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Prozessbeginn: Mord im Namen der Ehre

Ohne Vorwarnung fielen am 7. Februar in Tempelhof drei Pistolenschüsse. Die junge Deutsch-Türkin Hatin Sürücün hatte keine Chance. Rund sieben Monate nach dem "Ehrenmord" müssen sich drei ihrer Brüder vor Gericht verantworten.

Berlin (12.09.2005, 14:11 Uhr) - Aus nächster Nähe am Kopf getroffen, starb die 23-jährige Hatin Sürücün auf dem eisigen Pflaster an einer Bushaltestelle. Von diesem Mittwoch (14.9.) an müssen sich nun drei ihrer Brüder vor dem Berliner Landgericht verantworten. Die Anklage wirft ihnen gemeinschaftlichen Mord aus Heimtücke und niederen Beweggründen vor.

Bei dem Prozess wird mit einem großen öffentlichen Interesse gerechnet, sagt Gerichtssprecher Arnd Bödeker. Der Fall hatte bundesweit Aufsehen erregt und eine Debatte über Zwangsehen und Parallelwelten von Ausländern in Deutschland ausgelöst. Die Brüder im Alter von 19, 24 und 26 Jahren sollen den westlichen Lebensstil ihrer Schwester als Kränkung der Familienehre empfunden haben. Die drei in Untersuchungshaft sitzenden Männer bestreiten laut Gerichtssprecher die Bluttat.

Sie hätten sich für Hatins Lebensstil geschämt, heißt es in der Anklage. Die lebenslustige Hatin, die kein muslimisches Kopftuch mehr trug und auch gerne ausging, hatte für sich ein Leben nach eigenen Vorstellungen in Anspruch genommen. Die Ansichten ihrer traditionellen türkischen Familie hatte sie hinter sich gelassen. Wenige Tage nach dem Mord billigten junge Türken an einer Neuköllner Schule das Gewaltverbrechen öffentlich. Hatin habe gelebt wie eine Deutsche, sagten sie.

Die drei angeklagten Männer hätten zudem befürchtet, dass ihre Schwester ihren kleinen Sohn nicht nach den Regeln des Islam erziehen würde, heißt es in der Anklage. Der jüngste der drei Brüder soll Hatin aus ihrer Wohnung gelockt und auf dem Weg zu der Haltestelle erschossen haben. Der Älteste der drei habe die Pistole und Munition besorgt. Der Mittlere hielt sich in der Nähe des Tatorts auf.

Das Schicksal von Hatin Sürücü ist kein Einzelfall in Deutschland. Genaue Zahlen zu Ehrenmorden gibt es laut Bundeskriminalamt nicht. Der Berliner Krisendienst Papatya, der sich um junge Migrantinnen kümmert, listet aber zwischen 1996 bis 2004 rund 40 Morde und Mordversuche bundesweit im «Namen der Ehre» auf. Die UN-Menschenrechtskommission geht von weltweit etwa 5000 Frau und Mädchen aus, die jährlich zumeist in islamischen, aber auch in christlichen Ländern Opfer von Ehrenmorden werden.

Hatin Sürücü, in Deutschland aufgewachsen, musste als 15-Jährige in Istanbul einen Cousin heiraten, von dem sie sich später scheiden ließ. Nach der Geburt ihres Sohnes im Mai 1999 weigerte sie sich, in die Türkei zurückzukehren. Die junge Frau zog aus der elterlichen Wohnung in Berlin aus, holte ihren Schulabschluss nach und begann 2001 eine Lehre als Elektroinstallateurin.

Hilfe für Frauen, die aus einer islamischen Familie mit archaischen Wertemustern ausbrechen wollen, scheint weiter schwierig - auch wenn Politiker wiederholt zum verstärkten Kampf gegen «Schandemorde» aufrufen. Eine vom Bundesrat beschlossene Initiative, bis zu zehn Jahren Strafe für Anstifter einer Zwangsehe zu verhängen, liegt derzeit fest. Das Papier müsse einem neuen Bundestag vorgelegt werden, heißt es in der Berliner Justizverwaltung.

Ein eigener Straftatbestand Zwangsehe soll nach den Vorstellungen Berlins ins Strafgesetzbuch. Doch dürfte die Beweisführung eines solchen Falles schwierig bleiben. Die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes kümmert sich dagegen um Soforthilfe für gefährdete junge Frauen und Mädchen in Deutschland, die traditionelle Normen ablehnen. «Sie müssen sofort den Namen und das Bundesland wechseln», raten die Experten.

(Von Jutta Schütz, dpa)

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