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Berlin: Provokation ohne Not

„Jyllands-Posten“ hätte die Mohammed-Karikaturen nicht drucken sollen Von Richard Schröder

Der Streit um die Mohammed-Karikaturen könnte noch heftiger werden. Wie lässt er sich beilegen? Die Forderung nach einer Bestrafung der Zeichner und der Zeitungen ist unerfüllbar. Die Karikaturen sind durch die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit und die Freiheit der Kunst gedeckt. Auch die Forderung nach einer Entschuldigung der Regierungen ist unerfüllbar. Die Regierung kann sich nicht für etwas entschuldigen, das außerhalb ihrer Zuständigkeit liegt. Sollten also die Zeitungen, die die Karikaturen veröffentlicht haben, sich entschuldigen? Diese Antwort ist schwieriger.

Diejenigen Zeitungen, die nunmehr ihre Leser in Text und Bild darüber informieren, worüber gestritten wird, können sich nicht entschuldigen. Wir erwarten von ihnen, umfassend informiert zu werden, um uns unser eigenes Urteil zu bilden.

Keine Zeitung braucht sich dafür zu entschuldigen, dass sie das islamische Bilderverbot nicht beachtet, auch nicht in Bezug auf Mohammed, so wenig sich jemand von uns dafür zu entschuldigen hat, dass er Schweinefleisch gegessen hat, obwohl das für Muslime und Juden ein Gräuel ist. Weil wir keine Muslime sind, gelten spezifisch islamische Verbote für uns nicht.

In Europa wurde bis ins 19. Jahrhundert Gotteslästerung bestraft. Der entsprechende Paragraph wurde schließlich gestrichen. Er widerspricht der weltanschaulichen Neutralität des Staates. Auch die Verletzung religiöser Gefühle wird nicht mehr bestraft, weil unter den Bedingungen des weltanschaulichen Pluralismus Meinungsäußerungen als solche die religiösen Gefühle anderer verletzen könnten. Außerdem sind religiös begründete Meinungen, Haltungen oder Handlungen nicht über jede Kritik erhaben, wie die Kirchengeschichte selbst belegt, die man auch als eine Geschichte innerchristlicher Kritik schreiben könnte. Jedes Mal fühlten sich andere Christen durch solche Kritik in ihren religiösen Gefühlen verletzt. Verboten sind lediglich öffentliche Beschimpfungen religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Denn der Staat ist nicht für die Wahrheit, sondern für Frieden und Gerechtigkeit zuständig.

Diese Beschränkung der Religionsdelikte beruht auf der Unterscheidung von Staat und Religion. Für den Christen verbietet sich weiterhin Gotteslästerung, gemäß dem zweiten Gebot. Aber der Staat kümmert sich nicht mehr darum. Jene Beschränkung beruht aber auch auf der Unterscheidung von Recht und Moral. Im Namen der Freiheit wird auch solches nicht bestraft, das moralisch verwerflich ist. Dennoch bleibt es moralisch verwerflich.

Ein dänischer Kinderbuchautor fand keinen Illustrator für ein Buch über das Leben Mohammeds, weil die Zeichner Angst hatten, mit diesem Verstoß gegen das islamische Bilderverbot Opfer fanatischer Muslime zu werden. Als das ein Journalist erfuhr, fand er das verständlicherweise skandalös. Statt aber nun öffentlich Illustratoren für das Kinderbuch zu suchen, fragte die Zeitung „Jyllands-Posten“ bei der Vereinigung der dänischen Zeitungskarikaturisten an, wer bereit ist, Mohammed-Karikaturen zu liefern und veröffentlichte sie. Sie musste wissen, was sie tat. Sie wollte mal ausprobieren, wie weit sie gehen kann. Doch ohne Not eine Religionsgemeinschaft zu beleidigen, ihre religiösen Gefühle zu verletzen, ist moralisch nicht zu rechtfertigen. „Ohne Not“ ist dabei entscheidend. Denn jede Beschuldigung, auch die berechtigte, wird der Betroffene als Beleidigung zurückweisen, oft, um seine Schuld so zu verstecken. Daraus darf kein Kritikverbot abgeleitet werden.

Sogar eine Provokation kann moralisch gerechtfertigt sein, wenn sie unvermeidbar ist, um einen faulen Frieden zu beenden, der einen Missstand verkleistert.

Provokation um der Provokation willen ist aber nie moralisch gerechtfertigt Allein dafür, für die Provokation ohne Not, für einen Freiheitsgebrauch ohne Umsicht, sollte sich jene Zeitung entschuldigen. Freilich setzt sie sich nunmehr dem Verdacht aus, dass sie das nicht aus Einsicht tut, sondern weil der Absatz dänischer Waren in islamischen Ländern stockt.

Der Autor ist Theologe an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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