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Die Titelseiten der Kollegen in Berlin.

© André Görke

Update

Pressestimmen zur Berlin-Wahl 2016: " ... in der toleranten Hauptstadt ist ein Damm gebrochen"

"Berlin ist eben anders", schreibt eine Wiener Zeitung nach der Wahl. Und wie sind die Reaktionen in anderen Medien? Die Presseschau von Frankreich bis Frankfurt.

Mit der Wahl in Berlin beschäftigt sich am Montag die italienische Tageszeitung „La Repubblica“: 
„Berlin ist eine Katastrophe für die Große Koalition von Kanzlerin Angela Merkel. Es ist quasi ein Omen. Die Koalition von CDU und SPD verliert die Hauptstadt und erleidet einen riesigen Schock: In einer Stadt, die als Symbol für Weltoffenheit und eine liberale Kultur gilt - wie der Bürgermeister gerne betont - kommt die rechtspopulistische AfD auf 14 Prozent. Es ist ein wenig peinlich, wie der Vizekanzler Sigmar Gabriel dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller am Abend mit einem riesigen Lächeln zur Seite steht.“ 

Der Zürcher „Tages-Anzeiger“ kommentiert am Montag die Wahl in Berlin:  
„In Berlin, der Stadt der vielen Szenen, gibt es keine Volksparteien mehr. Stattdessen eine Handvoll mehr oder minder kleiner Parteien, die jeweils ein mehr oder minder kleines Milieu repräsentieren. Wer in solchen Machtverhältnissen regieren will, braucht heute mindestens zwei Partner.(...) Dreierkoalitionen gab es zwar schon früher. Neu ist, dass sie heute oft bloße Zweckbündnisse sind, um zu regieren - oder sogar reine Zufallsbekanntschaften wie jetzt im Fall der drei sehr ungleichen linken Parteien in Berlin. Eine gemeinsame politische Basis ist nicht zu erkennen. Diese in der Not geborenen vielfarbigen Koalitionen bilden zwar eine Mehrheit, aber keine politische Mitte. Anti-System-Parteien von rechts oder von links fällt es leicht, sie als „Machtkartell der Altparteien“ zu denunzieren. So entsteht eine Dynamik, die die politische Mitte schwächt und die Ränder weiter stärkt.“

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Zur Berliner Wahl schreibt die Wiener Zeitung „Der Standard“ am Montag:
„Erst Schwerin, jetzt Berlin. So lautete in der Alternative für Deutschland (AfD) in den letzten Tagen vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus die Parole. Man wollte auch in der deutschen Hauptstadt Platz zwei erreichen, so wie vor 14 Tagen in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Partei aus dem Stand 20,8 Prozent schaffte. Doch ganz so heftig fiel der Siegesrausch in Berlin dann nicht aus. Berlin ist eben anders. Die deutsche Hauptstadt wählt eher links, die Furcht vor Ausländern ist in einer Stadt, in der Kreuzberg nicht bloß eine Bezirksbezeichnung, sondern ein Lebensgefühl ist, nicht so groß wie in Mecklenburg-Vorpommern, wo paradoxerweise fast überhaupt keine Ausländer leben. Doch Grund zur Beruhigung gibt es für Sozialdemokraten und CDU deshalb noch längst nicht. Selbst im „linken“ Berlin machten viele Unzufriedene ihr Kreuz bei der AfD, die Entwicklung setzt sich fort: SPD und CDU verlieren auf Kosten jener „Alternative“, die gegen sie Stimmung macht.“

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Die französische Regionalzeitung „Le Républicain Lorrain“ kommentiert am Montag das zweistellige Ergebnis der AfD bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin:
„Nichts ist mehr wie es war in diesem florierenden, geordneten und beispielhaften Deutschland. Eine Million Flüchtlinge haben das Modell ins Wanken gebracht und die deutsche Ausnahme beendet - und nebenbei den politischen und sozialen Konsens zerbrochen, der die Grundlage des Bundesstaats war. Die Kanzlerin hat einen neuen Denkzettel von einer populistischen und europakritischen Partei bekommen, die vor der Migrationswelle nicht mehr war als ein harmloser Folklore-Verein. Mit dem Vorstoß der Alternative für Deutschland in der als offen und tolerant bekannten Hauptstadt ist ein Damm gebrochen. Infolgedessen ist die mächtigste Frau der Welt in ihrem eigenen Lager schwer geschwächt."

