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Einsatz mit Todesfolge. Die 21-jährige Fabien Martini wollte auf dem Mittelstreifen der Grunerstraße einparken.

©  Maurizio Gambarini/dpa

Prozess gegen Polizisten im Fall Fabien Martini: Gericht wirft Berliner Staatsanwaltschaft rechtswidriges Handeln vor

Im Fall der getöteten Fabien Martini erhebt das Gericht schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft – und lässt den Alkoholvorwurf gegen Peter G. nicht zu.

Selten finden Berliner Gerichte solch deutliche Worte für die Staatsanwaltschaft: bewusst rechtswidriges Handeln und Verstöße gegen das Grundgesetz. In diesem Fall ist die Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten von besonderer Brisanz. Es geht um die Anklage gegen den Berliner Polizeibeamten Peter G. – und um die 21-jährige Fabien Martini, die am 29. Januar 2018 bei einem Verkehrsunfall in Mitte starb.

Die Frau fuhr vor zwei Jahren mit ihrem Wagen langsam auf der Grunerstraße in Höhe Rotes Rathaus. Als sie auf der fünfspurigen Straße von rechts quer über die Fahrbahn nach links steuerte, um die Parkplätze auf dem Mittelstreifen zu erreichen, krachte der Polizeiwagen direkt in ihre Fahrertür.

Fabien Martini erlag ihren schweren inneren Verletzungen noch am Unfallort. Doch der aufkommende Verdacht, der 52-jährige Hauptkommissar G. sei auf einer Einsatzfahrt mit Blaulicht und Martinshorn nicht nur zu schnell, sondern sogar unter Alkoholeinfluss unterwegs gewesen, wird vor dem Amtsgericht nicht angeklagt. Das erfuhr der Tagesspiegel aus Justizkreisen.

Verhandelt werden soll vor dem erweiterten Schöffengericht - an den ab 17. März bislang vier angesetzten Verhandlungstagen - der Vorwurf der fahrlässigen Tötung. Das Gericht hat die Anklage der Staatsanwaltschaft in seinem Eröffnungsbeschluss nur eingeschränkt zugelassen – um den Vorwurf der Gefährdung des Straßenverkehrs durch Alkoholgenuss kann es nach Ansicht des Gerichts nicht mehr gehen, wie ein Sprecher bestätigte.

Der Polizist Peter G. stand wegen unerlaubten Waffenbesitzes am Dienstag vor Gericht.
Der Polizist Peter G. stand wegen unerlaubten Waffenbesitzes am Dienstag vor Gericht.

© Olaf Wagner

Wie tiefgreifend diese Entscheidung in einem Verfahren voller Wendungen ist, zeigt sich im Rückblick. Das Verfahren stand dann im Sommer 2018 kurz vor dem Abschluss, nachdem ein Unfallexperte sein Gutachten vorgelegt hatte. Demnach habe G., der Vorfahrt hatte, optimal reagiert, es lägen keine Anzeichen für eine Verzögerung durch Alkohol vor.

Passanten bemerkten Martinshorn und Blaulicht

Um 13.04 Uhr und 30 Sekunden kam es zum Aufprall. Um den Unfall zu vermeiden, hätte der Polizeiwagen nur 100 Stundenkilometer schnell sein dürfen. Er fuhr mit Tempo 134 durch den leeren Grunertunnel. Beim Aufprall waren es noch 91 Stundenkilometer. Unklar ist, ob Fabien Martini beim Abbiegen geblinkt hat. Mehrere Zeugen hatten aber Blaulicht und Martinshorn des Einsatzwagens wahrgenommen. Ersthelfer, Kollegen und Seelsorger haben auch keinen Alkoholgeruch bemerkt.

Im Herbst 2018 bekam der Anwalt der Opferfamilie einen Tipp aus der Charité. Angeblich vom Ehemann einer Auszubildenden. So soll die Frau berichtet haben, dass „die Polizisten“ nach dem Unfall alkoholisiert auf die Rettungsstelle kamen. Die Staatsanwaltschaft wollte wegen der ärztlichen Schweigepflicht die Patientenakte zunächst nicht beschlagnahmen. Doch die Familie erhöhte den Druck und erhob Vertuschungsvorwürfe.

Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen Charité-Personal ein

Der Anwalt der Familie kritisierte, dass direkt nach dem Unfall kein Alkoholtest gemacht wurde, was aber nur bei konkretem Verdacht möglich ist. Der ermittelnde Staatsanwalt leitete dann am 30. Januar 2019, ein Jahr nach dem Unfall, ein Verfahren gegen das Klinikpersonal ein, um an die Patientenakte zu kommen.

Der Staatsanwalt erwirkte bei einem Amtsrichter einen Durchsuchungsbeschluss und beschlagnahmte die Patientenakte. In einem Laborbericht war ein Blutalkoholwert von 1,0 Promille vermerkt, gemessen in einer zwei Stunden nach dem Unfall entnommenen Probe, die vernichtet wurde. Obwohl die Charité später nicht einmal ausschließen konnte, dass Blutproben vertauscht wurden, warf die Staatsanwaltschaft G. vor, er sei durch Alkohol enthemmt gewesen und deshalb gerast.

