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Im Kreuzberger Lokal Bateau Ivre nahmen amerikanische Aktivisten Gespräche auf, weder Gäste noch Angestellte wussten davon.

© Imago

Protest gegen NSA-Überwachung: Aktivisten stellen private Gespräche aus Berlin ins Netz

US-Aktivisten nehmen in Berliner Bars und auf Plätzen private Gespräche auf und stellen sie ins Netz – aus Protest gegen die Überwachung der NSA. Sie wollen das Bewusstsein der Bevölkerung schärfen.

Die Frau klingt erleichtert, endlich ist es raus. „Das war ein gutes Gespräch – ich habe lange gehadert, ob ich es hier halten soll“, sagt sie zu ihren Begleitern. Die beiden stimmen murmelnd zu. Es ging um Strukturen am Theater, die Frau ist offenbar unzufrieden in ihrem Beruf. Gemeinsam mit ihren Bekannten sitzt sie vor der Kreuzberger Bar Bateau Ivre am Heinrichplatz. Eigentlich ein guter Ort für einen vertraulichen Plausch mit Freunden und den ein oder anderen Drink.

Doch das Gespräch aus dem Bateau Ivre ist nicht mehr privat. An der Unterseite des Tisches klebte ein Diktiergerät, das die ganze Zeit mitlief. Mittlerweile kann jeder das Ergebnis im Internet anhören. Verantwortlich dafür sind anonyme amerikanische Aktivisten, die im Sony Center am Potsdamer Platz und im Bateau Ivre mehrere Gespräche aufgezeichnet haben. Bislang zwei davon sind neben Mitschnitten aus New York unter wearealwayslistening.com („Wir hören immer zu“) abrufbar.

Offenbar waren weder die abgehörten Personen noch die Angestellten der Bar in die Aktion eingeweiht. Zwar könnte es sich dennoch um Fälschungen handeln – doch zumindest das deutsche Künstlerkollektiv peng! e.V., das die amerikanischen Aktivisten hierzulande unterstützt, bestätigte auf Anfrage die Echtheit der Aufnahmen. Die Aktion sei von zwei Amerikanern innerhalb des letzten Monats in Berlin ausgeführt worden. Neben den zwei bekannten Orten seien noch an acht weiteren Plätzen Gespräche aufgenommen worden. Die Aktivisten planen offenbar in der nächsten Zeit zusätzliche Aufnahmen ins Netz zu stellen.

Auf ihrer Internetseite dokumentieren die Amerikaner ihre Taten. Sie wollen in der Bevölkerung das Bewusstsein für Späh-Aktivitäten des US-Geheimdienstes NSA stärken. Sie tun das auf satirische Weise und behaupten, für die NSA gegen mögliche Terroristen zu spionieren. Auf ihren Diktiergeräten prangt der Schriftzug „Property of NSA“, Eigentum der NSA. Auch in einer E-Mail an den Tagesspiegel bleiben die Aktivisten in ihrer Rolle: „Wir sind zuerst nach Deutschland gekommen, weil die NSA so viel Erfolg damit hatte, Merkel und die anderen abzuhören.“ Ihre Aufzeichnungen halten sie nicht für verwerflich, „weil sich die Menschen offenbar ohnehin nicht dafür interessieren, dass sie von Geheimdiensten ausgespäht werden.“

Ahnungsloser Kneipier: Die belauschten Gäste tun mir leid

Im betroffenen Bateau Ivre zeigt man sich überrascht – man hört hier von der Sache zum ersten Mal. Aber der Inhaber Laurent V. nimmt es mit Humor. Die Aktion sei frech, aber lustig, sagt er und lacht. Er wäre aber schon gerne vorher gefragt worden. Um die belauschten Gäste tue es ihm sehr leid.

An diesem Tisch im Bateau Ivre könnten die Gespräche aufgenommen worden sein. Heute haben Hanna und Lukas dort aber noch kein Diktiergerät entdeckt.
An diesem Tisch im Bateau Ivre könnten die Gespräche aufgenommen worden sein. Heute haben Hanna und Lukas dort aber noch kein Diktiergerät entdeckt.

© Henrik Pomeranz

Auch Hannah und Lukas, die gerade vor dem Lokal in der Oranienstraße sitzen, halten wenig davon, ihre Gespräche öffentlich im Netz zu finden. „Das wäre für mich schrecklich, das ist doch privat“, sagt Hannah. „Wenn sie den Lauschangriff nur gefälscht oder die Beteiligten um Erlaubnis gefragt hätten, wäre es eine gute Aktion“, findet Lukas. Es sei gut, das Bewusstsein für die Überwachung der NSA zu stärken. „Aber in diesem Fall rechtfertigt der Zweck nicht die Mittel.“

Datenschutzbeauftragter hält Aktion teilweise für strafbar

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix äußert sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel ebenfalls kritisch. Im Fall des Lokals hält er das Mitschneiden der Gespräche sogar für strafbar, da dort eine intime Situation bestehe. Im öffentlichen Raum wie am Potsdamer Platz sei das Abhören zwar nicht strafbar aber trotzdem sehr problematisch. „Ich begrüße diese Intention, weil ich der NSA kritisch gegenüberstehe, aber diese Aktion geht eindeutig zu weit“, sagt er. Es gebe viele Möglichkeiten, um auf die Praxis der Geheimdienste aufmerksam zu machen, aber in der Bar heimlich Leute zu belauschen – das gehe gar nicht. Zudem bezweifelt er, dass die Aktivisten auf diese Weise wirklich mehr Bewusstsein für die Thematik schaffen könnten.

Dix betont aber, wie nötig ein gesellschaftlicher Dialog darüber sei. „Die Debatte ist keineswegs zu Ende. Wir müssen dringend zu einer effektiveren Kontrolle und Beschränkung der Geheimdienstaktivitäten kommen.“ Ganz unmittelbar ist aber für Barbesucher in Berlin eine andere Kontrolle nötig: die der Tischunterseite.

Henrik Pomeranz

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