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Berlin: Predigen vor leeren Bänken

Heute ist Reformationstag. Zu feiern gibt es nicht viel, denn die Gläubigen laufen der Kirche davon. Jetzt werden Ideen gesucht

Als Martin Luther heute vor 487 Jahren seine 95 Thesen an die Schlosskirche in Wittenberg nagelte, war die katholische Kirche ein starres System, das vor allem das eigene Wohl im Auge hatte. In der evangelischen Kirche, die Luther vorschwebte, sollte alles anders sein. Dieser Tag wird seither als Reformationstag gefeiert. Doch wirklichen Grund zum Feiern hat die evangelische Kirche nicht – ihr laufen nämlich die Gläubigen weg.

Die Landeskirche Berlin-Brandenburg zum Beispiel verlor seit Ende 2002 rund 35 000 Mitglieder, jetzt sind es noch 1,21 Millionen. Die Kirchensteuereinnahmen sind in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 9,7 Prozent gesunken, was die Kirchenleitung dazu zwingt, weiter Personal abzubauen. So steht es in dem Rechenschaftsbericht, der auf der Herbsttagung der Landeskirche kommende Woche diskutiert wird. Die Zahl der Gottesdienstbesucher in Berlin und Brandenburg stagniert seit zehn Jahren bei um die 40000. Immer mehr Kirchenleute denken darüber nach, wie man den Gottesdienst reformieren oder zumindest verbessern könnte, um wieder attraktiver zu werden.

Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und Berliner Landesbischof, hat zu Beginn des Jahres zu einer neuen „Qualitätsoffensive“ der Berliner Gottesdienste aufgerufen und wiederholt bei jeder Gelegenheit, was er damit meint: Nach den vielen Experimenten der vergangenen zwanzig Jahre müsse wieder deutlicher werden, was einen evangelischen Gottesdienst ausmacht. „Ob jemand in Berlin-Mitte oder in Angermünde in die Kirche geht, es muss sofort erkennbar sein, dass es sich um einen evangelischen Gottesdienst handelt“, sagt Huber und fordert eine größere Einheitlichkeit, „nicht um des Zentralismus willen, sondern um der Identität willen“. Der Gottesdienst müsse wieder zu einem Erlebnis werden und auch die ansprechen, die sonst nie in die Kirche gehen.

Andere in der Kirche fordern auch für Gottesdienste ein professionelles Qualitätsmanagement, wie es in großen Unternehmen oder amerikanischen Universitäten üblich ist – mit klaren Bewertungskriterien, Wettbewerben und sogar Rankings. Pfarrer Knut Soppa von der Gedächtniskirche findet die Idee, klare Kriterien aufzustellen und Zensuren zu verteilen, im Prinzip gut. „Denn es gibt viel Wildwuchs in den Berliner Gottesdiensten.“ Alles, was dazu beitrage, dass über die Gottesdienste wieder mehr öffentlich diskutiert werde, sei begrüßenswert, sagt Pfarrer Gregor Hohberg von der Marienkirche am Alexanderplatz. Auch müsse man weg von der Fixierung auf die Predigt. Der Gottesdienst sei ein Gesamtkunstwerk, bei dem der Kirchenraum, die Musik und die Liturgie genauso wichtig seien wie die Predigt.

Damit das allen klar wird, müssten alle Pfarrer regelmäßig zu Fortbildungen gehen, wie es die Dienstordnung eigentlich auch vorsieht – auch wenn viele Pfarrer darin keinen Sinn sehen. Eine Reform der Gottesdienste geht natürlich auch nicht ohne eine Reform der Pfarrersausbildung. „Die Ausbildung ist heute schon viel mehr an der Praxis orientiert als noch vor zehn Jahren. Aber wir müssen noch mehr tun“, sagt Bernhard Felmberg, der in der Kirchenleitung für die Ausbildung zuständig ist. Mehr Rhetorik, mehr Schreib- und Sprechtraining sind angesagt. An der Humboldt- Universität gehört es seit kurzem sogar dazu, dass die künftigen Pfarrer bei einer Schauspielerin Unterricht nehmen.

Claudia Keller

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