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Alt und gebrechlich: Der Angeklagte im Wachmann-Prozess ist inzwischen 101 Jahre alt.

© dpa/Fabian Sommer

Prozess gegen 101-Jährigen: Mutmaßlicher SS-Wachmann äußert sich erstmals zu Rolle im Krieg

Er habe während des Zweiten Weltkriegs in der Landwirtschaft gearbeitet, sagte der Angeklagte. Der Richter glaubt ihm nicht.

Der 101-Jährige, der als SS-Wachmann im KZ Sachsenhausen tätig gewesen sein soll, hat am heutigen Donnerstag vor dem Landgericht Neuruppin erstmals über seine Tätigkeit während des Zweiten Weltkriegs ausgesagt.

Er sei von 1941 bis 1945 zum größten Teil als Landarbeiter bei Pasewalk tätig gewesen, sagte der Angeklagte in einer von seinem Verteidiger zusammengefassten Erklärung. Zuvor hatte er in dem Prozess mehrfach bestritten, als Wachmann in dem KZ gearbeitet zu haben.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, von 1942 bis 1945 Beihilfe zum Mord an Tausenden Häftlingen geleistet haben. Sie stützt sich dabei auf Dokumente zu einem SS-Wachmann mit dem Namen, dem Geburtsdatum und dem Geburtsort des Angeklagten. In dem Prozess hatte auch der Historiker Stefan Hördler Belege zur Tätigkeit des Mannes in mehreren SS-Wachkompanien geliefert.

Widersprüchliche Angaben des Beschuldigten

Der Angeklagte war 1941 als sogenannter Volksdeutscher von Litauen nach Deutschland umgesiedelt worden. Zunächst habe er in einer kleinen Firma Ersatzteile für die Wehrmacht hergestellt, hieß es in seiner Erklärung. Anschließend habe er von einem Umsiedlungslager in Pasewalk aus in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben gearbeitet. Zum Kriegsende sei er nach Kolberg abkommandiert worden, um als Zivilarbeiter Schützengräben auszuheben und Unterkünfte zu bauen. Anschließend sei er bis Juni 1946 in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen.

Der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann hielt dem Angeklagten vor, dass er bei seinem Rentenantrag im Jahr 1985 für die Zeit von September 1940 bis Mai 1945 „Wehr- und Kriegsdienst“ angegeben habe.

Dies widerspreche seinen Angaben im Prozess deutlich. Dagegen erklärte der Verteidiger Stefan Waterkamp, der Antrag sei damals bei einer Rentenberatung und nicht von seinem Mandanten persönlich ausgefüllt worden. Dazu bemerkte Lechtermann: „Ich habe ganz erhebliche Schwierigkeiten, Ihnen zu glauben, was Sie hier erzählen.“

101-Jähriger habe sich eine Scheinwelt aufgebaut

Nebenkläger-Anwalt Thomas Walther regte an, das Gericht solle eine Psychologin und weitere Sachverständige hören. Damit solle bewiesen werden, dass der Angeklagte seine Beteiligung an der Vernichtung von Leben in dem KZ verleugnet und verdrängt und sich stattdessen eine Scheinwelt aufgebaut habe. Das Gericht entschied zunächst nicht darüber.

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Der Prozess vor dem Landgericht Neuruppin findet aus organisatorischen Gründen in einer Sporthalle in Brandenburg/Havel statt. Bislang sind Termine bis in den Januar anberaumt.

Im KZ Sachsenhausen waren zwischen 1936 und 1945 nach Angaben der dortigen Gedenkstätte mehr als 200 000 Menschen inhaftiert. Zehntausende Häftlinge kamen dort durch Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit, medizinische Versuche und Misshandlungen um oder wurden Opfer systematischer Vernichtungsaktionen. (dpa)

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