zum Hauptinhalt
Schwerer Vorwurf: Eine Mutter und ihr Lebensgefährte sollen Franziska R. jahrelang sexuell missbraucht haben.

© Patrick Pleul/dpa

Prozess in Cottbus: „Für das Kind eine große Belastung“

Franziska R. soll von ihrer Mutter und deren Lebensgefährten sexuell missbraucht worden sein. Doch vor Gericht will sie nicht mehr aussagen.

Von Sandra Dassler

„Wenn alle auf den Täter schauen, wer bleibt dann beim Opfer?“ Etwas abgewandelt zitiert Claudia Napieralski den Leitspruch der Opferorganisation „Weißer Ring“ nicht ohne Bitterkeit im Großen Saal des Cottbuser Landgerichts. Die Rechtsanwältin vertritt die als Nebenklägerin auftretende Franziska R., die laut Anklage von ihrer leiblichen Mutter und deren Lebensgefährten in mindestens 90 Fällen sexuell missbraucht worden ist. Das Kind soll beim ersten Mal erst zwölf Jahre alt gewesen sein.

Der Fall hatte großes Aufsehen ausgelöst, weil Franziska von den beiden Angeklagten Monate lang in der Wohnung der Mutter in Groß Schacksdorf im Spree-Neiße-Kreis versteckt gehalten worden war. Die 52-jährige Mutter und ihr 46-jähriger Lebensgefährte hatten alle belogen und in den Medien dramatische Stellungnahmen zum „Verschwinden“ des Mädchens abgegeben.

Franziska war von einem Arztbesuch nicht zurückgekommen

Franziska befindet sich wie ihre jüngere Schwester seit Jahren unter Obhut des Jugendamts in einer Kindereinrichtung. Im Oktober 2017 war sie von einem Arztbesuch nicht zurückgekommen, erst im März dieses Jahres entdeckte die Polizei sie in der Wohnung der Mutter.

Wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit des Kindes hatten Staatsanwaltschaft und Verteidigung gehofft, dass das Mädchen nicht selbst vor Gericht erscheinen musste. Franziska ließ zu Prozessbeginn am vergangenen Dienstag über die Nebenklage-Vertreterin mitteilen, dass sie nicht vor Gericht und auch nicht gegen ihre Mutter, sondern nur gegen den Angeklagten aussagen wolle. Die Kammer, die des öfteren auch Jugendstrafsachen verhandelt, hatte allerdings auf der Ladung des Kindes bestanden. Man wolle sich selbst einen Eindruck von Franziska und vor allem davon verschaffen, ob sie sich der Tragweite der Inanspruchnahme ihres Zeugnisverweigerungsrechts gegenüber ihrer Mutter im Klaren sei, begründete das Gericht seine Entscheidung.

Sie widerspricht ihrer Aussage bei der Polizei

Für das Mädchen sei es schon schlimm gewesen, überhaupt im Gericht aussagen zu müssen, sagte Claudia Napieralski nach der Fortsetzung des Prozesses am gestrigen Montag. Noch belastender sei aber die Anwesenheit der beiden Angeklagten im Gerichtssaal gewesen. Denn im Gegensatz zur Öffentlichkeit waren diese trotz eines entsprechenden Antrags der Kläger nicht ausgeschlossen worden.

„Möglicherweise wollte man damit einen Revisionsgrund verhindern“, sagte ein Prozessbeobachter. „Für das Kind ist das aber eine große Belastung.“ Auch die Begründung des Gerichts, wonach Franziska ja wieder in der Obhut des Jugendamtes sei und deshalb keine Abhängigkeit von der Mutter mehr bestehe, löste Kopfschütteln aus. „Es bleibt doch die Mutter und die meisten Kinder, die missbraucht, geschlagen und gedemütigt werden, lieben ihre Eltern dennoch“, sagte Claudia Napieralski. Franziska habe die gesamte Situation stark belastet. Sie machte erneut von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, widersprach aber in ihrer Aufregung auch der Verwertung der von ihr im Vorfeld des Prozesses getätigten Aussagen bei der Polizei und bei der Staatsanwaltschaft.

Auch der Lebensgefährte wäre nicht belastet

Für die Anklage ist das ein Fiasko, weil fast alle Taten gemeinschaftlich begangen wurden und somit auch der Lebensgefährte der Mutter nicht belastet wäre, wenn Franziska bei ihrer Meinung bleibt.

Immerhin entschloss sich das Gericht, die Aufzeichnung über die Vernehmung von Franziska durch die Ermittlungsrichterin in der Hauptverhandlung abzuspielen – wiederum unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es berief sich dabei, sagte Anwältin Napieralski, auf eine Ausnahmeregelung, die unter anderem auch bei misshandelten Frauen greift, die erst gegen ihren Peiniger aussagen, das aber später aus verschiedenen Gründen widerrufen. Bei der Vernehmung durch die Haftrichterin war Franziska allein mit ihrer Anwältin in einem Raum gewesen.

„Hej, gib’ mir mal ein Küsschen“, forderte der inhaftierte Lebensgefährte Uwe P. Franziskas Mutter auf

Ob die haftrichterliche Befragung allerdings auch als Beweismittel verwertet werden kann, ist fraglich.

Entsprechend fröhlich reagierten am Montag die Angeklagten und ihre Verteidiger. „Hej, gib’ mir mal ein Küsschen“, forderte der inhaftierte Lebensgefährte Uwe P. Franziskas Mutter, die auf freiem Fuß ist, beim Verlassen des Gerichtssaals auf. Wenigsten dieser Anblick blieb dem Mädchen erspart: Das Gericht hatte dafür Sorge getragen, dass es über einen separaten Zugang zum Verhandlungssaal kam und dort in einem geschützten Raum untergebracht wurde.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false