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Leily aus Afghanistan.

© Mike Wolff

Protokolle Berliner Flüchtlinge: Nahaufnahmen

Wer darf kommen und wohin mit denen, die da sind? Das Thema Flüchtlingspolitik ruft nicht erst seid AfD und Pegida gesellschaftliche Grundsatzkonflikte hervor. Um wen genau es da geht, gerät leicht aus dem Blick - auch weil viele der hier Gelandeten nicht die Öffentlichkeit suchen. Hier erzählen sieben von ihren Erlebnissen, ihren Plänen - und von ihrem Berlin.

„Von jetzt an möchte ich nur noch lachen und malen.“

Als 2001 in ihrer Heimat Afghanistan der Krieg ausbrach, war Leily zwei Jahre alt. Mit ihrer Familie floh sie in den Iran, wo afghanische Flüchtlinge diskriminiert werden, etwa nicht zur Schule gehen dürfen. 2014 gingen Mutter und Tochter zurück, Leilys Vater und ein Bruder waren in der Zwischenzeit verstorben. Ohne den Schutz der Familie bekam Leily immer mehr Schwierigkeiten mit Männern, über die sie nicht sprechen möchte. Sie und ihre Mutter beschlossen, den älteren Brüdern nach Deutschland zu folgen. Seit zwei Wochen wohnt Leily in dem neu eröffneten Containerdorf in Köpenick. Ihr Aufenthalt ist zunächst bis 2016 gestattet.

Mir geht es hier sehr gut, weil ich in Sicherheit bin. Viele Mädchen haben Probleme in Afghanistan, wo ich herkomme, weil sie mit alten Männern verheiratet werden sollen.

Ich übrigens auch. Aber ich möchte mit keinem 70-jährigen Mann zusammen sein. Ich möchte über mich selber bestimmen. Gemeinsam mit meiner Mutter bin ich vor 15 Monaten nach Deutschland gekommen. Drei Monate davon war ich alleine hier. Wir hatten uns in Griechenland verloren, sie war noch auf der Insel Mykonos, als ich in Athen ins Flugzeug gestiegen bin – die ganze Flucht ist eine lange Geschichte, das würde hier zu weit führen. Wir wussten aber, dass wir uns in Berlin wiedertreffen würden, hatten das zumindest fest vor. Die erste Zeit hier war verrückt und stressig für mich. Weil ich minderjährig war, wurde mir ein Betreuer zugeteilt. Er hat dann meine Mutter für mich gefunden.

Zu Deutschen habe ich keinerlei Kontakt, nur zu meinen Freunden aus den Kursen. Sie sind alle Flüchtlinge, kommen aus Afrika und Asien. Ich lerne mit ihnen Deutsch, Englisch und Mathe. Die Schule befindet sich in der Nähe des Görlitzer Bahnhofs. Die Fahrt von Köpenick dauert eine Stunde. Das ist zwar lang, aber es ist immerhin kürzer als von Spandau aus, wo ich vorher gewohnt habe.

"Es ist alles besser als Afghanistan"

Meine Heimat ist die Provinz Herat. Sie befindet sich im Westen Afghanistans an der Grenze zum Iran. Dort gibt es keine Busse. Die Straßen sind fast alle kaputt. Wir hatten ein sehr einfaches Leben. Es ist nicht schlimm, in den Containern zu leben. Alle sind sehr nett zu mir. Es ist alles besser als Afghanistan. Aber die Wände sind sehr hellhörig. Ständig hört man Musik und die Stimmen der anderen. Und die Männer lassen mich auch hier nicht wirklich in Ruhe. Das macht es mir sehr schwer.

Mein Vater ist gestorben, als ich zwei Jahre alt war. Ich kann mich kaum an ihn erinnern. Meine zwei Brüder leben in Deutschland. Sie sind schon älter und sehr nett. Meine anderen beiden Brüder sind gestorben. Den einen kannte ich nicht, er hatte in Deutschland einen Autounfall. Mein anderer Bruder ist vor sieben Jahren an Krebs gestorben. Ich bin immer noch sehr traurig, wenn ich an ihn denke.

