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Das Ziel ist Oxford, so viel steht fest. Aber wer wohnt mit wem in den Gastfamilien? Darum gibt es Streit.

© picture alliance / dpa

15-jähriger darf nicht bei den Mädchen übernachten: Schwuler Schüler wehrt sich gegen Klassenfahrtsregeln

Ein schwuler Schüler darf auf Klassenfahrt nicht zu seinen besten Freundinnen, sondern muss zu den Jungs. Die Lehrer empfehlen ihm, "keinen großen Aufstand" zu machen. Doch genau das macht der 15-Jährige.

Auf gehts, Klassenfahrt! Doch wer darf mit wem auf ein Zimmer oder in eine Gastfamilie? Für Schüler*innen ist das eine existenzielle Frage. Ein 15-jähriger schwuler Schüler aus Greifswald möchte nicht etwa mit anderen Jungs die Nächte in einer Gastfamilie verbringen, sondern mit seinen Freundinnen. Doch der Schulleiter untersagt Tim seinen Wunsch - und wenn er nicht mitfahren wolle, könne er ja zuhause bleiben und ein Praktikum machen. Daraufhin startet der Schüler eine Petition mit dem Titel "Diskriminierung bei der Zimmereinteilung auf Klassenfahrten dringend stoppen!" Bisher unterschrieben fast 3500 Personen. Auch bei Antidiskriminierungsstellen und Politiker*innen sucht er Hilfe.

Noch sind ja Ferien. Erst im Herbst soll es für die Greifswalder Zehntklässler auf Klassenfahrt nach Oxford gehen. Tim sagt, der Schulleiter würde derzeit nicht mehr auf Mails von ihm reagieren. Übernachten sollen die Schüler*innen in Gastfamilien. Wie die Zimmereinteilung dort sein wird, ist nicht ganz klar. Eine Agentur übernimmt die Buchungen und wird, auf Intervention des Schuldirektors Ulf Burmeister, dem Wusch von Tim nicht mehr entsprechen: Der Junge muss mit anderen Jungs in eine Gastfamilie und dort übernachten.

„Und wenn dir langweilig ist, kannst du ja ein Buch lesen."

Dass Tim schwul ist, wissen alle: Eltern, Lehrer*innen, Mitschüler*innen. Einverstanden waren ebenfalls alle, dass er mit seinen besten Freunden, einer Gruppe Mädchen, in eine Gastfamilie darf, sagt Tim. Doch dann habe ihn Burmeister zu sich gerufen. Er habe damit argumentiert, dass seine Homosexualität kein triftiger Grund sei, dass er mit Mädchen auf ein Zimmer dürfe. Ein triftiger Grund hingegen sei, wenn er von Jungs gemobbt werden würde.

Öhm, Moment mal! Ein homosexueller Schüler darf nicht bei den Mädchen übernachten, sondern muss bei den Jungs schlafen, um Geschlechtsverkehr zu vermeiden. Findet den Fehler!

schreibt NutzerIn MikeNixda2014

Tim erzählt, dass sich die Jungs in seiner Klasse seit seinem Coming-out anders verhalten. Mit einigen war er vorher befreundet. Aber dann brachen sie den Kontakt ab. Tim möchte nicht mit den Jungs auf "ein Zimmer", mit denen er nicht zurecht kommt. Von den Lehrer*innen sei ihm geraten worden, „keinen großen Aufstand“ zu machen. Es wäre ja nicht schlimm, er sei ja nur nachts da. Und dann folgt ein Satz, der hängenbleibt: „Und wenn dir langweilig ist, kannst du ja ein Buch lesen." So einfach ist das.

