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Berlin: Praxisgebühr: Berliner meiden den Arzt

Starker Rückgang der Patientenzahlen vor allem in den ärmeren Bezirken

Praxisgebühr und höhere Zuzahlungen – die seit dem 1. Januar geltende Gesundheitsreform hält offenbar auch in Berlin viele Menschen vom Arztbesuch ab. In den ersten drei Monaten diesen Jahres behandelten die rund 7500 in der Hauptstadt niedergelassenen Ärzte und Psychologen 8,8 Prozent weniger Patienten, als im gleichen Zeitraum 2003. Dieser Rückgang liege etwa im Bundesdurchschnitt, sagte Manfred Richter-Reichhelm, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV) am Mittwoch auf einer Pressekonferenz.

Auffällig seien aber die Zahlen aus den einzelnen Bezirken, sagte der KV-Chef. So ging die Zahl der Arztkontakte im sozial schwächeren Neukölln um fast 16 Prozent zurück, während im wohlhabenderen Charlottenburg-Wilmersdorf die Doktoren sogar mehr zu tun hatten: plus 1,2 Prozent. Es dränge sich der Verdacht auf, dass besonders Arme weniger zum Arzt gingen, um Geld zu sparen. Angelika Prehn, Allgemeinärztin in Friedrichshain und Berliner KV-Vizechefin, bestätigt diesen Eindruck. So habe eine Patientin auf eine Insulinpumpe verzichtet, weil sie dann für das lebenswichtige Medikament mehr zuzahlen müsste. Und ein Über-70-Jähriger lehnte nach einem Schlaganfall eine Physiotherapie ab, weil er sie sich nicht habe leisten können.

Unterschiede gibt es auch bei den Fachgruppen. Den Hautärzten und Internisten ging jeweils mehr als ein Fünftel ihrer Patienten verloren. Die Hausärzte dagegen versorgten sieben Prozent weniger Kranke. Auf das Einkommen der Mediziner wirkt sich dieser Rückgang aber nicht aus. In Berlin gelten Budgets, die sich an den Patientenzahlen der vergangenen Jahre orientieren. Das heißt: Die Mediziner haben zwar weniger Patienten, bekommen von der KV aber das gleiche Geld.

Als einen der Hintergründe für den Patientenrückgang nannte Richter-Reichhelm, dass viele Kranke Ende 2003 noch einmal zum Doktor gegangen seien, um sich mit Arzneivorräten einzudecken. Im Laufe des Jahres würde die Zahl der Behandlungen deshalb wohl wieder steigen.

Insgesamt hätten die Berliner Ärzte im ersten Quartal 4,8 Millionen Patientenkontakte abgerechnet, 2,1 Millionen davon seien praxisgebührenpflichtig gewesen, teilte die KV mit. Insgesamt kassierten die Mediziner rund 20 Millionen Euro, die die Krankenkassen von ihrem Budget wieder abziehen. Die Berliner murrten zwar über Gebühr. Doch die meisten hätten die zehn Euro anstandslos bezahlt, sagte Richter-Reichhelm. 10 000 Patienten hätten die Gebühr noch nicht beglichen. Sie müssten nun mit Mahnverfahren rechnen, die die KV in den nächsten Tagen einleiten werde.

Der befürchtete Missbrauch der Notärzte der Berliner Feuerwehr, die keine Praxisgebühr kassieren dürfen, ist nach den Angaben des Berliner Feuerwehrchefs Albrecht Broemme ausgeblieben. Anfang des Jahres hatte man noch vermutet, dass viele Berliner statt des ärztlichen Bereitschaftsdienstes der KV, bei dem die Gebühr fällig wäre, aus Kostengründen nun die Feuerwehr alarmieren könnten.

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