Meine Mutter ist deswegen auch sehr nervös. Ich teile mir mit ihr ein Zimmer. Abends weint sie immer. Während sie schläft, träumt sie und weint laut. Immer. Mitten in der Nacht schrecke ich auf. Ein Arzt hat ihr Tabletten verschrieben, von denen sie sehr müde geworden ist. Also hat sie beschlossen, sie nicht mehr zu nehmen.

Sie war Näherin in Afghanistan, aber hier darf sie nicht arbeiten.

Für ein Jahr sind wir gestattet, aber ich möchte nie wieder zurück müssen.

Gerade bin ich froh. Wir haben eine Wohnung in Rudow gefunden, ich bekomme ein eigenes Zimmer. Ich male gerne, am liebsten Porträts. Ich wünsche mir, dass ich zur Schule gehen, einen Abschluss machen und Kunst studieren kann. Von jetzt an möchte ich nur noch lachen und malen.

"Die ersten Monate waren wie Gefängnis, nur ohne Folter."

Mhammad aus Syrien.
Mhammad aus Syrien.

© Mike Wolff

Mhammad entschied sich für die Flucht aus seiner Heimat, als er zum wiederholten Male vom syrischen Sicherheitsdienst vernommen und gefoltert werden sollte. Überrascht von der chaotischen Asylpolitik in Deutschland organisiert der 26-Jährige nun nicht nur seinen Alltag in der Erstaufnahme Pankstraße, sondern versucht auch, den anderen Bewohnern bei ihrem zu helfen.

Ich hatte diesen Traum, dass auch Syrer es verdient hätten, an einem Ort zu leben, an dem Menschenleben respektiert werden und an dem man seitens des Staates als anständiger Mensch nichts zu befürchten hat. Als politischer Aktivist habe ich das Gefängnis schon vor dem Arabischen Frühling 2011 von innen gesehen. Als ich dann zum ersten Mal gesehen habe, wie Menschen in Syrien auf die Straße gegangen sind, um sich gemeinsam und in aller Öffentlichkeit für die Freiheit auszusprechen, dachte ich nur: Das ist meine Chance auf ein freies Syrien. Ein Land, in dem meine Kinder in Sicherheit aufwachsen können. Ich habe an den Protesten und Aktionen gegen die Regierung teilgenommen.

2012 bin ich wegen politischer Aktivitäten zwei Monate lang im Gefängnis gewesen. In dieser Zeit habe ich sehr viel Folter und Schmerz erlebt: Du wachst morgens um 9 Uhr auf und du wirst bis abends um 8 Uhr gefoltert. Aber irgendwie ist die Zeit vorbeigegangen und letztlich bin ich freigekommen. Mehr möchte ich darüber jetzt gar nicht erzählen.

Ich habe nie darüber nachgedacht, Syrien zu verlassen. Auch nach diesen Ereignissen nicht. Aber als der Geheimdienst wieder zu mir kam, war mir klar: Lieber werde ich mein Leben beenden, als jemals wieder mit denen mitzugehen. Innerhalb einer Minute habe ich mich entschieden: Ich floh über die jordanische Grenze in die nächstgrößere Stadt, wo ich meinen Master in Wirtschaft machen konnte. Aber Syrer sind in den Nachbarländern nicht wirklich willkommen, es gibt dort auch nicht genug Arbeit für einen wie mich. Im September 2014 entschloss ich mich also, nach Deutschland zu gehen und politisches Asyl zu beantragen.

Deutschland ist weltweit eines der höchstentwickelten Länder und als demokratischer Staat dafür bekannt, die Menschenrechte zu respektieren. Ich dachte also: Das erste Mal nach sehr langer Zeit werde ich als menschliches Wesen behandelt werden.

"Das Leben besteht vor allem aus Warten"

Bereits bei meinem ersten Besuch im Sozialamt fiel mir aber auf, dass es dort ziemlich chaotisch herging. Ich stellte meinen Antrag und mir wurde eine Unterkunft zugeteilt, die am selben Tag erst eröffnet wurde. Man sagte mir: Eigentlich haben wir nicht genügend Toiletten und Betten. Wenn du Freunde hast, schlafe besser bei ihnen.

