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In der Defensive. Die Polizei erhöht den Druck auf Rocker – nicht nur in Berlin. Am Landgericht in der Hauptstadt läuft einer der größten Hells-Angels-Prozesse.

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Update

Prozess gegen Hells Angels in Berlin: Rockerboss und Kronzeuge sehen sich heute vor Gericht

Neun Rocker, zwei Hintermänner und der Wettcafé-Anschlag: Unter strenger Bewachung und großem Andrang beginnt am Dienstag der Prozess um die Schüsse auf einen Reinickendorfer Türken.

Ein kurzer Anschlag, aber ein monatelanger Prozess. Die Tat selbst war nach 25 Sekunden vorbei: Am 10. Januar dieses Jahres, kurz vor Mitternacht, marschieren 13 Männer in ein Wettcafé in Reinickendorf. Der erste Mann des Trupps erschießt im Hinterzimmer einen 26 Jahre alten Berliner Türken.

Am heutigen Dienstag beginnt deswegen der aufwendigste Rockerprozess der Stadt. Neun Männer sind wegen Mordes angeklagt, zwei Männer wegen Anstiftung zum Mord. Fast alle gehören sie zu den Hells Angels. Drei Monate vor dem Attentat hatte das spätere Opfer einen Hells-Angels-Türsteher mit einem Messer schwer verletzt. Aus Rache, so steht es in der Anklage, sollen die Rocker den Mann ermordet haben. In der Szene gilt weltweit: Provokationen werden bestraft, Reviere mit Gewalt verteidigt.

Rockerboss neben Kronzeuge

Erstmals steht ein Hell-Angels-Boss und fast seine komplette Crew vor Gericht: Kadir P., 30 Jahre, vorbestraft, war lange der Chef des berüchtigten Reinickendorfer Charters, so heißen die Hells-Angels-Ortsgruppen. Und ebenfalls zum ersten Mal wird ihm ein Aussteiger gegenübersitzen: Kassra Z., 27 Jahre, vorbestraft, hatte sich der Polizei als Kronzeuge angeboten.

Es wird voll: Staatsanwälte, Gutachter, Nebenkläger, Verteidiger, Journalisten

Die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm. Im Landgericht in Moabit wird der Verhandlungssaal von bis zu 30 Justizbeamten bewacht. Dazu kommt womöglich ein Spezialeinsatzkommando der Polizei. Angeklagte, Zeugen und Besucher werden schon am Eingang kontrolliert, Handys sind im Saal nicht gestattet. Zwei Staatsanwälte, vier Nebenkläger, zehn Gutachter, 20 Journalisten und 25 Verteidiger werden sich wohl bis Sommer kommenden Jahres vor der 15. Großen Strafkammer einfinden.

Panzerglas und Zeugenschutz

Die Angeklagten müssen hinter Panzerglas sitzen. Um zu verhindern, dass sie miteinander in Kontakt treten können, soll es zudem Trennscheiben geben. Die Wut auf den Kronzeugen dürfte gewaltig sein. Kassra Z. hatte sich in der Untersuchungshaft entschlossen, über die Tat im Wettcafé, die Strukturen der Hells Angels und über Kadir P. zu reden, den er als „Alleinherrscher“ beschrieb. Im Falle einer Verurteilung erhofft sich Z. dafür Strafrabatt. Seitdem steht er unter Zeugenschutz, in welcher Haftanstalt er untergebracht ist, wissen wohl nur eine Handvoll Beamter.

Verurteilung wegen Anstiftung zum Mord ist selten

Unter Rockern gilt ein Schweigegebot, wer es bricht, riskiert sein Leben. Im Prozess können sich die Staatsanwälte aber auch auf Bilder stützen. Die Angreifer, zum Teil vermummt, wurden von einer Überwachungskamera gefilmt, als sie am 10. Januar in den Laden marschierten.

Innerhalb seines Charters soll Kadir P. alle wesentliche Entscheidungen getroffen, jeden Schritt abgesegnet haben. Doch hat er auch einen Mord in Auftrag gegeben? Das zu beweisen wird selbst mit Kronzeugen schwer. In Justizkreisen heißt es, eine Verurteilung wegen Anstiftung zum Mord gelinge nur selten. Es reiche nicht aus, dass ein potenzieller Auftraggeber vage einen Wunsch äußert, wonach man sich an diesem oder jenem Kontrahenten zu rächen habe.

Steigt ein zweiter Rocker aus?

Außerdem hat Kronzeuge Z. bislang nur mit Ermittlern und seinem Anwalt gesprochen. Nun müsste er seine Ausführungen vor Gericht wiederholen. Oder zieht sogar ein weiterer Angeklagter nach? Bei einem 26-Jährigen aus der 13-Mann-Truppe soll es nach dessen Festnahme im Januar wohl Ansätze einer Aussage gegeben haben: Dieser Angeklagte hatte den Ermittlern offenbar Recep O., 25 Jahre, als Todesschützen genannt und er soll zudem bestätigt haben, dass Kadir P. der Auftraggeber gewesen sei. Dann aber schwieg der 26-Jährige. Noch könnte die Schweigemauer stehen.

Streit um Hells-Angels-Symbole

Unabhängig davon, wie der Prozess enden wird: Berlins Rocker sind in der Defensive. Einige sind in Untersuchungshaft, andere des Kampfes müde, wieder andere ins Umland gezogen. Die Berliner Staatsanwaltschaft nutzt seit einigen Monaten zudem ein Urteil aus Hamburg: Der geflügelte Totenkopf, das weltweit bekannte und in den USA markenrechtlich geschützte Logo, darf vorerst nicht offen gezeigt werden. Weil die Hells Angels in Hamburg komplett verboten sind, hat das dortige Oberlandesgericht das Zeigen ihrer Symbole untersagt. Wer sie trägt, so der Kunstgriff, wirbt also für einen verbotenen Verein – auch in Berlin.

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