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Berlin: Prometheus ante portas

Von Andreas Conrad Vielleicht war doch alles ganz anders, als die alten Griechen es sich dachten. Angeblich ließ Zeus, nachdem Prometheus ihm das Feuer gestohlen und den Menschen gebracht hatte, den unbotmäßigen Titan an den Kaukasus schmieden und schickte Tag für Tag seine Adler, auf dass sie dem Gefangenen die stets nachwachsende Leber abfräßen.

Von Andreas Conrad

Vielleicht war doch alles ganz anders, als die alten Griechen es sich dachten. Angeblich ließ Zeus, nachdem Prometheus ihm das Feuer gestohlen und den Menschen gebracht hatte, den unbotmäßigen Titan an den Kaukasus schmieden und schickte Tag für Tag seine Adler, auf dass sie dem Gefangenen die stets nachwachsende Leber abfräßen. Aber war diese blutrünstige Version, so vermutete der Komödiendichter Friedrich Dürrenmatt, nicht eher eine Umschreibung für die fortschreitende Leberzirrhose des dem Trunke ergebenen Halbgotts? Wie auch immer, Prometheus bleibt ein beklagenswerter Kerl, auch das, was ihm die Menschen Jahrtausende später antaten, war nicht fein. Erst schufen sie ihn in Marmor, aber dann mauerten sie ihn jahrzehntelang ein, und als sie ihn aus seinem Gefängnis wieder herausmeißeln wollten, trafen sie ausgerechnet sein edelstes Körperteil. Pling – ab war es.

Behutsam fährt Carlo Wloch, in Pankow ansässiger Bildhauer und Steinrestaurator, über den weißen Stein. Monatelang hat er sich der von Reinhold Begas geschaffenen Skulptur „Der gefesselte Prometheus“ gewidmet, um die Spuren der Geschichte zu entfernen. Ganz ist es nicht gelungen, wobei der abgeschlagene Penis das geringste Problem war. Er war dem Halbgott abhanden gekommen, als man kurz nach der Wende im Gebäude der Akademie der Künste nach der hinter Schutzmauern vergessenen Figur fahndete. Ein Dübel, etwas Spezialklebstoff, und Prometheus war wieder komplett. Aber das Rostwasser, das der Figur jahrzehntelang auf Gesicht und Körper getropft war, hatte untilgbare Spuren hinterlassen. Mit Glasfaserstäbchen hat der Restaurator das Gröbste entfernt, ohne Wasser, um nicht von Neuem schädliche chemische Prozesse auszulösen. Die letzten feinen Spuren zu tilgen, hätte aber gröberer Techniken bedurft, auf Kosten des Marmors – aus Blick des Restaurators unmöglich. Wloch schüttelt noch immer fassungslos den Kopf über seinen Berufskollegen, der das Standbild während der NS-Zeit mit Schwefelsäure zu reinigen versucht hatte. Das war das Schlimmste, was man dem Carrara-Marmor antun konnte.

Begas kennt in Berlin jedes Kind. Vielleicht nicht den n, aber doch den Neptunbrunnen auf dem Schlossplatz, das Schiller-Denkmal auf dem Gendarmenmarkt oder das Bismarck-Denkmal im Tiergarten. Unter Wilhelm II. war Begas, seit 1874 Leiter des Meisterateliers für Bildhauerei in der Akademie der Künste, über alle Maßen angesehen, durfte als einer von wenigen zur Siegesallee sogar zwei Skulpturengruppen beisteuern, darunter mit Kaiser Wilhelm I. die abschließende. „Der gefesselte Prometheus“, 1900/01 geschaffen, zählt als sein letztes großes Werk, verkauft hat er es nicht. Wloch vermutet, dass Begas es nie abgeschlossen hat, sondern die Arbeit wegen zu spät entdeckter Fehler im Stein, darunter ein Riss, liegen ließ. Erst 1912, ein Jahr nach Begas’ Tod, wurde das Bildnis verkauft, im Dezember 1943 im Akademiegebäude am Pariser Platz abgestellt und zum Schutz vor Kriegsschäden eingemauert. Nach dem Krieg und besonders mit dem Bau der Mauer geriet es in Vergessenheit, wurde erst nach der Wende wiederentdeckt und 1995 aus seinem Versteck herausgeholt. Das sei das Schwierigste gewesen, berichtet Wloch. Im Krieg hatte man das 13-Tonnen-Werk auf Eisenbahnschwellen abgestellt, die längst verfault waren. Das Bildnis drohte nach vorn umzustürzen, wurde nur durch die 38 Zentimeter dicke Mauer davor bewahrt.

1996 war „Prometheus“ schon einmal im Hanseatenweg zu besichtigen, anlässlich der Ausstellung zum 300-jährigen Bestehen der Akademie. Mittlerweile haben die Akademie und die Bredero-Fundus-Gruppe, Investorin des Adlon-Palais an der Behrenstraße, beschlossen, die Skulptur an der Außenwand der historischen Ausstellungshallen aufzustellen, die Günter Behnisch in den Akademieneubau integriert hat. Das Adlon-Palais wird im Herbst dieses Jahres, die Akademie der Künste voraussichtlich im Oktober 2003 eröffnet.

Im Durchgang an der Behrenstraße hat bereits ein großes Wandbild von Harald Metzkes einen neuen Platz gefunden. 1957/58 in den Kellerräumen der Akademie entstanden, wurde es vor drei Jahren vor dem Abriss der alten Wände gesichert und kehrte nun ein Stockwerk höher zurück. „Prometheus“ wird in der Nacht vom Freitag auf Sonnabend zurückgebracht, am Haken eines 30-Tonnen-Krans, um in der Passage zwischen Pariser Platz und Behrenstraße seinen neuen Standort einzunehmen. Dort hat er nicht den freien Blick wie im Kaukasus, aber es gibt auch keine leberfressenden Adler.

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