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Protestkultur: Achtung, Schauspieler!

Ob beim Theatertreffen oder bei Günther Jauch – überall drängeln sich Aktivisten ins Bild. Und alle finden es toll. Die „Ernst Busch“-Studenten haben mit ihrem Kampf für einen Schulneubau die Berliner Protestkultur erfrischt.

Zum Teil hat Hertha BSC seine Probleme einem Schauspieler zu verdanken. Igor de Camargo war Stürmer der gegnerischen Mannschaft im Pokalviertelfinale. Im Olympiastadion war er so theatralisch zu Bogen gesackt, dass beinahe jeder der 50 000 Zuschauer einen Kopfstoß gegen de Camargo gesehen zu haben glaubte. Sein Gegenspieler, Roman Hubnik, wurde als Täter des Platzes verwiesen. Hertha verlor das Spiel, das vielleicht die letzte Gelegenheit bot, etwas anderes als ein Abstiegskandidat zu werden. Auf den Bildern, die Fernsehkameras von dem Vorgang aufgenommen haben, ist kein Kopfstoß zu sehen. Die beiden Männer hatten sich lediglich sehr sehr nahe gegenübergestanden, und das einzige, was de Camargo im Gesicht traf, war Hubniks Nasenspitze gewesen. Warum werden Schauspieler in Berlin eigentlich so hoch geachtet? Die Stadt sollte, auch wenn ihr großer Fußballclub nun aus der Bundesliga absteigen sollte, über einen Schauspieler hinwegsehen können. Aber leider sind es derzeit ziemlich viele, die in Berlin eine Art Unwesen treiben. Es vergeht kaum ein Kulturereignis, bei dem Schauspieler, die für einen Auftritt gar nicht vorgesehen sind, theatralisch Fouls begehen. Ob bei der Eröffnung des Berliner Theatertreffens, bei Vorstellungen im Hebbel am Ufer, ob bei einer Talksendung wie der von Günther Jauch – überall drängeln sich Theateraktivisten dazwischen und ins Bild, brechen die Regeln. Und alle finden es toll. Das mag an der Toleranz des Berliners liegen. Protest kommt hier immer zu Wort. Weil er großes Theater verspricht. Und weil es einfach zu nervig ist, ihn zu unterbinden. Berlins Toleranz ist von Ignoranz schwer zu unterscheiden. Aber warum muss sie für Schauspieler gelten? Die markieren doch bloß. Wenn Schauspieler demonstrieren, stimmt etwas nicht. Demos sind etwas für Menschen, denen sonst niemand zuhört, weil sie keine Stimme finden. Hartz-IV-Empfänger, Bauern mit Atomendlager auf dem Acker, Pflegepersonal, chronisch Kranke und Kontoinhaber von Landesbanken. Sie gehen für Probleme auf die Straße, die irgendwie die Probleme aller Bürger sind, wenn auch vielleicht nicht akut. Der Slogan, mit dem die Schauspieler derzeit ihre Forderung untermauern, lautet: „Holt uns nach Mitte!“ Auch darin kann sich jeder wiederfinden. Wollen da nicht alle hin? Das Problem ist, dass jeder, der das heute will, sehr viel Geld mitbringen muss. Mitte verzeichnet die höchsten Mietsteigerungen hat den größten Wohlstand, die meisten Touristen und teuersten Geschäfte. Die Schauspielstudenten haben kein Geld. Sie verstehen ihre Aktion als Maßnahme gegen die Gentrifizierung. Es gehe um die Frage, sagt einer in der „Süddeutschen Zeitung“, „ob Berlin-Mitte nur noch aus Hotels und Büros bestehen soll“. Es haben sich viele berühmte Schauspieler mit den Studenten solidarisiert. Nina Hoss, Corinna Harfouch, Ulrich Matthes, Matthias Schweighöfer und Milan Peschel. Die Unterstützung besteht vor allem aus Worten. Dabei brauchen die Studenten Geld. Ihnen drohen schon in der Vorplanung die Kosten für einen Neubau ihrer Schauspielschule in Mitte aus dem Ruder zu laufen. Der Hauptausschuss des Parlaments will keine Mehrkosten. Kein Mitte, sagt er, auch, wenn es nur knapp zwei Millionen Euro mehr sind, bei 33 Millionen, die bereits bewilligt sind, und bei einem Projekt, das beinahe ebenso lange in Planung ist wie der Großflughafen. Bestimmt ist es angenehmer, in Mitte zu studieren als am Stadtrand oder in mehreren über die Stadt verteilten Instituten, eines davon in Niederschöneweide. Es soll ein übler Bau sein. Asbestverseucht und schimmelig. Im Winter zu kalt, im Sommer zu heiß. Auf den Probebühnen brechen schon mal Bretter durch, Tontechnik gibt es erst gar nicht. Es soll dort offenbar ein neuer Darstellertypus gezüchtet werden, der vorsichtig auftreten und dabei sehr laut reden kann. Trotzdem gilt die Ernst-Busch-Schauspielschule als eine der besten der Welt. Leider ist es aber auch wahr, dass nur wenige Absolventen eines Jahrgangs zu Stars werden. Die Konkurrenz ist zu groß. Das Castingwesen hat der Öffentlichkeit einen Typus des Selbstdarstellers beschert, gegen den der virtuose Schauspieler viel zu kultiviert wirkt. Und in jedem Wutbürger steckt ein besserer Method Actor. Was bleibt da noch übrig? Die Schauspielstudenten haben einen Ausweg gefunden. Statt einfach Plakate hochzuhalten und in stiller Treue zur eigenen Parole, allenfalls mit Trillerpfeife, zu protestieren, machen sie ein Happening. Als vergnüglich kostümierte Musikantentruppe zogen sie durch die Straßen. Sie sind Schauspieler, sie wussten, man kann ihnen nicht trauen, aber man sollte sich ihnen auch nicht entziehen können. Das ähnelte Hamlets fahrendem Theater, mit dem der Dänenprinz die Machenschaften bei Hofe zu entzaubern suchte. „Wir wollen das öffentliche Leben hacken“, sagt ein 26-Jähriger im zweiten Studienjahr. Es ist die Stunde der Schauspielerdemonstranten. Und am Ende setzen sie sich gegen die Politik durch. Sie dürfen nach Mitte, mehr Geld kriegen sie nicht. Berlin hat diese Auffrischung seines Protestwesens gutgetan. Klaus Wowereit haben sie damit demaskiert. Es gibt einen Videomitschnitt davon. Er könne nichts tun, sagte der Regierende Bürgermeister. Als ihn die Nachwuchsschauspieler beim Theatertreffen auf seine Richtlinienkompetenz ansprachen, da musste er lachen. Die Sache mit dem Großflughafen war da noch nicht passiert. Der könnte nun wegen der Verschiebung des Betriebs 15 Millionen Euro Mehrkosten im Monat verursachen. Das Geld von nur vier Tagen davon hätte den Ärger mit den Studenten gar nicht verursacht.

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