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Berlin: Projekt "Love-Talks": Schüler sollen außerhalb des Unterrichts einen normalen Umgang mit Sexualität erlernen

Hella spielt Hella, Patrick spielt Patricia. Hella ist ein Mädchen, das Mädchen liebt, Patricia aber liebt nur Jungs.

Hella spielt Hella, Patrick spielt Patricia. Hella ist ein Mädchen, das Mädchen liebt, Patricia aber liebt nur Jungs. Hella fragt Patricia, ob sie mit ihr schwimmen geht. Zwei weitere Schüler spielen das, was in den Köpfen der Mädchen vorgeht, das Unausgesprochene. Patricia sagt "Was, wieso schwimmen?"; ihr personifizierter Hintergedanke steht auf und sagt: "Ob die was von mir will? Wenn die wirklich lesbisch ist, wird mir schlecht." Auch die nächste Frage von Hella, ob Patricia abends mit ihr die "Discos auschecken" will, wird schleunigst abgewehrt: "Na, dann bis dann!" "Bloß weg hier" tönt der Hintergedanke.

Am Ende des Rollenspiels im zweiten Stock des Wilmersdorfer Friedrich-Ebert-Gymnasiums stand gestern Vormittag die Auswertung: Franziska meint, da sei schon "reale Angst" im Spiel gewesen bei Patricia. Hella selbst sagt, im echten Leben würde sie "auch erst mal einen Anfall kriegen, wenn sich eine Lesbe in mich verlieben würde". Plötzlich schaltet sich Julia ein: "Man kann die ruhig ganz normal behandeln. Wir haben auch zwei Lesben in der Familie, das ist überhaupt kein Problem."

"Love Talks" heißt das Projekt. Das Konzept stammt aus Österreich; in Deutschland wird "Love Talks" als sexualpädagogisches Modellprojekt von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) gefördert. Der Titel "Love Talks" ist wörtlich gemeint: Außerhalb des Unterrichts und frei vom Zensurendruck soll all das thematisiert werden können, was im weitesten Sinne mit Liebe, Sexualität, Freundschaft zu tun hat. Die Idee dahinter ist, dass der Sexualunterricht oft vorurteilsbeladen ist, und dass Schüler heute zwar theoretisch angeblich alles wissen, aber keine Ahnung haben, wie sie es in der Praxis umsetzen sollen. Bereits im vergangenen Winter gaben die Achtklässler des Ebert-Gymnasiums in Fragebögen Antwort darauf, was sie in den vier Tagen machen wollten. Die Hauptthemen: Verhütung, Porno und Flirten. So bot sich in manchen Räumen des Gymnasiums gestern eine ungewohnte Szenerie: Während in einem Raum die Gruppenleiterin nacheinander Kondome, Gleitcreme, Spirale und Diaphragma aus ihrem schwarzen Koffer fingerte und zum Anschauen und Einschmieren freigab, waren in der Aula gleich vier Porno-Gruppen zugange. Während die Sexware-Gruppe auf der Bühne herumtollte und versuchte, das Zusammenspiel von Freier und Hure auf Video zu bannen, brütete die Pornographie-Gruppe über der Abgrenzung von Kunst und Porno.Die Pervers-Gruppe klebte die Was ist Pervers?-Wand voll: Mit Nacktfotos und Leserbriefen an Dr.Sommer, aber auch mit Fotos von Oli P. und den Ex-Bewohnern des Big-Brother-Containers.

Außer den Schülern und Lehrern tummelten sich auch ein paar Eltern im Raum. Denn das Love Talks-Konzept, dessen so genannte Moderatoren eigens dafür geschult werden, lebt unter anderem auch davon, dass nicht nur die, die immer vor der Klasse stehen, mit den Jugendlichen über Sex und Liebe diskutieren. Manchen Schülern waren denoch zuviele Lehrer vor Ort: "Leute, die nicht aus der Schule kommen, behandeln uns auch nicht immer so wie ihre kleinen Schüler", stellte die 14jährige Julia Möschner fest. "Mit denen fällt es auch leichter, über manche Sachen zu reden." Ihre Mitschülerin Stella Schiffczyk fand hingegen, dass sowieso viel zu viel abgefragt wurde, "was eben nicht in die Öffentlichkeit gehört. Mir ist das peinlich, vor den ganzen Leuten zu erzählen wie ich mir das erste Mal vorstelle." Insgesamt zeigten die Schüler erstaunlich wenig Verklemmungen.

Neben den eher lockeren Diskussionen, Rollenspielen und Kondomvorführungen wurde es zumindest in der Flirt-Gruppe gegen Ende richtig persönlich: Während die einen ein Liebeshotel auf Paketpapier zeichneten, das am Ende, wie Julia sarkastisch bemerkte, eher "einem Puff" glich, quälten sich die anderen mit imaginären Tagebüchern oder Liebesbriefen herum. Und als letztere vorgetragen wurden, kamen zumindest in einem Fall wahrhaft lyrische Qualitäten zu Tage: "Ich sitze auf einer Laterne und hole dir gerne alle Sterne vom Himmelszelt herunter - ich hoffe, das macht dich munter."

Jeannette Goddar

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