Tödlicher Unfall. In dem Kleinwagen starb eine 21-Jährige.
Tödlicher Unfall. In dem Kleinwagen starb eine 21-Jährige.

© imago/Olaf Selchow

Nun hat das Gericht, das den Fall verhandelt, entschieden: Der Nachweis der Verkehrsgefährdung durch Alkohol sei nicht möglich, weil die Patientenakte samt den Angaben zum Blutalkoholwert nicht verwertbar seien. Die Beschlagnahme der Akte und die Durchsuchung seien rechtswidrig gewesen. Dabei seien die ärztliche Schweigepflicht, die Grundrechte des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung und Privatsphäre sowie das Rechtsstaatsprinzip grundlegend verletzt worden.

Übersetzt heißt das: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren gegen Charité-Personal einfach fingiert, um ihre Ziele zu erreichen. Das ist nun auch gerichtfest.

Der Tod von Fabien Martini und der Fall des Polizisten Peter G. 

Zwar können auch rechtswidrig gewonnene Erkenntnisse genutzt werden, das muss aber in jedem Einzelfall geprüft werden. Höchstrichterlich ist bereits entschieden: Wenn die Rechtsverstöße derart schwer sind, dass sie ein rechtsstaatliches Verfahren nachhaltig beschädigen, sind Beweise nicht verwertbar.

Der verdächtige Polizist kam nach dem Crash an die Charité.
Der verdächtige Polizist kam nach dem Crash an die Charité.

© Kalaene/dpa

Beweise können nicht um jeden Preis erhoben werden – etwa um den, gegen Prinzipien des Rechtsstaats zu verstoßen. Der bewusste Gesetzesverstoß der Staatsanwaltschaft wiege so schwer, dass die Akte des Beamten nicht ausgewertet werden dürfe. Es hätte niemals gegen Klinikpersonal wegen angeblicher Strafvereitelung ermittelt werden dürfen – weil der Vorwurf wegen der Schweigepflicht rechtlich gar nicht möglich sei.

Staatsanwaltschaft und Nebenklage können dennoch Anträge zum Alkoholverdacht stellen

Dennoch ist damit zu rechnen, dass der Alkoholverdacht vor Gericht eine Rolle spielen wird. Die Eltern von Fabien Martini in der Nebenklage und die Staatsanwaltschaft können Beweisanträge dazu stellen. Doch der einzige Beleg über eine mögliche Alkoholisierung fehlt nun.

Ein Jahr danach. Die Eltern von Fabien Martini wenden sich in ihrer Trauer und Wut jetzt an die Öffentlichkeit.
Ein Jahr danach. Die Eltern von Fabien Martini wenden sich in ihrer Trauer und Wut jetzt an die Öffentlichkeit.

© Stefan Jacobs

Dem Hauptkommissar ist die Ausübung der Dienstgeschäfte seit Frühjahr 2019 untersagt. Er war im Juli 2019 wegen illegalen Besitzes von zwei Schlagringen zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 85 Euro verurteilt worden. Auslöser des Verfahren waren Fotos von G., die vor etwa einem Jahr von Medien veröffentlicht worden waren.

Verfahren wegen Waffenbesitz

Auf einem Foto hält G. sich einen Revolver an die Schläfe. Der Foto-Blog des Beamten, der nebenbei eine Foto-Agentur führte, war den Vorgesetzten bekannt. Die Polizeiführung schaltete sich persönlich ein und veranlasste Ermittlungen, es kam zur Durchsuchung. Die Staatsanwaltschaft legte beim Landgericht Berufung ein, sie forderte ein höheres Strafmaß.

Der Polizei-Berufsverband „Unabhängige“ kritisiert, Peter G. sei durch den nicht haltbaren Vorwurf einer Alkoholisierung einem irreparablen Schaden ausgesetzt gewesen. „Schnell wurde das Klischee vom Corpsgeist bemüht. Doch der Vorwurf, Kollegen hätten den Fahrer gedeckt, trägt nicht“, sagte Verbandssprecher Jörn Badendick.

Jörn Badendick ist Polizist und Sprecher des Berufs- und Personalvertretungsverbandes "Unabhängige".
Jörn Badendick ist Polizist und Sprecher des Berufs- und Personalvertretungsverbandes "Unabhängige".

© promo

„Bereits beim Einsatz hätte sich kein Kollege auf den Beifahrersitz eines Betrunkenen gesetzt. Das wäre ein Himmelfahrtskommando“, erklärte Badendick.

Durch die Berichterstattung sei G. „mittlerweile innerbehördlich und sozial nahezu völlig isoliert“. Badendick kritisiert deshalb auch Polizeipräsidentin Barbara Slowik scharf: Offenbar arbeite sie sich trotz Fürsorgepflicht für G. „unmittelbar und persönlich“ an ihm ab.

Das gesamte Verfahren sei mehr als tragisch. „Die bisherige Entwicklung hinterlässt auf allen Seiten Verlierer. Auch die Angehörigen der Verstorbenen werden nur schwer mit der anstehenden gerichtlichen Aufarbeitung abschließen können.“

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