Also ging ich und schlief erst mal bei Freunden. Nach einer Woche kam ich zurück, da begann mein Leben als Flüchtling in Deutschland richtig. Dieses Leben besteht vor allem aus Warten. Ich wartete den ganzen Tag. Ich bin ein sehr aktiver Mensch und nun passierte eben gar nichts. Es erinnerte mich ans Gefängnis, nur eben ohne Folter. Du wartest, dass der Tag enden wird. Diese ersten zwei Monate in der Pankstraße waren verdammt schwer.

Die einzige Möglichkeit, Berliner kennen zu lernen, war, wenn Nachbarn in der Unterkunft vorbeikamen, um Spenden abzugeben. Aber ich brauche es, Menschen zu treffen. Die Organisation „Wedding hilft“ veranstaltete ein Weihnachtsessen mit unseren Bewohnern und Anwohnern aus dem Kiez. Ich hatte wirklich tolle Gespräche mit den Deutschen. Außerdem begann ich, Projekte innerhalb der Unterkünfte aufzubauen. Ich liebe Musik, spiele Klavier und Klarinette. Gemeinsam mit einer Freundin, Mariangela, machte ich mit den Kindern Musik. Wir klatschten einfach in die Hände und vermittelten so Grundlagen des Rhythmus. Oder wir zeigten Filme. Wir versuchten, den Alltag der Flüchtlinge und auch unseren mit Sinn zu füllen.

Nach drei Monaten sollen Flüchtlinge einen kleinen Betrag erhalten, damit sie aus den Notunterkünften ausziehen können. Aber viele bleiben länger. Nach drei Monaten und vier Tagen habe ich das Transferschreiben bekommen, mit dem ich aufgefordert wurde, die Erstaufnahmestelle zu verlassen. Man bat mich zu einem Termin in das Sozialamt in die Turmstraße. Ich fuhr also hin. Dort wurde mir klar, dass das System wirklich chaotisch ist. Nach meiner Zeit im Gefängnis waren die folgenden Tage die schlimmsten, die ich je erlebt habe:

Pünktlich um 7 Uhr kam ich am Sozialamt an, um so früh wie möglich den Brief im Empfang zu nehmen, um weiter in die nächste Unterkunft zu ziehen. Die Behörde befindet sich in einem Container auf dem Hof, sodass man im Freien wartet.

"Ich bin ein selbständiger Mensch, ich kann das regeln"

Es war Dezember und wirklich sehr kalt. Nicht einmal Deutsche sind es gewohnt, in dieser Kälte zu stehen. Man kann sich nicht großartig bewegen, denn sonst würde man ja seinen Platz in der Warteschlange verlieren. Es ist auch verboten, ein anderes Gebäude zu betreten, um dort einen Automatenkaffee zu kaufen.

Knapp hundert Flüchtlinge warteten also stundenlang in einer Schlange, um eine Nummer zu ziehen, um dann drei bis vier Stunden zu warten, um in das Gebäude zu kommen, nur um dann unter Umständen zu hören: Bitte gehen Sie in ein anderes Haus!

Um 8 Uhr am Abend sagten mir die Mitarbeiter, dass sie nun schließen würden und ich morgen wiederkommen solle. Es folgten drei Tage, die exakt genau so abliefen. Als ich zu der Frau ging, die für meinen Fall verantwortlich schien, sagte sie mir, sie habe ein technisches Problem und gab mir einen weiteren Termin. Am nächsten Tag erhielt ich meine Wartenummer. Aber als ich zum Informationsschalter ging, schickten sie mich wieder fort. Letztlich ging ich zu einer anderen, wichtigeren Frau in den oberen Etagen, die eigentlich nicht direkt mit Flüchtlingen zu tun hat, und fragte sie: Warum schicken Sie mir ein Transferschreiben und ordern mich hierher, wenn mein Fall noch gar nicht bearbeitet ist? Wieso haben Sie ein technisches Problem, dass Sie nicht lösen können? Sie sagte mir, dass ich nicht befugt sei, zu ihr zu kommen. Ich sagte: „Aber ich bin hier.“ Ihr Vorgesetzter gab mir dann eine Sonderbescheinigung. Letztlich habe ich eine Aufenthaltsgenehmigung für die nächsten drei Jahre erhalten.

