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Prozess um den Tod von Jonny K. geplatzt: Das Verfahren beginnt von vorn

Ein Schöffe brachte das Verfahren um die brutale Tat am Alexanderplatz zum Scheitern. Das Gericht erklärte ihn für befangen. Wie groß ist der Schaden?

Der junge Berliner Jonny K. starb in der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 2012 nach einer Prügelattacke am Alexanderplatz. Wie aus dem Nichts sollen sechs junge Männer, 19 bis 24 Jahre alt, den Schüler geschlagen und getreten haben. Er stürzte und prallte auf das Straßenpflaster. Jonny K. starb an Hirnblutungen. Sieben Monate nach der schrecklichen Tat begann vor dem Landgericht der Hauptstadt der Prozess. Die mutmaßlichen Angreifer gaben eine Beteiligung an der Schlägerei zu. Zugleich bestritten sie aber Schuld am Tod des 20-Jährigen und belasteten sich teilweise gegenseitig. Doch am fünften Verhandlungstag sorgte ein Eklat um einen Schöffen für das Aus. „Das Verfahren wird in Übereinstimmung aller Prozessbeteiligten ausgesetzt“, verkündete der Vorsitzende Richter Helmut Schweckendieck am Montag. Drei der Angeklagten kamen nach acht Monaten Untersuchungshaft vorläufig frei.

Was war im Gericht geschehen?

Der Eklat begann am vergangenen Donnerstag mit einer ungezügelten Äußerung eines Schöffen im Gerichtssaal. Als ein 23-jähriger Augenzeuge angeblich keinerlei Erinnerungen mehr an beobachtete Schläge und Tritte hatte, rutschte dem ehrenamtlichen Richter heraus: „Sind Sie zu feige, eine Aussage zu machen, oder wollen Sie das Gericht verarschen?“ Die Verteidiger reagierten mit einem Befangenheitsantrag. Es sei zu befürchten, dass der Schöffe voreingenommen ist, argumentierten sie.

Die Richter wollten am kommenden Donnerstag darüber entscheiden. Der Eklat aber spitzte sich durch ein Interview zu, das der 58-jährige Laienrichter angeblich einer Boulevardzeitung gab. „Ich habe doch nur gesagt, was ich denke. In ganz normaler Sprache“, wurde der Mann zitiert, der in einer Jugendeinrichtung tätig ist. Er habe sich hinterher für die Wortwahl entschuldigt, er sei nicht befangen. Und den Verteidigern soll er vorgeworfen haben: „Am Montag werden die noch ein bisschen motzen. Die wollen halt den Prozess kaputtmachen. Das haben die doch mehrmals schon so gemacht.“

Wie reagierten die Juristen?

Um 9.14 Uhr schlug Schweckendieck im Saal 700 die Zeitung auf. Die Atmosphäre war angespannt, in seiner Stimme lag Verärgerung. „Es ist in höchstem Maße bedauerlich, extrem belastend“, begann er. Über den ersten Antrag gegen den Schöffen hatten er und seine Kollegen noch nicht entschieden. Das angebliche Interview aber war zu viel. Der Schöffe erklärte hingegen, er habe mit dem Reporter gar nicht gesprochen. Daraufhin wurde der Journalist kontaktiert. Er versicherte, dass es das Gespräch gegeben habe. Es stand Aussage gegen Aussage. Ein Verteidiger warf ein: „Es steht im Raum, dass der Schöffe möglicherweise gelogen hat.“

Der Vorsitzende Richter kam einem weiteren Befangenheitsantrag gegen den Laienrichter zuvor: „Die Besorgnis der Befangenheit dürfte gegeben sein.“ Alle stimmten zu: der Oberstaatsanwalt, die sechs Verteidiger, die zwei Nebenklage-Anwälte. Von Amts wegen ließ die Strafkammer damit den ersten Anlauf scheitern. „Dass ein Verfahren wegen eines Schöffen platzt, ist eine sehr seltene Angelegenheit, mir ist es in 34 Jahren einmal passiert“, sagte Schweckendieck. Im Rahmen der Begründung der Entscheidung wies der Vorsitzende darauf hin, dass die Ursache für die Aussetzung der Verhandlung zwar in den problematischen Äußerungen des Schöffen liege. Jedoch müssten sich auch die Journalisten, die den abgelehnten Schöffen zielgerichtet aufgesucht hätten, fragen lassen, ob dies für den Fortgang des Verfahrens förderlich gewesen sei.

