy Brandt würde sich im Grabe umdrehen.

Klaus Lederer ist Berliner Landesvorsitzender der Partei Die Linke. Im Abgeordnetenhaus ist er rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion.

Klaus Lederer

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