Es war für Tim wohl dieser Satz, den ihn dazu führte, eine Petition zu starten: Er wolle "dagegen ankämpfen, SchülerInnen in Geschlechterrollen zu stecken und sie in ihrer freien Entfaltung zu beirren, als auch in ihren eigenen Persönlichkeitsrechten zu bestehlen." Er käme nun mal besser mit Mädchen zurecht. "Das sollte akzeptiert werden." Und: "Meiner Meinung nach wird mit dieser Regelung vermittelt, dass aus einer Freundschaft zwischen zwei andersgeschlechtlichen Freunden eine sexuelle Beziehung hervorgerufen werden MUSS", schreibt er in seiner Petition. Auch der Schulleiter sagt, die Regel habe unter anderem den Sinn, Geschlechtsverkehr zu vermeiden.

"Dies muss auch ein 15-jähriger Schüler lernen"

Schuldirektor Burmeister wollte sich auf Nachfrage nicht zu dem Fall in seiner Schule äußern. Seine Sekretärin verwies auf das Bildungsministerium. Von dort hieß es, Burmeister habe im Moment schlicht keine Zeit, sich dazu zu äußern. Man wolle aber versichern, dass er "die Angelegenheit sensibel begleitet." Weiter: "Bei der Unterbringung während Klassenfahrten wird nach Geschlechtern getrennt und nicht nach sexueller Orientierung. Hätte der Schulleiter die sexuelle Orientierung von Schülerinnen und Schülern abgefragt und deswegen jemand anders behandelt, hätte er gesetzeswidrig gehandelt."

Alle waren einverstanden. Der Junge, die Mädchen [...], seine Eltern, die Eltern der Mädchen, die Gastfamilie. Derjenige, der eine unkomplizierte Sache verkompliziert, ist der Schulleiter. Weil "es schon immer so und so war und so und so bleibt".

schreibt NutzerIn Schwimmblogberlin

Auch der Schüler hatte sich an das Bildungsministerium, konkret an Birgit Hesse, SPD-Schulministerin von Mecklenburg-Vorpommern, gewandt und seinen Fall per Email vorgetragen. Tim sagt, der Email-Kontakt sei nach einigen Mails abgebrochen worden. "Es kam mir so vor, als würde sie meine Anfrage ignorieren."

Ein Sprecher des Ministeriums bestätigte, dass der Kontakt abgebrochen wurde, "weil es sich nicht mehr um die Bitte von Auskünften oder Fragen des Schülers handelte, sondern lediglich um Meinungsäußerungen. Sie waren darüber hinaus in einem Ton verfasst, der nicht der Art und Weise entspricht, in der wir kommunizieren. Wir haben also ab einem bestimmten Punkt nicht mehr reagiert. Dies muss auch ein 15-jähriger Schüler lernen."

Der Schüler schaltet die Antidiskriminierungsstelle ein

Auch bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) sucht Tim Rat. Doch dort habe man ihm mitgeteilt, dass es für so einen Fall keine gesetzlichen Regelungen gebe und dass man daher dagegen auch nichts unternehmen könne.

Auf Nachfrage bestätigt die ADS den Kontakt. Weiter sagte ein Sprecher, der Schüler könne in diesem Fall nicht klagen. Denn er könne sich hier nicht auf das allgemeine Gleichstellungsgesetz berufen. Dieses gilt zwar im Arbeitsleben, im Fitnessstudio und vielen anderen Bereichen, nicht jedoch für den Schulbereich. Man sehe sich als Vermittler von Schule und Schüler in diesem Fall. Wie sich der Schulleiter äußerte, wollte man nicht mitteilen. Bei laufenden Beratungen gebe es keine Auskunft. In Berlin gibt es übrigens eine eigenen Beratungsstelle für Diskriminierung, in Mecklenburg-Vorpommern nicht.

In Berlin sind aber bisher keine Probleme dieser Art aufgetreten, heißt es in der Senatsbildungsverwaltung. Ein solcher Vorgang müsse immer im konkreten Einzelfall betrachtet werden. Auf jeden Fall seien die Lehrkräfte, die die Klassenreise leiten, gefragt, eine sinnvolle Lösung zu finden.

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