Hätte das Gericht die Situation vorbeugen können?

Was bedeutet es für das Verfahren?

Auf der Richterbank der Jugendstrafkammer sitzen drei hauptamtliche und zwei Laienrichter. Es wurde ohne Ergänzungsrichter und damit ohne möglichen Ersatz verhandelt. Fällt ein Richter heraus, geht alles auf Anfang. Denn über ein Urteil darf nur entscheiden, wer die komplette Beweisaufnahme erlebt hat. Richter Schweckendieck rechnete vor: „Vier Tage konstruktiver Verhandlung sind hinfällig geworden.“ Mit einer neuen Schöffenbesetzung muss alles wiederholt werden. Erst wird erneut die Anklage verlesen, danach erhalten die Beschuldigten die Gelegenheit, sich zu äußern. Dann müssen alle bereits befragten 16 Zeugen und Gutachter ein weiteres Mal befragt werden.

Hätte das Gericht dieser Situation vorbeugen können?

Die Tat löste bundesweit Entsetzen aus. Die Aufmerksamkeit für den Prozess ist entsprechend groß. Die richterliche „Ersatzbank“ aber blieb leer. Ein Sprecher des Gerichts verwies auf die Gesetzeslage. Demnach müssten Ergänzungsrichter und -schöffen nur dann bestellt werden, wenn eine Verhandlung mit längerer Dauer zu erwarten sei. Für den Prozess um den Tod von Jonny K. aber seien zunächst nur zehn Tage geplant gewesen. In einem Prozess solcher Größenordung seien Ergänzungsrichter nicht üblich. Das könne man sich „auch personell nicht leisten“.

Wie geht es jetzt weiter?

Keiner will viel Zeit verstreichen lassen. Bereits am Donnerstag geht es von vorn los. Die sechs Verteidiger machten es möglich, indem sie auf Einhaltung von Ladungsfristen verzichteten. Allerdings nutzten sie die missliche Situation, um für ihre Mandanten eine Haftverschonung zu erwirken. Das Verfahren sei „von außen torpediert“ worden, das könne nicht auf dem Rücken der Angeklagten ausgetragen werden, sie hätten schließlich die Verzögerung nicht verschuldet, sagte der Anwalt des 19-jährigen Onur U., einem der Hauptangeklagten. Kurz darauf entschied das Gericht: drei der fünf inhaftierten Schläger bekommen gegen Auflagen Haftverschonung – „aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“, hieß es. Damit bleiben nur Onur U. und der 24-jährige Bilal K. weiter im Gefängnis.

Wie weit war der Prozess bereits vorangekommen?

Ohne Geplänkel war der Prozess gestartet. Die sechs Angeklagten – vier müssen sich wegen Körperverletzung mit Todesfolge verantworten, zwei wegen gefährlicher Körperverletzung – sagten am 13. Mai aus. „Ich habe ihn weder geschlagen noch getreten“, bestritt Onur U. einen Angriff auf den Schüler. Er gab aber zu, dessen Freund mit Fausthieben traktiert zu haben. Die Anklage geht davon aus, dass U. den Angriff provoziert hatte.

Andere Angeklagte gaben zu, Jonny K. am Oberschenkel oder am Schienbein getreten zu haben. Gerhardt C., der bei dem Angriff am 14. Oktober im Gesicht schwer verletzt worden war, hatte Onur U. belastet. Offen blieb nach der Befragung von drei medizinischen Gutachtern, welche von vier Verletzungen am Kopf zum Tod von Jonny K. führten. Ob durch einen Tritt, einen Schlag oder den Sturz sei nicht feststellbar, sagten die Ärzte.

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