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POSITIONEN: Verschärfung des Strafrechts? – Thema verfehlt!

Zur Bekämpfung der Jugendkriminalität ist vor allem mehr Geld nötig, meint Erardo Rautenberg, der als oberster Ankläger des Landes Brandenburg dienstältester deutscher Generalstaatsanwalt ist.

Ob die Verschärfung des Jugendstrafrechts ein wirksames Mittel wäre, die Jugendkriminalität zu bekämpfen, darüber lässt sich streiten, wobei traditionell die Linken die helfende und die Rechten die strafende Hand bevorzugen. Doch sei der Hinweis erlaubt, dass man den Einsatz zweifelhafter Mittel erst in Erwägung ziehen sollte, wenn die unumstritten wirksamen Mittel ausgeschöpft sind. Von einem derartigen Befund sind wir aber noch weit entfernt. Deshalb geht der derzeitige Streit der Politiker um die Verschärfung des Jugendstrafrechts für viele Praktiker an dem eigentlichen Problem vorbei und wächst die Verärgerung darüber, dass die politisch Verantwortlichen nicht für die Verabreichung unstrittig wirksamer Medizin gegen die Jugendkriminalität sorgen:

1. Straftaten müssen schneller aufgeklärt werden: Dafür braucht man aber mehr Polizeibeamte. 2. Straftaten müssen schneller eine Sanktion zur Folge haben: Dafür braucht man aber mehr Richter, Staatsanwälte und Vollzugskapazität. 3. Gefährdete Jugendliche müssen vor allem intensiv von den Jugendämtern betreut werden: Dafür braucht man aber mehr Sozialarbeiter.

Fakt ist, dass sich die Finanzminister der Länder beim Personalabbau zu übertrumpfen versuchen und bei ihrem Wettstreit Bedenken der Justiz- und Innenminister nicht hören wollen. Man sollte jedoch nicht nachlassen, ihnen die Konsequenzen ihres Handelns vor Augen zu führen. Auch die für die Jugendämter zuständigen Kommunen beteiligen sich an dem Personalabbau, sodass – wie diese Woche ein Berliner Jugendrichter im Rundfunk Klage führte – Hauptverhandlungen ohne Teilnahme der Jugendgerichtshilfe stattfinden und dem Jugendrichter vor seiner Entscheidung auch nicht immer ein Bericht der Jugendgerichtshilfe zur Einschätzung der Persönlichkeit des Angeklagten vorliegt. Es ist aber nicht nur wichtig, dass Straftaten von Jugendlichen schnell aufgeklärt werden und zu schnellen Verurteilungen führen, sondern die unter Beteiligung der Jugendgerichtshilfe verhängten Sanktionen müssen auch schnellstmöglich vollstreckt werden. Ich habe noch erleben dürfen, dass Jugendrichter die von den Jugendlichen besonders gefürchteten „Wochenendarreste“ unverzüglich nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in ihren Amtsgerichten selbst vollstreckten. Heute sind die Voraussetzungen hierfür wegrationalisiert worden und wird der Jugendarrest mit einer der erzieherischen Wirkung abträglichen Zeitverzögerung in zentralen Anstalten vollstreckt.

Schwerste Fehlentwicklungen, die ihren Ursprung in der frühesten Kindheit haben, können allerdings auch durch noch so scharfe und zügig vollstreckte jugendstrafrechtliche Sanktionen kaum korrigiert werden, sodass der Anteil der erwachsenen Insassen der Justizvollzugsanstalten, die bereits als Kinder vernachlässigt oder gar misshandelt worden sind, signifikant überwiegt. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Auf derartige Fehlentwicklungen muss schnellstmöglich reagiert werden. Das beginnt mit einer ärztlichen Pflichtuntersuchung von Neugeborenen, der jedenfalls bei einer Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz von notorischen Bedenkenträgern nicht mehr das im Grundgesetz garantierte Elternrecht entgegengehalten werden kann. Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, muss geholfen werden, und wenn ihnen nicht zu helfen ist, müssen die Kinder aus dem schädlichen Milieu entfernt werden. Immerhin hat die Bundesregierung den „Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“ vorgelegt. Künftig sollen „Familiengerichte und Jugendämter ihre jeweiligen Aufgaben im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft wahrnehmen und das Bewusstsein für die jeweiligen Rollen schärfen“. Das hört sich so gut an, dass die Gefahr besteht, von den angesprochenen Richtern und Sozialarbeitern angesichts der Personallage als zynisch empfunden zu werden.

Auch besteht das Problem, dass es nach der derzeitigen Rechtslage nicht einmal möglich ist, landeseinheitliche Standards für die Leistungen der Jugendämter und Handlungsanweisungen an dieselben für die Zusammenarbeit mit den Gerichten festzulegen und gegebenenfalls auch zu erzwingen. In Deutschland unterliegen die Jugendämter als Teil der kommunalen Selbstverwaltung nämlich nicht der Fachaufsicht der Landesregierungen. So macht jeder Landrat oder Ober- bzw. Bezirksbürgermeister das, was er meint, sich leisten zu können, und alle meinen, sich immer weniger leisten zu sollen; was man ihnen angesichts ihrer Finanzlage nicht einmal verübeln kann. Die aufgezeigten Defizite lassen sich jedenfalls durch eine Verschärfung des Jugendstrafrechts nicht kompensieren. Daher verfehlt die gegenwärtige Diskussion das eigentliche Thema, dass nämlich zur Bekämpfung der Jugendkriminalität nicht genügend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Erardo Rautenberg ist als oberster Ankläger des Landes Brandenburg dienstältester deutscher Generalstaatsanwalt.

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