Die meisten Deutschen, die in die Unterkünfte gekommen sind, haben Spenden vorbeigebracht und uns mit mitleidigen Augen betrachtet. Aber ich möchte nicht den Rest meines Lebens über Mitleid kategorisiert werden. Ich bin ein selbstständiger Mensch, ich kann das regeln. Ich werde einen Deutschkurs belegen und wieder wie ein Kind sein. Noch nie in meinem Leben habe ich einen Buchstaben wie „ä“ gesehen. Auch „Ich“ wird schwer sein zu lernen. Also, es auszusprechen. Das Problem ist nur, dass ich „Ich“ sagen muss, wenn ich etwas haben will und wenn ich mich vorstelle. Vielleicht versuche ich es mit „Ick“. Ich würde sehr gerne meinen Abschluss in Politischer Ökonomie anerkennen lassen und wieder an der Universität arbeiten.

Update 2. April 2015: Inzwischen hat Mhammad ein WG-Zimmer in Wedding bezogen. 

"Seit über einem Jahr suchen wir eine Wohnung."

Hanita aus dem Iran.
Hanita aus dem Iran.

© Mike Wolff

Ohne ein Wort Deutsch sprechen zu können, wurde Hanita mit sechs Jahren in einer Grundschule in Weißensee eingeschult. Noch immer ist die Iranerin das einzige Kind aus der Klasse, das in einer Unterkunft für geflohene Menschen wohnt. Zu ihrem achten Geburtstag im März wünscht sie sich nicht nur eine neue Bleibe.

Mein Name ist Hanita. Ich bin sieben Jahre alt und gehe in die Klasse 2b. Meine Lehrerin heißt Frau Schübel. Ich gehe gerne zur Schule, am liebsten mag ich Mathe und Sport. Ich bin ganz gut in Mathe. Aber Lesen fällt mir auch ganz leicht. Meine Mama oder mein Papa bringen mich jeden Tag von Pankow aus, wo wir in dem Flüchtlingsheim an der Mühlenstraße leben, mit dem Bus zur Schule nach Weißensee.

Manchmal fahren dann auch Kinder mit, die ich kenne. Aus meiner Klasse bin ich die Einzige, die in einer Flüchtlingsunterkunft wohnt. Ich habe Freundinnen. Sie heißen Magdalena, Sarah, Asja und Michaela. Am 14. März habe ich Geburtstag. Vielleicht feiern wir gemeinsam. Ich wünsche mir ein Fahrrad und einen Spielzeugdrachen.

Im Iran ist meine Mutter Englisch- und Kunstlehrerin gewesen. Jetzt macht sie ein Praktikum im Upsala Kinderladen in Pankow. Sie arbeitet vormittags und nachmittags. Dazwischen holt sie mich von der Schule ab. Es gefällt ihr ganz gut. Sie hilft dort in der Küche, macht Handarbeit und näht mit den Kindern. Dabei lernt sie, Deutsch zu reden. Das Verstehen fällt ihr noch schwer. Wir haben zwar eine Aufenthaltsgestattung, aber auch mein Papa darf noch nicht richtig arbeiten. Er ist Bankkaufmann und Psychologe. Beide haben schon mit der Kunsthochschule in Weißensee Kunstprojekte gemacht. Ich glaube, es hat ihnen sehr gefallen, mit anderen Menschen als denen im Heim zusammen zu sein.

Wir wohnen alle hier in einem Zimmer. Dusche, Toilette und Küche teilen wir uns mit den anderen Bewohnern. Seit über einen Jahr suchen wir eine Wohnung. Wir haben überall geguckt, in Pankow, Weißensee und Buch. Aber wir haben noch nichts gefunden.

"Das Erste, was ich gemacht habe: Döner essen..."

Mergim aus dem Kosovo.
Mergim aus dem Kosovo.

© Mike Wolff

"... und dann bin ich weiter zu meinem alten Zuhause.“

Als Sohn zweier Kriegsflüchtlinge ist Mergim in Berlin geboren und mit neun Jahren in den Kosovo abgeschoben worden. Er spricht bis heute fließend Deutsch. Jetzt bemüht sich der mittlerweile 19-Jährige um erneuten Einlass in das Land, das er Heimat nennt. Während sein Antrag geprüft wird, wohnt Mergim in einer umgebauten Sporthalle an der Waldschulallee.