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Zum Erfolg der AfD bei der Wahl in Berlin heißt es am Montag in der belgischen Zeitung „De Standaard“: 
„Das Ergebnis der Partei war weniger stark als vor zwei Wochen in Mecklenburg-Vorpommern. Im Heimat-Bundesland von Angela Merkel gewann die AfD mehr als 20 Prozent der Stimmen und zog an der CDU vorbei. Das kosmopolitische Berlin scheint also weniger im Bann der Migration zu stehen. Dennoch ist dieses Ergebnis eine weitere ernste Warnung für die Politik der Bundeskanzlerin. (...) Trotz trotz der erneuten Ohrfeige für ihre Bundesregierung lässt sich die Kanzlerin vorläufig nicht beirren. Vorige Woche griff sie beim Wahlkampf in Berlin vor allem die AfD an, der sie vorwarf, Lügen zu verbreiten. Viel geholfen hat das nicht. Dennoch will die Kanzlerin bislang in ihrer „großherzigen“ Flüchtlingspolitik keine Kehrtwende machen. Sie kann aber nicht verhindern, dass auch in ihrer eigenen christdemokratischen Familie der Druck auf sie wächst."

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Die Frankfurter Allgemeine schreibt zu der Berliner Abgeordnetenhaus-Wahl:
"Auf die CDU wird der alte und wohl neue Regierende Bürgermeister Müller nicht mehr zeigen können, um von eigenen Versäumnissen abzulenken. Er selbst muss liefern. Denn auch wenn nach dieser Wahl an Rot-Grün-Rot wohl kein Weg vorbeiführt - zum Regieren verdammt ist in Berlin nur die SPD. Die Bundes-SPD wird sich sagen: Es gibt Schlimmeres."

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Zu den CDU-Ergebnissen bei der Wahl zum Berliner-Abgeordnetenhaus schreibt die "Rheinpfalz" aus Ludwigshafen:
"Hauptursache für die christdemokratische Schwindsucht ist Merkels Flüchtlingspolitik. Und das damit einhergehende Kommunikationsdesaster. (...) Merkel gesteht nicht ein, dass sie die Lage im Spätsommer 2015 möglicherweise unterschätzt hat. Sie räumt nicht ein, was viele gespürt haben: dass der Staat zeitweilig die Kontrolle verloren hat. (...) Ist es zu viel verlangt, Fehleinschätzungen, Versäumnisse und Korrekturen einzugestehen? Offenbar. Aber dann verwundert es nicht, dass Merkels Worte Missmut erzeugen und verhetzungsanfällig sind, dass ihr Sturheit unterstellt wird, dass manche Wähler konkrete Politik nicht wahrnehmen wollen - und dass Vertrauen verloren geht."
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Die "Berliner Zeitung" schreibt zur Berliner Abgeordnetenhaus-Wahl:
"Die nächsten fünf Jahre können darüber entscheiden, ob aus Berlin ein wuchernder Moloch wird oder eine gestaltete Metropole. Wir können Vorbild dafür sein, wie unterschiedliche Kulturen gut zusammenleben, wie Flüchtlingen geholfen und wie sie integriert werden können. Berlin kann eine Stadt sein, in der man sicher und tolerant leben kann. Eine Stadt, die seine Bürger da unterstützt, wo sie es brauchen und sie da in Ruhe lässt, wo sie selbst zurechtkommen." dpa/AFP

Lesen Sie mehr im Tagesspiegel, I.: Die Analysen aus den einzelnen Bezirken - In allen Bezirksverordnetenversammlungen wird die AfD vertreten sein und sieben Stadträte stellen. Die anderen Parteien haben teils erheblich verloren – insbesondere die CDU. 

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Lesen Sie mehr im Tagesspiegel, II.: Die bekanntesten Wahlkreisgewinner - und Verlierer. Bei den Direktmandaten zeigen sich politische Veränderungen besonders stark. Ein Überblick über die wichtigsten Gewinner und Verlierer des Wahlabends.

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Lesen Sie mehr im Tagesspiegel, III.: Was passiert mit Michael Müller? Und was mit Frank Henkel? Der Tag nach der Wahl in Berlin im Live-Blog.

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