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Berlin: Qualitätsoffensive für die Pflege

Senator Czaja möchte Fachkräfte in einer Kammer organisieren. Linke, Arbeitgeber und Gewerkschaften sind skeptisch.

Um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Standards in Heimen und Kliniken durchzusetzen, wird im Senat darüber nachgedacht, eine Pflegekammer zu gründen. Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) ist dafür, dass Schwestern und Pfleger künftig wie Ärzte organisiert sind. Die Kammer hätte mehr Befugnisse, aber auch mehr Pflichten als etwa ein Berufsverband. „Sie kann der Qualitäts- und Imageverbesserung dienen und eine wirkungsvolle Interessensvertretung darstellen“, sagte Czaja dem Tagesspiegel.

Immer wieder war aus Heimen und Kliniken von überlasteten Schwestern, fehlenden Kontrollen und mangelnder Qualität die Rede. In Berlin hatte es Vorwürfe gegeben, etwa weil zu wenig oder nicht ausreichend qualifiziertes Personal eingesetzt worden sei. Krankenschwestern empören sich auch über „Kompetenzgerangel“ mit Ärzten – viele Pflegekräfte wollen eher mehr Befugnisse, weil diese den Arbeitsalltag erleichtern würden. Zuletzt hatten sich Betriebsräte von Altenheimen beschwert, dass das Image des Berufes so schlecht sei, dass sich gerade solche Schulabgänger bewerben, die sonst keinen Job bekommen hätten.

Eine Kammer könnte womöglich helfen, ohne freilich unmittelbar die Ursachen anzugehen. Als Organisation öffentlichen Rechtes bekommt sie vom Staat hoheitliche Aufgaben zu berufsrechtlichen Fragen zugestanden. Kammern können ihre Mitglieder zu Fortbildungen verpflichten, ihre Fähigkeiten prüfen und Versäumnisse durch Lizenzen sanktionieren. Der Staat hat dabei nur die Oberaufsicht. Anders als bei Gewerkschaften besteht für ausgewiesene Angehörige des jeweiligen Berufes deshalb Zwangsmitgliedschaft samt Beitragsabgaben. Dafür sollen Kammern die sozialen Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Czaja dürfte im Blick haben, dass eine staatlich legitimierte Selbstverwaltung bei den Pflegenden zu einer stärkeren Identifikation mit ihrem Beruf führen, was sich in der Praxis positiv auswirken könnte.

Seit Amtsantritt vor einem Jahr versucht Czaja, als Pflegeexperte zu punkten. So hatte der Senator schärfere Kontrollen von ambulanten Diensten angekündigt. Von Abgeordneten hieß es, er mache seinen Job gut, auch wenn er zunächst mehr ankündige als umsetze. „Immerhin will er die Branche besser regulieren“, sagte ein Oppositionspolitiker.

Doch um Kammern zu gründen, gibt es rechtliche Hürden, der Gesetzgeber muss begründen, warum bestehende Behörden und Verbände nicht ausreichen. Und Kammern sind umstritten. Dem Vernehmen nach lehnt die Berliner SPD eine weitere Kammer ab. Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) äußerte sich vorerst nicht dazu. Senatsintern müsse noch entschieden werden, sagte Czaja.

Unklar ist, wer genau als Pflegekraft im Sinne eines Kammerrechts gelten soll: Die meisten Befürworter haben die drei Jahre lang ausgebildeten Schwestern im Blick. Doch was ist mit den Pflegehelfern, die in Altenheimen fast die Hälfte der Belegschaft stellen?

Der Senator will sich Ergebnisse anderer Länder anschauen. Derzeit bereitet Schleswig-Holstein die Einrichtung einer Pflegekammer vor, das hatte der Sozialausschuss des Kieler Landtages beschlossen. Die dort regierende SPD schreibt: „Insgesamt müssen wir bessere Rahmenbedingungen schaffen – mehr Pflege, weniger Dokumentation. Wer, wenn nicht die Pflegenden selber, könnten das am besten mitgestalten. Dafür ist die Pflegekammer da.“ Auch in Rheinland-Pfalz hat sich die regierende SPD dafür ausgesprochen. Signale gibt es in Bayern, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Beim Deutschen Pflegerat, dem Berufsverbände angehören, hört man das gern. Pfleger sollten wie Mediziner „institutionalisiert in die Gestaltung“ des Gesundheitswesens einbezogen werden. Tarifgespräche würden weiter von den Gewerkschaften geführt – rechtlich sind Kammern dafür auch nicht zuständig.

Die Opposition ist uneinig. Während die Grünen eine Pflegekammer vorsichtig befürworten, ist die Linke mehrheitlich dagegen. Deren Gesundheitsexperte Wolfgang Albers sagte: Besser als eine Kammer sei eine solide Finanzausstattung der Heime und Kliniken sowie eine gesellschaftliche Aufwertung der Pflege. Das würde den Beschäftigten mehr helfen als ein „neues Betätigungsfeld für leitende Pflegekräfte.“ Womöglich wolle sich die Politik durch die überlassene Selbstverwaltung davor schützen, munkeln einige, sich mit der schwierigen Branche befassen zu müssen.

„Es wäre eher eine symbolische Aufwertung. Dazu muss keine Kammer mit Zwangsmitgliedschaft her“, sagte Pfleger und Charité-Personalratschef Carsten Becker. Ähnlich sieht man das bei der Gewerkschaft Verdi, die versucht, mehr Beschäftigte in Kliniken und Heimen zu organisieren. Und auch der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste, der in Berlin mehr als 130 Unternehmen der Branche vertritt, lehnt eine Kammer ab: Sie sei eine zusätzliche Zwangsstruktur, die sich nicht lohnen würde.

„Auch wenn eine Kammer nicht alle Probleme löst, kann sie das Profil der Pflege schärfen“, sagte Jasenka Villbrandt von den Grünen. „Eine Kammer wäre geeignet, wichtige ordnungspolitische Aufgaben zu übernehmen, gerade da Pflege an Bedeutung gewonnen hat“, sagte der Präsident der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz. Einige Kritiker der Idee wiederum sagen, viele ihrer Argumente sprächen auch gegen die Ärztekammer.

Die Grünen wollen, dass die Beschäftigten bei der Entscheidung einbezogen werden. Eine Befragung hält man in der Senatsgesundheitsverwaltung für sinnvoll. Unter Klinikschwestern rechnen Kenner mit mehr als 50 Prozent Zustimmung.

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