Ich bin 1995 in Reinickendorf geboren und in Hohenschönhausen aufgewachsen: Zingster Straße 4, 6. Stock. Hier bin ich auch in die Grundschule gegangen. Meine Klassenlehrerin hieß Frau Müller. Ich war kein schlechter Schüler, hatte lauter Zweien, nur eine Drei in Mathe.

Vom Krieg im Kosovo habe ich nicht viel mitbekommen. Ich kenne nur die Geschichten meiner Eltern, die sagen, dass es ein sehr schlechter Krieg für uns war. Die Serben haben sehr viele Menschen getötet. Mein Vater ist 1992 nach Berlin gekommen. Hier hat er meine Mutter kennen gelernt, die auch geflohen war. Sie wurde wie ich in einem Auto mitgenommen. 2004 haben die Deutschen uns und meine zwei Brüder in den Kosovo zurückgeschickt.

Vor zwei Wochen bin ich in Berlin angekommen. Mein ganzes Geld habe ich einem Mann gegeben. Ich bin hinten in den Van eingestiegen, den Fahrer habe ich nicht gesehen. Während der Fahrt habe ich geschlafen, Musik gehört. Ganze zwei Tage. Da hinten auf der Ladefläche war es dunkel. Als ich rauskam, dachte ich nur: „Wow, ich bin in Deutschland.“

Das Erste, was ich dann gemacht habe: Ich bin nach Hohenschönhausen gefahren und habe im Linden-Center einen Döner gegessen. Dann bin ich zu unserer alten Wohnung gegangen. Alles sieht noch immer so aus wie damals. Ich habe meine Freunde von früher gesehen. Die konnten es aber gar nicht glauben, dass ich wieder da bin. Sie haben gesagt: Du bist nicht Mergim. Aber ich habe gesagt: Doch, ich bin es. Sie haben mich wirklich nicht mehr wiedererkannt.

"Ich würde meiner Familie nicht erzählen, dass es mir nicht gut geht"

Ich möchte hier studieren und arbeiten. Jetzt bin ich über 18 Jahre alt und ich meine: Ich bin in Berlin geboren, also gehöre ich hierhin. Die Schulen im Kosovo sind schlecht. Ich habe die zwölfte Klasse einer Wirtschaftsschule beendet. Aber es gibt einfach viel zu wenig Arbeit. Ich habe die unterschiedlichsten Jobs gemacht, hier und da. Man verdient 250 Euro im Monat. Über acht Monate habe ich das Geld, das ich in einer Küche verdient habe, für die Fahrt gespart. Von der Ausländerbehörde in der Turmstraße haben sie mich zum Sozialamt verwiesen. Das hat mich hierhergeschickt. Nun wird mein Asylantrag bearbeitet.

Meine Eltern leben im Kosovo. Wir mailen uns, manchmal telefonieren wir auch. Ich sage ihnen, dass es mir gut geht. Ich bin der Kleinste der Familie. Ich bin hier alleine. Dass es mir nicht gut geht, würde ich ihnen nicht erzählen. Sie wissen, dass es hier sehr schwer ist, Arbeit zu finden. Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Wie sie hier über meinen Antrag entscheiden.

Ich rede viel mit den Menschen hier. Ich spreche Deutsch und Albanisch. Neun Jahre war ich nicht in Deutschland, das ist eine lange Zeit, dennoch habe ich nichts verlernt. Ich habe immer mit meinen Brüdern Deutsch gesprochen. Jetzt helfe ich den wenigen Sozialarbeitern hier in der Unterkunft, indem ich übersetze, und erkläre den anderen Flüchtlingen, wie man sich BVG-Tickets kaufen kann, mit welchen Straßenbahnen man wohin kommt. Die Menschen sind dankbar dafür. Am Hauptbahnhof habe ich einen erwachsenen Mann getroffen, der geweint hat, weil er nicht wusste, wo die Kruppstraße ist. Er hatte Angst. Ich habe ihn gefragt: „Wieso bist du nach Deutschland gekommen, wenn du Angst hast?“

Ich habe ihm natürlich geholfen. Die meisten wollen aus dem Kosovo weg, einfach weg. Es ist nicht alles schlecht da. Aber es gibt weder Arbeit noch Geld. Wie sollen er und ich da jemals eine Familie gründen?

