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Berlin: Prognose ungünstig - Amtsgericht fällte strenges Urteil für Politaktivisten

Fünf plus sechs macht zehn - zumindest im Fall von Dieter Kunzelmann. Hinter der rätselhaften Gleichung steht die Frage, wann der verurteilte und inhaftierte Alt-Aktivist wieder frei sein wird.

Fünf plus sechs macht zehn - zumindest im Fall von Dieter Kunzelmann. Hinter der rätselhaften Gleichung steht die Frage, wann der verurteilte und inhaftierte Alt-Aktivist wieder frei sein wird. Kunzelmann, der seit Mitte Juli vergangenen Jahres unter der Gefangenennummer "0937/993" in der Justizvollzugsanstalt Tegel einsitzt, war 1997 zu zwei Freiheitsstrafen von fünf und sechs Monaten verurteilt worden. Wie in solchen Fällen üblich, hat die Justiz nun vor einigen Tagen daraus eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet: Zehn Monate soll Kunzelmann hinter Gittern bleiben, teilte das Amtsgericht Tiergarten Ende Dezember mit. Gemeinhin werden mehrere Strafen, die ähnliche Delikte betreffen, zu einem niedrigeren Gesamtstrafmaß zusammengezogen.

Im Fall Kunzelmann ist das vergleichsweise strenge Urteil mit Bedacht gewählt: "Die neue Gesamtstrafe ist insgesamt tat- und schuldangemessen. Eine Strafaussetzung zur Bewährung kommt nicht in Betracht, da dem Verurteilten nach wie vor keine günstige Legal- und Sozialprognose zu stellen ist", heißt es in der Begründung.

Der zuständige Richter Obermeier sorgt sich vor allem um das Wohlergehen des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen, der Zielperson der Kunzelmannschen Eierattacken: Im Oktober 1993 hatte der 60-Jährige mit einem Ei auf die Windschutzscheibe des Diepgenschen Dienstwagens geworfen, das gab fünf Monate Freiheitsstrafe. Und im November 1996 zerschlug der notorische Diepgen-Gegner ein Ei auf dem Schädel seines Intimfeinds, was weitere sechs Monate einbrachte. "Es steht daher zu erwarten", begründet der Richter die zehnmonatige Haftstrafe nun, "dass der Verurteilte noch weitere Taten zum Nachteil des Zeugen Diepgen begehen wird."

Genau dieser Passus allerdings bringt Dieter Kunzelmann in erneute Wallung. "Das ist vorauseilender Gehorsam des Richters gegenüber dem Regierenden Justizsenator Eberhard Diepgen", lässt Kunzelmann ausrichten, schließlich sei Diepgen seit der Abschaffung des Justizsenators des Richters Vorgesetzter. Kunzelmanns Anwalt Hans-Joachim Ehrig nennt das Gesamturteil gar "skandalös und gesetzeswidrig" und attestiert der Justiz ein "übersteigertes Verfolgungsinteresse". Sämtliche positiven Signale des Häftlings seien ingnoriert worden. Ehrig hat sofortige Beschwerde eingelegt.

Die Justiz hingegen zeigt sich auch nach Ehrigs Einwänden ohne Verständnis für Kunzelmann. "Erst freut er sich, endlich ins Gefängnis zu dürfen, und nun will er nicht mehr", sagt Berlins Justzisprecherin Michaela Blume. Den Vorwurf der "Klassenjustiz" hält sie für "Blödsinn", schließlich liege die zu bildende Gesamtstrafe im Ermessen des einzelnen Richters. Bleibt die Justiz bei dieser Ansicht, wird Dieter Kunzelmann erst wieder im Mai ein freier Mann sein.

Holger Stark

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