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Berlin: Probehalbjahr und Sitzenbleiben auf der Streichliste

Koalition lässt Abschaffung rechtlich prüfen Kritiker sehen Kulturkampf gegen die Gymnasien

Das Probehalbjahr und das Sitzenbleiben stehen zur Disposition. SPD und Linkspartei/PDS wollen versuchen, beides abzuschaffen und lassen jetzt die rechtlichen Möglichkeiten prüfen. Das würde bedeuten, dass Gymnasien und Realschulen ungeeignete Schüler nicht mehr „nach unten“ abgeben könnten. Harald Mier vom Verband der Oberstudiendirektoren befürchtet daher einen „versteckten Angriff auf das bestehende System“ – und letztlich doch einen „Kulturkampf gegen die Gymnasien“, den der Regierende Bürgermeister eigentlich ausgeschlossen hatte.

In der Koalition hält man diese Interpretation für „völlig falsch“, wie SPD-Bildungsfachmann Marc Schulte sagt. Es gehe ja erst mal nur um einen „Prüfauftrag“, der beispielsweise klären müsse, ob derartige Bestimmungen mit der Kultusministerkonferenz (KMK) vereinbar seien. In der Praxis kann Schulte sich vorstellen, dass einzelne Schulen beschließen, das Probehalbjahr oder/und das Sitzenbleiben abzuschaffen. Es müsse ja nicht für alle Schulen verbindlich vorgeschrieben werden.

Das aber hält Mier für „juristisch nicht haltbar“, da Regelungen wie das Probehalbjahr extrem stark in die Schullaufbahn eines Kindes eingriffen. Er glaubt nicht, dass solche „hoheitlichen Aufgaben“ einfach von der Schulkonferenz entschieden werden könnten. Die ehemalige Berliner KMK-Beauftragte Eva-Maria Kabisch sieht außerdem die Gefahr, dass innerhalb der Gymnasien und Realschulen ein Zwei-Klassen-System entsteht: Auf der einen Seite diejenigen Schulen, die sich weiterhin ein Probehalbjahr leisten und ihre Schülerschaft aussieben können, und auf der anderen Seite Schulen, die jeden nehmen und behalten. „Die Berliner Abschlüsse werden weiter in Verruf geraten“, befürchtet Kabisch.

Bisher scheitern in Berlin pro Jahr rund 600 Siebtklässler am Probehalbjahr der Gymnasien und rund 550 bei den Realschulen. Diese Probezeit wurde einst eingeführt, um allen Kindern die Chance zu geben, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, und sie nicht nur durch eine Aufnahmeprüfung oder eine negative Grundschulempfehlung von Gymnasium oder Realschule fernzuhalten. Andere Bundesländer wie Brandenburg verzichten auf ein Probehalbjahr und lassen die Kinder stattdessen nach der siebten Klasse sitzen. Aber auch das Sitzenbleiben soll in Berlin ja erschwert werden.

Das Bestreben, die Sitzenbleiberregeln zu lockern, wurde schon im Schulgesetz – allerdings unverbindlich – verankert. In der Praxis zeigt sich aber, dass sich so nicht viel ändert. Schulen begründen das mit mangelndem Personal: Wenn man keinen Lehrer habe, der etwa einen Förderkurs Mathematik anbieten könne, bleibe eben wieder nur das Wiederholen der Klasse. Andernfalls müsse man das Niveau absenken. „Die südlichen Bundesländer werden nur mit Häme nach Berlin sehen“, fürchtet Kabisch angesichts der Koalitionsvereinbarung.

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