Ich gehe viel spazieren. Selbst, wenn ich den Weg nicht kenne, ich habe kein Problem, irgendetwas zu finden. Ich meine, Berlin, das ist meine Stadt! Darf ich noch wen grüßen? Also gut: Ich grüße meine Mama und Frau Merkel.

Update 2. April 2015: Mergim macht im Rahmen des Ausbildungsprogramms für Flüchtlinge "Arrivo" ein mehrwöchiges Praktikum.

"Ich wollte nach Schweden. Über Deutschland wusste ich wenig."

Statt eines Porträts: Zeichnung von Mohamed aus Syrien.
Statt eines Porträts: Zeichnung von Mohamed aus Syrien.

© Illustration: privat

Wie viele junge Männer ist der 27-jährige Mohamed alleine aus Syrien geflohen, weil er nicht mit dem Militärregime kooperieren wollte. Gemeinsam mit drei anderen Männern teilt sich der Architekt seit fünf Monaten ein Zimmer in der Erstaufnahme Gotenburger Straße in Wedding. Dort ist auch die Zeichnung entstanden, die er lieber als ein Foto von sich in der Zeitung sehen möchte.

Ich habe mir schon viel von der Stadt angesehen. Gemeinsam mit den anderen Bewohnern und ihren Kindern bin ich zum Schlittschuhlaufen am Alexanderplatz gewesen. Ich war am Potsdamer Platz und am Reichstag. Der Tag, an dem ich dort gewesen bin, war ein Feiertag. Nazis standen auf der großen Wiese davor. Sie wollten zum Gedenken an Hitler Lichtballons in die Höhe steigen lassen. Silvester wollte ich am Brandenburger Tor feiern, aber ich bin nicht durch die Absperrung gekommen. Es waren einfach zu viele Menschen. Sie haben gefeiert und getrunken. Das Feuerwerk war dann aber wirklich erstaunlich.

In meiner Heimat wurde ich sechzehn Tage vom Militär festgehalten. Nach meiner Rückkehr haben meine Eltern und ich sofort das Nötigste gepackt und sind mit einem Taxi zur türkischen Grenze gefahren. Von dort aus bin ich alleine weiter. Mit einem Boot bin ich von einer Insel zur nächsten. Nach zwölf Stunden habe ich es mit zehn anderen Männern auf eine griechische Insel geschafft. Dort darf man sechs Monate bleiben, dann schicken sie Flüchtlinge wieder zurück. Mit gekauften Papieren wollte ich eigentlich nach Schweden weiter, doch auf dem Weg hat mich die Polizei in Hamburg erwischt. „Herzlich willkommen in Deutschland“, sagten die Polizisten zu mir, ganz freundlich. Ich war sehr überrascht. Ich wusste nicht viel über Deutschland.

"Mir fehlt es zu arbeiten"

Es macht mir nichts aus, in einer Schule zu wohnen. An den Wänden hängen das Periodensystem und Bilder von einer Computertastatur. Auf meinem Zimmer leben Männer aus verschiedenen Kulturen, das macht es manchmal schwierig. Es gibt wenige Toiletten. Aber ich werde demnächst mit zwei Kurden in ein anderes Zimmer ziehen. Wenn ich aus dem Fenster schaue, blicke ich auf eine andere Schule, die vor etwa 120 Jahren gebaut wurde. Sie sieht toll aus, wenn es regnet und das Wasser das Dach herunterläuft. Das Bild ändert sich ständig, das ist schön. Es ist ein beeindruckender Bau, aus stabilem Stein.

In Syrien gibt es viele Häuser, die genauso alt und sehr marode sind. Die Schule erinnert mich eher an Gebäude, die noch älter sind, an die Architektur des Osmanischen Reiches mit den vielen Ornamenten.

In syrischen Häusern sieht es oft aus wie in dieser Bar, in der wir sitzen: unverputzte Steinwände, die die Wärme speichern. In dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin, hatten wir einen solchen Raum, in dem man Gäste empfangen hat. Mein Vater hatte in den Regalen Andenken von den Orten, an denen er gewesen ist. Wie ein kleines Museum. Ich weiß nicht, ob das Haus noch steht. Drumherum wurde vieles zerstört.

