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Preußisch blau: Oktoberfest in Berlin

Auch jenseits Münchens hat die Oktoberfest-Saison begonnen. In Berlin dauert sie länger als an der Isar und auch sonst ist hier manches anders als in der Bayern-Metropole – etwas legerer eben.

Es ist nicht mal acht Uhr abends, und die rund 450 Feiernden im Oktoberfestzelt nahe dem Hauptbahnhof kennen bereits kein Halten mehr. Sie tragen Dirndl oder Lederhose, steigen auf Bänke und Tische, hüpfen, klatschen, schunkeln, johlen, dicht gedrängt und immer im Takt. Dorffeststimmung an der Invalidenstraße, mitten in Berlin. Alle paar Minuten krachen die Maßkrüge gegeneinander, wenn es von der Bühne her heißt: „Prost, ihr Säcke“ oder „Oans, zwoa, gsuffa“.

Die Festzeltkapelle Kraxlhaxer hat in 20 Jahren gelernt, wie man Betrunkene zum Ausrasten bringt. Vor ihnen winkt und klatscht eine adrette Blondine. Sie trägt Kniestrümpfe, Pumps, Korsett – und einen Minirock, der zu kurz ist, um den Hintern ganz zu bedecken. Mataina macht heute die Einheizerin.

Mataina heißt eigentlich Martin. Aber montags, wenn Bork Melms wie schon seit vier Jahren zu seiner Gay Wiesn einlädt, wird er Mataina. Melms, ein schmaler Mann mit kurzen Haaren und jungenhaftem Gesicht, natürlich in Lederhose, rauscht mit breitem Grinsen immer wieder durchs Zelt und über die Terrasse. „Nein, nein, nein, das hält man so“, ermahnt er und rückt den Bierkrug eines Gastes zurecht, so dass der ihn nun stemmt wie ein echter Bayer.

Das Oktoberfest in München startet am morgigen Sonnabend, hier am Hauptbahnhof feiert man bereits seit dem 8. September. Und an diesem Freitag eröffnen in Berlin und Umgebung gleich drei weitere dieser Feste, darunter ebenfalls nahe dem Hauptbahnhof das des Clubrestaurants Felix. Die Wirte haben sich auf den Ansturm der zünftig Feiernden vorbereitet, indem sie Tische und Bänke verstärkten oder direkt im Boden verankerten. Es wird dennoch wieder Mobiliar zu Bruch gehen. Auf Melms’ Party hat sogar schon mal der Boden nachgegeben.

Bis zum 30. September öffnen nach und nach über ein Dutzend Oktoberfeste in und um Berlin. Dann heißt es: Weißwurst, Riesenbrezen, halbe Hendl, Obazda und Bier bis zum Abwinken. Konsumiert von Menschen, die aus diesem Anlass mit Vorliebe in Kniestrümpfen und Hosenträgern auftreten, die Hemden, Blusen, Kleider bevorzugt in rot- oder blau-weißem Karo. Eine ganze Reihe von hiesigen Bekleidungsgeschäften verkauft Trachten speziell zum Oktoberfest.

Manches ist hier aber doch anders als in München. „Wies’n“ beispielsweise schreibt man hier schon mal mit Apostroph. Und nicht wie in der Stadt an der Isar eine über 200-jährige Festtradition auf den Schultern lasten zu haben, macht das Feiern ohnehin entspannter, meint Partyveranstalter Melms. „In München herrscht doch fast Trachtenzwang. In Berlin kann man auch so was anziehen“ – er zeigt auf einen Gast, der ein T-Shirt mit aufgedrucktem blau-weißem Mieder trägt. Auch wisse man hier sowieso besser zu feiern.

Festbesucher Dieter kennt einen weiteren Vorteil Berlins. Er sei schon unzählige Male auf der Wiesn in München gewesen, dort seien fast nur noch Touristen. „Aber das Berliner Oktoberfest gehört den Berlinern.“

Dieter, 53 Jahre, kaufmännischer Angestellter aus Moabit, kurz geschorene Haare, Bayernlook, ist noch beim ersten Bier. Es ist noch nicht mal ein Bier, sondern ein Radler. Sein Geheimtrick: Farblich seien beide Getränke für ein betrunkenes Auge nicht zu unterscheiden. So kann er vorsichtig mittrinken. Dieter sagt: „Ich dachte immer, Oktoberfest ist eine spießige, hetero-normierte Veranstaltung. Aber es ist ein Appell an die niederen Instinkte. Ausbrechen aus dem Alltagsleben, sich in ein Extrem steigern. Das ist sexy. ... Und Trachten sind es auch.“ Er lacht und packt sich ans „Türl“ seiner Lederhose.

Um zwei Uhr ist das Saufgelage auf seinem Höhepunkt. „Das könnte noch ewig weitergehen, man muss die irgendwann rauskehren“, sagt Melms. Das Münchner Oktoberfest endet am 3. Oktober, hier am Hauptbahnhof feiert man noch fast zwei Wochen länger.

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