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Berlin: „Prunkvoll muss es sein“

Nicht bloß Fassade: Fachleute diskutieren, wie das rekonstruierte Stadtschloss innen aussehen soll

Besser terminiert könnte die Veranstaltung gar nicht sein: Vor einer Woche haben sich Bund und Berlin über die Finanzierung des Schloss-Neubaus geeinigt, so dass einem zügigen Aufbau bis 2013 nichts mehr im Wege stehen dürfte. Nun befasst sich die Gesellschaft Berliner Schloss auf einem Symposium mit der mindestens so grundlegenden Frage, was in dem Schloss eigentlich passieren soll.

Dass die Fassade rekonstruierbar ist, hat das Architekturbüro Stuhlemmer gezeigt – seit fünf Jahren schon arbeiten Bildhauer, durch Privatspenden finanziert, im Auftrag des Fördervereins Berliner Schloss an der Wiederherstellung des historischen Fassadenschmucks. Die große Frage jedoch bleibt: was passiert, wenn der Besucher eins der Schlossportale durchschritten hat? Was erwartet ihn hinter der historischen Fassade? Und welche Nutzung verträgt ein von außen akribisch wiederhergestelltes Schloss?

Parlament, Museum oder Einkaufszentrum: Mit zehn Beispielen aus Deutschland und Europa war auf der dreitägigen Tagung zu erfahren, welche Lösungswege anderswo beschritten wurden – und welche als besonders gelungen und empfehlenswert, welche als missglückt empfunden werden. Denn vor der Situation kriegszerstörter, ausgebrannter oder in Folge abgerissener Residenzruinen stand man in Deutschland und Europa nach dem Zweiten Weltkrieg vielerorts.

Der Umgang mit diesen Fehlstellen, oft an beherrschenden Positionen in der Stadt, reicht von der maßstabgetreuen Rekonstruktion in jahrzehntelanger Arbeit, wie sie in München, Warschau oder Dresden stattgefunden hat, bis zur Neunutzungen als Landtag oder Regierungssitz, wie man es in Hannover, Stuttgart oder Wiesbaden versuchte. Besonders kurios der Fall im litauischen Vilnius, wo ein von den Russen Anfang des 19. Jahrhunderts abgetragenes Stadtschloss derzeit wiederersteht. Und besonders abschreckend der aktuelle Fall in Braunschweig, wo sich hinter einer akribisch rekonstruierten Schlossfassade ein monströses Einkaufszentrum breitmacht.

Braunschweig ist der Sündenfall, der nun auch in der fassadenfixierten Berliner Schlossdebatte zum Umdenken zwingt. Der Schock, im ehemaligen Welfenschloss nach Eintritt durchs Schlossportal in einem Starbucks-Café und einem banalen Einkaufszentrum zu landen, bestärkt diejenigen, die eine Kongruenz von Form und Inhalt fordern. „Eine Schrumpfform von Schloss gibt es nicht“, fasst es der Architekturkritiker Dankwart Guratzsch zusammen, und der Berliner Stararchitekt Hans Kollhoff fordert „das ganze Schloss, keine Attrappe“, also eine Rekonstruktion auch der bedeutenden Innenräume sowie der monumentalen Treppen und Durchgänge: „Das Schloss muss prunkvoll sein“, so seine Devise.

Die bisherigen Nutzungspläne durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die hier mit ihren außereuropäischen Sammlungen einziehen will, sowie den Sammlungen der Humboldt-Uni oder Teilen der Landesbibliothek sehen eine Rekonstruktion der Innenräume bislang nicht vor. Wie qualitätsvoll diese waren, kann jeder erleben, der derzeit in der Alten Nationalgalerie die Ausstellung „Berlin um 1800“ besucht. Und auch Jörg Meiner von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten erinnerte eindrucksvoll daran, wie prachtvoll die Schlossräume ausgestaltet waren – und wie viel Inventar sich noch verstreut erhalten hat. Ein Gesamtinventar jedoch fehlt.

Und die Zeit drängt: Schon im Herbst soll der Wettbewerb zum Schlossneubau ausgeschrieben werden. Genaue Vorgaben, was die inhaltliche Ausgestaltung oder die Raumfolge angeht, gibt es offenbar noch nicht. Koryphäen der Denkmalpflege wie der ehemalige Dresdner Landeskonservator Heinrich Magirius beklagen, historischer Sachverstand sei bei der Planung nicht gefragt.

Vorschläge, vielleicht doch die Gemäldegalerie oder das Kunstgewerbemuseum im Schloss anzusiedeln oder in einigen Prunkräumen an die Hohenzollern zu erinnern, zeigen, dass die Entscheidung für einen fassadengetreuen Wiederaufbau auch inhaltliche Diskussionen nach sich zieht. Ob die zukunftsgewandte Idee eines Humboldt-Forums dem Sehnsuchtswert einer Schlossfassade entspricht, ist zumindest strittig. Das Fazit der Tagung jedenfalls lautet: „Im Schloss muss Schloss sein.“

Christina Tilmann

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