Zu meinen Freunden habe ich über Facebook Kontakt. Ich vermisse sie und meine Familie. Meine Heimatstadt liegt nur eine halbe Stunde Autofahrt von Aleppo entfernt. Sie ist bekannt für den Olivenanbau. So habe ich mir auch mein Studium finanziert: Ich habe Oliven gesammelt und sie in der Stadt verkauft. Ich habe in Aleppo Architektur studiert und mit einem Architekturbüro Projekte realisiert. Wir haben auch eine Basketballhalle gebaut. In dem Refugium, in dem ich lebe, gibt es eine Turnhalle. Leider können wir sie nicht benutzen, der Boden sackt ab und müsste saniert werden. Mir fehlt es zu arbeiten. Ich würde sehr gerne meinen Abschluss hier anerkennen lassen und meine Kenntnisse einbringen. In Syrien sind Architekten Ingenieure. Aber ich habe gehört, dass sie in Deutschland eher den Status von Künstlern haben.

Update 2. April 2015: Seit Erscheinung des Artikels hat Mohammed zwei Mal die Unterkunft gewechselt und wohnt in einer Flüchtlingsunterkunft in Kreuzberg.

"Hier kann mein Sohn richtig behandelt werden."

Mira aus Serbien.
Mira aus Serbien.

© Mike Wolff

Weil sie sich die medizinische Versorgung in Serbien nicht leisten kann, ist Mira mit ihrem Sohn nach Deutschland gekommen. Der zweijährige Marco leidet seit seiner Geburt an Epilepsie. Die 37-jährige Mutter wohnt mit Marco noch in der Erstaufnahmeeinrichtung am Askanierring in Spandau, zwischendurch waren sie bereits zur stationären Behandlung im Krankenhaus Westend. Was ihre eigenen Ziele und Pläne sind, klammert Mira im Gespräch aus. Hier geht es zunächst einmal um ihr Kind.

Marco leidet seit seiner Geburt an Epilepsie. Im August wird er drei Jahre alt. Die Anfälle treten regelmäßig auf. In den letzten Monaten vor der Abreise waren sie besonders schlimm. Ich hatte sehr große Angst um ihn. Als es Marco besser ging, habe ich beschlossen, mit ihm und meinem anderem Sohn nach Deutschland zu gehen. Das war Ende November.

Seither habe ich mehr Hilfe bekommen als in den vergangenen Jahren zusammen. In Serbien konnten mir die Ärzte nicht helfen. Ich bin Roma, aber ich habe keinen Unterschied in der medizinischen Betreuung erlebt. Die serbischen Ärzte sind liberal eingestellt. Aber sie sind schlecht ausgestattet. Die allerwenigsten haben Spezialgeräte. Und es gibt zu wenige Fachärzte. Es ist also eher eine Frage des Geldes.

Ich bin zwar krankenversichert, aber bis zum vierten Lebensjahr muss ich die Kosten für die Medikamente selber übernehmen. Die sind sehr teuer. Die Mittel, die Marco bräuchte, liegen mittlerweile bei 100 Euro monatlich. Das betrifft alle Kinder, die diese Krankheit diagnostiziert bekommen haben. Als Sozialhilfeempfängerin stehen mir daheim in Serbien 150 bis 200 Euro im Monat zur Verfügung. Bis zu der Geburt von Marco habe ich gearbeitet. Aber seitdem bin ich 24 Stunden am Tag für ihn da – und muss das auch sein.

"Ich bin den Ärzten dankbar"

In Berlin hat mich der Kinderarzt sofort sehr ernst genommen und hat alles versucht, dass Marco schnell einen Termin im Krankenhaus bekommt. Vor drei Tagen sind wir aus dem Westend entlassen worden. Die Ärzte haben Untersuchungen an Marco vorgenommen, ein MRT gemacht. Sie haben die Organe geröntgt und kontrolliert, ob sie beschädigt sind.

Sie sind es nicht. Auch haben die epileptischen Anfälle bisher nicht sein Gehirn beschädigt. Durch eine medizinische Betreuung hätten Marcos motorische Störungen verhindert werden können. Er bekommt jetzt neue Medikamente und eine spezielle Therapie. Die Anfälle sind seitdem weniger geworden. Im nächsten Monat stehen dann schon wieder weitere Untersuchungen an und wir werden wieder für einige Tage ins Krankenhaus gehen.

