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Laterne, Laterne. Moderator Ilja Richter versucht, die Gaslampe festzuhalten. Auch Schauspieler Walter Plathe (vorne l.), Bariton Thomas Quasthoff (3.v.r.) und Tagesspiegel-Autor Harald Martenstein (r.) standen bei der Benefizveranstaltung am Ku’damm auf der Bühne.

© dapd

Protest gegen Gaslaternenabriss: Glühende Leidenschaft

Lichtretter machen mobil: Künstleraufmarsch und Bürgerwut beim Gaslaternenbenefiz in der Komödie am Kurfürstendamm.

Geschiebe, Geplapper, Flugblätter, Unterschriftenlisten – beim Gaslaternenbenefiz Montagabend in der Komödie am Kurfürstendamm liegt neben Rasierwasser und Parfum auch ein Hauch von Revolte in der Luft. „Heute leuchten wir ordentlich den dusseligen Politikern heim, die uns unsere schönen Gaslaternen auspusten wollen!“, hängt als Denkblase über dem aufgeregt summenden Foyer.

Ilja Richter hat zum Benefizabend „Rettet die Gaslaternen“ gerufen und der ganze alte Westen ist gekommen. Auch der aus dem Osten, angeführt von der unbeugsamen Brecht-Diseuse Gisela May. Hausherr Martin Woelffer steht grüßend an der Tür zum ausverkauften Haus. Kabarettistin Gabi Decker ist da, Kurzzeit-Senator Michael Braun von der CDU, Ulli Zelle vom RBB und Otfried Laur vom Theaterclub – schließlich geht es nicht nur um schnöde Laternen, sondern ums große Ganze. Oder wie der auch als Ku’dammbühnen-Verteidiger bekannte Laur ohne falsche Angst vorm Pathos sagt „um das vom Gaslicht geprägte Gesicht unserer geliebten Heimatstadt Berlin“.

Das möchten die mit einem Infostand vertretenen Vereine „Gaslichtkultur“ und „Denk mal an Berlin“, wie berichtet, dringlich inklusive aller 43 000 mittelfristig von der Umrüstung auf Elektrolicht betroffenen Gaslaternen erhalten wissen. Am 17. November um 14.30 Uhr rufen die Lichtretter am Amtsgerichtsplatz sogar zu einer Menschenkette gegen den im Sommer angelaufenen Abriss auf. Ein signalfarbenes Flugblatt kündet davon. Das Eintrittsgeld der von Ilja Richter organisierten, moderierten und betexteten Soli- Show ist für eine neues Gutachten über die ökonomischen, ökologischen und kulturellen Kosten der vom Senat betriebenen Umrüstung bestimmt.

Der bekommt – als sich der Vorhang in der mit rotem Samt ausgeschlagenen Schuhschachtel öffnet – ordentlich sein Fett weg. Watsch, mal haut Ilja Richter Klaus Wowereit verbal eine runter, watsch, dann der SPD. „Unser Ilja“, wie ihn seine Künstlerkollegen nennen, macht den auf wohlfeile Affekte zielenden Gaslicht-Agitator, singt Kalauersongs wie „Rettet das Licht – Laternisiere“ zur Melodie von „I will survive“, spielt den direkt aus dem Jenseits zugeschalteten Harald Juhnke, beantragt lokalpatriotischen „Artenschutz als Alt-Charlottenburger“, basht unter einer mit Glühbirne bestückten Kulissenlaterne das Elektrolicht und charmiert seine über den Laternenfrevel erregten Mitstreiter wie Anita Kupsch, Jim Rakete, Irmgard Knef oder Philharmoniker Holm Birkholz, die mehr oder weniger erleuchtete Texte und Melodien beisteuern.

Bei Bariton Thomas Quasthoff, der eine Eins-A-Imitation von Dieter Hildebrandts Helmut-Kohl-Veräppelung „Der Mond ist aufgegangen“ hinlegt, geraten die graumelierten Gaslichtfans in Wallung und johlen wie beim Rockkonzert. So aufgekratzt, wie das Volk jetzt ist, könnte es eigentlich gleich vors Rote Rathaus zum Sozis-Teeren und -Federn gehen. Passiert aber nicht, sind ja alles brave Bürger – richtiger: Berliner – die „ihr“ Kulturgut Gaslicht lieben.

Als Klaus Hoffmann singt, Walter Plathe rezitiert und Katharina Thalbach liest, hört man einen Engel durch den Saal gehen. Das sind innige, künstlerisch hochwertige, kein bisschen piefige, berlinische Momente. „Diese Stadt ist nicht wie jede andere“, beschwört Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein in seinem Licht-Text einen strapazierten, aber deswegen nicht falschen Mythos. Und alle, alle machen dabei beim Kampf um stadttypische Beleuchtung mit. Auch die mutmaßlich einzige 27-Jährige im Publikum, eine Kreuzberger Kunsthistorikerin, die die Politik, erst Altes abzureißen, nur um hinterher Kulissen wiederaufzubauen, geißelt. Aber selbstverständlich ginge sie zur Menschenkette, beteuert sie. „Licht ist mir wichtig.“ Und ihre Stadt ist es auch. Gunda Bartels

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