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Berlin: Predigt, Prügel, Pausenhof

Jugendgottesdienst zum Thema Gewalt in der idyllischen Dorfkirche Britz

Sonntagsidylle wie aus dem Bilderbuch: Das weiß getünchte Britzer Schloss blitzt durch buntes Herbstlaub, auf dem Kirchteich schippern Enten umher. Und im Eingang der Dorfkirche stehen lachende Teenager mit freundlichen Gesichtern. Sie drücken jedem höflich die Hand und packen noch ein Liederbuch hinein. Die Kirche ist voll, denn fast alle der 25 Mädchen und Jungen, die den Jugendgottesdienst organisiert haben, sind mit ihrer Familie und vielen Freunden erschienen. Das Thema des Gottesdienstes will so gar nicht zur Idylle passen. Es heißt: Gewalt.

Wochenlang haben die 13- bis 18-Jährigen, alle Schüler der Fritz-Karsen-Gesamtschule und des Albert-Einstein-Gymnasiums, Gewalterfahrungen aus ihrem Neuköllner Alltag gesammelt und sich Fragen gestellt, die sie jetzt in die Kirche rufen: Wo fängt Gewalt an? Ist sie normal in unserer Welt? Wie kann ich helfen? Bin ich auch Täter? Bin ich machtlos?

Vorm Altar sitzen drei Jungs in der Pose der Affen, die nichts sehen, nichts hören und nichts sagen wollen. Ringsum kleben Zettel mit den Namen der Berliner Bezirke im Kirchenschiff, dazu der Satz „Mitten unter uns“ und Papiersilhouetten der Stadt. Schaufensterpuppen sind als Neonazi mit Baseballschläger oder prügelndes Ehepaar ausstaffiert. Die aufgeweckten Schüler nehmen ihre Sache ernst. Gewalt benennen, Streit schlichten und Zivilcourage üben – das sind Dinge, mit denen sie sich täglich auseinander setzen müssen. Und dass, obwohl sie so wohl behütet wirken.

In kurzen Spielszenen im Mittelgang und vor dem Altar kreisen die Jugendlichen das Thema ein. Ein Mädchen bekommt erst einen Blauen Brief und dann von Mama eine geknallt, ein Junge versucht ein Mädchen anzugrapschen, und auf der Straße hilft keiner einem Verletzten, bis sich endlich ein Außenseiter – der barmherzige Samariter – seiner annimmt. Als Antwort und Kommentar entrollen die Jugendlichen zwei Transparente mit Bibelzitaten: „Rette den, dem Gewalt geschieht, vor dem, der ihm Unrecht antut“ und „Jesus Christus spricht: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Letzteres sei gerade für Jugendliche besonders schwierig, sagen die Mädchen und Jungs in ihrer Predigt. „Aber wer sich nicht selbst akzeptiert, kann auch keinen anderen akzeptieren.“ Jesus habe gezeigt, wie das ohne Ansehen von Vermögen, Herkunft, Alter oder Geschlecht gehen kann und erwarte dasselbe auch von uns, sind sich die Jugendliche sicher. Die Kollekte sammeln sie für den Opferhilfeverein „Weißer Ring“ und verteilen Buttons mit der Aufschrift „Schau NICHT weg“.

In einer Bankreihe tuscheln schon eine ganze Weile eine paar Mädchen. Und, wie hat der Gottesdienst gefallen? Gut! Wisst ihr jetzt besser, was ihr in brenzligen Situationen machen könnt? Schweigen. Aaron und Mario, beide 13 Jahre alt und aus der Gottesdienstgruppe, fällt dazu was ein: „Wenn sich welche auf dem Schulhof streiten, lieber vorbeigehen. Aber wenn einer angegriffen wird, gehen wir dazwischen.“ Letzteres würde auch die 15-jährige Stefanie tun. Angst hat sie keine. „Ich spiele Hockey und habe breite Schultern. Ich glaube nicht, dass mich einer anmacht.“

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