Ich bin den Ärzten dankbar und ich fühle mich hier sehr wohl, weil ich die medizinische Versorgung für meinen Sohn bekomme, die er braucht. Natürlich ist nicht alles perfekt. Kinder sind nie ruhig, egal ob sie gesund oder krank sind. Aber Marco ist ein sehr lieber Patient. Wir waren heute zur Kontrolle. Alle auf der Station lieben ihn, haben ihn geküsst und liebkost. Ob Marco und ich hierbleiben dürfen, ist aber allein die Entscheidung der Behörden. Wir müssen also abwarten.

"Früher waren wir Jugoslawen, heute werde ich gehasst."

Lilijana aus Serbien.
Lilijana aus Serbien.

© Mike Wolff

Ende 2014 hat der Bundesrat die Balkan-Staaten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sogenannte sichere Herkunftsländer eingestuft. Weil Lilijana trotz massiver Angriffe aber als Roma in Serbien nicht geschützt wird, will sie sich ein Leben in Berlin aufbauen. Vor wenigen Tagen hat die Ausländerbehörde den Aufenthalt der 31-Jährigen für einen Monat verlängert. Bis das Wintermoratorium, das Abschiebungen im Winter verbietet, wahrscheinlich auch für sie enden wird, lebt Lilijana noch in der Erstaufnahme Gotenburger Straße.

Heim ist Heim. In der Unterkunft, in der ich vorher gelebt habe, in der Motardstraße in Spandau, war die Security machtlos. Sie hat weggesehen, wenn es unter den Bewohnern zu Streit kam. Die Stimmung war sehr aggressiv, daher bin ich die meiste Zeit in meinem Zimmer geblieben. Aber dort, wo ich derzeit wohne, gefällt es mir. Anfangs haben meine Eltern und ich uns ein Zimmer mit zwei anderen Familien aus Turkmenistan geteilt. Wir haben miteinander Russisch geredet. Ich helfe dem Personal in der Küche, die Arbeit lenkt mich ab. Mich belastet das Warten sehr, und dass ich nicht weiß, wie die Ausländerbehörde letztlich über uns entscheiden wird. Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Ich möchte in keiner anderen Stadt als Berlin bleiben. Ich möchte Deutsch lernen und hier arbeiten. Ich möchte mich sicher fühlen.

"Wir sind Hals über Kopf geflohen"

Warum genau ich hierher gekommen bin, darüber möchte ich lieber nicht reden. Nur so viel: Ich komme aus Zrenjanin. Die Serben, die dort leben, mögen keine Albaner und Roma. Ich wurde fast täglich bedroht und habe mich deshalb auch nicht mehr alleine auf die Straße getraut.

Früher waren wir alle Jugoslawen. Damals gab es noch keine Nationalisten. Ich war 15 Jahre alt, als die Nato Serbien und meine Region bombardiert hat. Sie haben eine Brücke getroffen, die nicht weit von unserem Haus entfernt stand. Wir mussten uns verstecken. Ich habe sehr viel Zeit im Bunker verbracht. Das war sehr schwer, vor allem für meine zuckerkranke Großmutter. Sobald der Krieg vorbei war, wurde zwischen Serben und Nichtserben unterschieden. Seitdem werde ich als Roma beschimpft. Die Nationalisten hassen Menschen wie mich. Deswegen bin ich auch nie richtig zur Schule gegangen.

Ich habe es natürlich versucht. Doch vor den Augen der Lehrer wurde ich bedroht und verprügelt. Weil sie es nicht geschafft haben, etwas dagegen zu unternehmen, hat mein Vater beschlossen, dass ich nicht mehr zur Schule gehe. Er hat mir zu Hause Lesen und Schreiben beigebracht. Später habe ich mich um meine kranke Mutter gekümmert. Mein Vater hat in einer Wurstfabrik gearbeitet. Bis vor sieben Monaten. Ich weiß bis heute nicht, was vorgefallen ist, aber nachdem er das letzte Mal von der Arbeit kam, sind wir Hals über Kopf geflohen. Er hat noch nicht einmal gekündigt.

Update 2. April 2015: Lilijana ist inzwischen freiwillig und auf eigene Kosten nach Serbien zurückgekehrt.

Dieser Beitrag erschien am 28. Februar 2015 gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin.

Lena Reich

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