zum Hauptinhalt
Der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne).

© dpa

Protest gegen Dirk Behrendt: Beamte fordern Müller auf, „Treiben des Justizsenators“ zu beenden

Ein Meldesystem für „demokratiefeindliche Tendenzen“ sorgt für Unruhe in Berlins Justiz. Für Mitarbeiter der JVA ist es ein „Spitzelsystem nach DDR-Vorbild“.

Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) gerät zunehmend unter Druck: Nach der Versetzung zweier Staatsanwälte wegen unbewiesener Befangenheit im Neukölln-Komplex um rechtsextremistische Anschläge wächst nun auch bei den Justizvollzugsbediensteten der Unmut auf den Senator. 

Grund ist ein neues Meldesystem für „demokratiefeindliche Tendenzen“ – auch ohne ausreichenden Verdacht, um gegen Bedienstete disziplinarrechtlich vorzugehen. In einem Brief fordert der Beamtenbund (DBB) vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD), „dem Treiben des Justizsenators umgehend ein Ende zu setzen“. 

Behrendts Meldesystem widerspreche den Grundsätzen des Datenschutzes und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Zudem sei es mit Behrendts Landesantidiskriminierungsgesetz nicht vereinbar. 

„Wir sind fassungslos, besorgt und mehr als verärgert über das diskreditierende Verhalten des Justizsenators gegenüber Beschäftigten des öffentlichen Dienstes“, heißt es in dem Schreiben. 

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Die Justizverwaltung hat die Leiter der Vollzugsanstalten (JVA) Mitte August angewiesen, ab 1. September „alle Vorfälle mit demokratiefeindlichen Tendenzen“ oder Hinweisen darauf zu melden. Zwar anonymisiert, doch „soweit eine personenbezogene Zuordnung möglich ist“, sollen die Meldungen auch „Angaben zur Laufbahnfachrichtung, Alter und Geschlecht“ der Mitarbeiter enthalten. Damit wären sie doch identifizierbar.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Unter den Bediensteten brodelt es. Thomas Goiny, Landeschef des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschland (BSBD), sagte: „Durch alle Berufsgruppen der Belegschaft, immerhin 2800 Mitarbeiter, geht ein Beben.“ 

Personalrat legt Protest ein

Der Personalrat der JVA Heidering legte in einem Schreiben an Behrendt Protest ein, weil Fälle gemeldet werden sollen, bei denen völlig unklar ist, ob es sich um einen Verstoß gegen die Beamtenpflichten handelt. Der Personalrat spricht von „Fassungslosigkeit und Unverständnis“. Die Mitarbeiter sähen sich einem „Spitzel- und Denunziationssystem nach DDR-Vorbild ausgesetzt“.

Auch der Beamtenbund geht den Justizsenator scharf an: „Jetzt schreckt er offenbar auch nicht mehr vor einer Bespitzelung der Bediensteten zurück“. Für die Meldung von Fällen, die nicht mal für Disziplinarermittlungen reichen, fehle jegliche Rechtsgrundlage. 

[Und was ist los in Ihrem Kiez? 12 Berliner Bezirke, 12 Tagesspiegel-Newsletter - und schon 220.000 Abos. Konkrete Bezirksnachrichten, Termine und Tipps hier in den Bezirksnewslettern vom Tagesspiegel. Kostenlos unter leute.tagesspiegel.de]

Bei Mitarbeitern, „die nicht treu zur Verfassung stehen“, gehe es in einem geordneten Verfahren um die Entlassung. Das Meldesystem aber öffne „persönlichen Ressentiments Tür und Tor“. Der Beamtenbund will daher von Müller wissen, „ob allein die Beschäftigten der Justizvollzugsanstalten ausgerechnet vom Senator für Antidiskriminierung diskriminiert werden.“

Auch Berlins Landesdatenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk erfuhr durch einen Tagesspiegel-Bericht vom Meldesystem. Eine Sprecherin erklärte: „Wir werden den Sachverhalt prüfen.“ 

Sven Rissmann, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, sagte, Behrendts Meldesystem gehe zu weit. „Auch Landesbeschäftigte müssen ihre Meinung ohne Angst äußern dürfen, erst recht in dem vom Senator seit Jahren vernachlässigten Justizvollzug. Aber Mitarbeiter sollen offenbar mundtot gemacht werden.“

Behrendt rechtfertigt sich im Rechtsausschuss

Behrendt verteidigte am Mittwoch im Rechtsausschuss das Meldesystem. Es handle sich nicht nicht um ein Spitzelsystem, von einem Aufruf zur Überwachung könne keine Rede sein, Vielmehr gehe es um die Frage, „wie wir uns wappnen gegen eine mögliche Unterwanderung und Angriffe auf unsere Sicherheitsbehörden“ durch Rechtsextremisten, „wie wir umgehen“ mit Beamten, „die es nicht so ernst nehmen mit der Verfassungstreuepflicht“. 

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]

Der Strafvollzug sei davon bislang weitgehend verschont geblieben. „Es gibt aber bedrückende Einzelfälle“, sagte Behrendt. 

Im März sei ein 45-jähriger Bediensteter des Jugendstrafvollzugs wegen Waffenbesitzes und Zeigen verfassungswidriger Zeichen verurteilt worden. Mehrfach habe er ein Tattoo auf seinem Unterarm in der Anstalt offen gezeigt: einen Totenkopf mit SS-Rune. 

Am 2. Juli 2019 habe ein anderer Mitarbeiter der Anstalt, ein Schwarzer, auf seinem Schreibtisch ein Foto gefunden, darauf zu sehen: ein Tierpfleger mit einem Affen auf dem Arm. Die Ermittlungen dazu liefen ins Leere, ein Täter wurde nicht gefasst.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false