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Berlin: Promis, Puder und Perücken: Die lange Nacht des Zarenballs

"Damit wir uns kennen lernen", sagt Elvira und hebt das Glas. Am "Tisch Friedrich der Große" sitzen Nina, Elvira und Svetlana.

"Damit wir uns kennen lernen", sagt Elvira und hebt das Glas. Am "Tisch Friedrich der Große" sitzen Nina, Elvira und Svetlana. Das ist gut, Nina, Elvira und Svetlana kennen zu lernen, die ein frohes neues Jahr wünschen und fragen, was da auf Deutsch auf dem Teller liegt: Wachtel. "Im Sommer fliegen die hoch und singen so schön", sagt Elvira. "Und jetzt essen wir sie", zuckt Nina mit den Schultern. Der Zarenball ist der neueste, der ausgelassenste - und der komischste Ball der Stadt.

Vor den Türen des Hotels saßen Husaren auf Pferden, und jetzt an den Tischen sitzen die Russinnen mit ihren weiten, gepuderten Dekolletés. Sie sitzen dort weich und wach, gelassen oder ausgelassen, unterhalten sich oder dösen, sie rauchen zwischen den Gängen und stoßen sich nicht daran, dass hier so viele Kameras und Fotografen unterwegs sind. Sie tragen ausgefallene Kleider und in den Weinkühlern liegen die Wodkaflaschen. Udo Walz ist da, Georg Gafron auch. Aber das ist nicht weiter schlimm.

Julia sieht in ihrem Kleid aus geschlungenen Tüchern aus wie ein flämisches Gemälde. Sie schiebt sich noch einen Löffel Kaviar in den traurigen Mund. Katharina die Große - Thema des heutigen Abends -, die eigentlich die Germanistikstudentin und Deutschrussin Ina Korwal ist, steht mit ihrem Hofstaat und gepuderter Perücke auf der Bühne. Gepuderte Zopfperücken haben hier viele: alle Kellner und Hofdamen, die tragen auf dem Körper Wämse aus Samt und in den Händen die Teller. Das flämische Gemälde steckt sich derweil eine Zigarette an. Neunarmige Kerzenleuchter stehen auf den Tischen, und die Kerzen unter dem Klimagebläse brennen so schnell und schief nieder, dass es auch in einem zugigen, steinernen Schloss sein könnte. Eduard von Anhalt eröffnet mit Zarin Katharina den Tanz. Anhalt kann überhaupt nicht tanzen, aber das macht nichts.

Rolf Eden läuft lange ohne Begleitung herum. Jetzt bringt er eine Showeinlage und springt auf der Bühne wie Hans Rosenthal zu seinen besten Zeiten. Die Russen tanzen schnell und froh und lachen dabei, und das wundert auch nicht, sie sind ja sowieso immer dreizehn Tage jünger als der Rest der Welt: Es ist russisches Neujahr.

Auf den Stuhllehnen bleiben Stolas und Pelzkragen zurück, andere behalten die Pelzmützen auf. Zwölf Uhr, Saalfeuerwerk, die Gäste erklären einander ihre Kameras und schießen Fotos. Noch während Eduard von Anhalt im Foyer auf einem Spanholzpodest für die Fernsehkameras tanzt, erscheint die BZ mit einer Sonderausgabe und den ersten gedruckten Fotos des Balls. Erklärt ihn damit für Geschichte, während die Leute noch keinen Nachtisch haben. Und Anhalt ist immer noch dabei, vor den Kameras tanzend Wirklichkeit zu produzieren. Wir befinden uns in so etwas wie einer Zeitschleife. Die Form ist feiernd aus den Fugen geraten, auf dem Nachtisch brennt ein Tischfeuerwerk.

Der Zeremonienmeister, der vorhin noch von ouvrieren und soupieren sprach, tanzt mit seinem Zeremonienstab Luftgitarre. Es gibt eine Super-Miss-Germany, der letzte Dracula-Erbe ist auch da. Eine Frau hat Geburtstag und hält sich bei dem Ständchen, das Ballorganisator Alex Kozulin ihr bringt, gegen die Lautstärke die Ohren zu. Ayman singt. Ein Mann steckt noch schnell bevor er geht zwei Flaschen Wodka in seine Tüte.

Elvira am Tisch gewinnt herzlich lachend den Hauptpreis der Tombola, den Goldring von Cartier, 13 000 Euro. "Mein Herz", sagt sie und lacht und fasst sich an die Brust. Das neue Jahr hat begonnen.

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