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Der Garten der Männersauna Boiler ist einem Urwald nachempfunden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berliner Höfe (7): Boilerhof am U-Bhf. Mehringdamm: Im Auge des Orkans

Am U-Bahnhof Mehringdamm regieren Döner, Currywurst und viel Hektik. Wer aber in den Hof des Hauses 34 geht, begegnet einer stillen grünen Oase: Dem Garten der Männersauna "Boiler".

Farne, Efeu, Bambus und ein steinerner Buddha, der milde lächelt. Dieser Urwald aus Topfpflanzen wächst mitten in Kreuzberg. Markisen, bierzeltartig, verdecken den Himmel, schützen vor Regen und den Blicken neugieriger Schüler aus dem Hostel im gleichen Haus. Denn hier unten tummeln sich jeden Abend nackte Männer. Na gut, halb nackte: Ein Handtuch hat jeder um.

Die Männersauna Boiler belegt mit ihrem Garten zur Hälfte die Fläche des Hofes Mehringdamm 32–34. Richtig, gleich neben dem Curry 36, der berühmtesten Wurstbude zumindest West-Berlins. Mitten im Hof prangt das Wahrzeichen der Sauna, ein grüner Kessel. An guten Tagen stehen vor der Stahltür Dutzende an. Manchmal warten sie bis zu einer Stunde.

Vor der Hofeinfahrt am Mehringdamm tobt der Wahnsinn

Eigentlich ist der Hof unscheinbar. Ein Parkplatz. Aber zugleich das Auge des Orkans, denn vor der Einfahrt tobt der Wahnsinn. Deshalb ist dies mindestens so sehr ein Text über den Hof als über die Hofeinfahrt oder genauer: was sich davor abspielt. Seit Mustafa’s Gemüse Kebap eröffnet hat, treten sich alle auf die Füße, ein Baugerüst macht den verfügbaren Platz nicht größer.

Das ganze Haus ist eine fast barocke Wunderkammer. In der Hofeinfahrt: der Eingang zur Berliner Kabarett Anstalt (BKA). Dazu das Hostel, ein Institut für Lebenskunst, eine Bank (der unauffälligste Mieter von allen), ein Späti, Mustafa, Vogt’s Bierexpress und die Sauna. Und im Nachbargebäude natürlich das Curry 36. Muss man unbedingt dazuschlagen. Vor der Hofeinfahrt treffen sich alle. Der Mehringdamm, der den Wegzug des SchwuZ verkraften musste: Hier brodelt er. Ein Stück Simon-Dach-Straßen-Irrsinn in Kreuzberg.

Das Bienenkorbhafte der Ecke hat Tradition. Eröffnet wurde das Haus 1913 als Kaufhaus, später als Sitz von Telefunken. Und immer schon gab es viele weitere Mietparteien. Wenn gleich nebenan das Dragonerareal bebaut wird, dürfte das Gewusel noch größer werden.

Die drei B: Bundestag, B-Tor, Boiler

Die Gästezahlen der 2011 eröffneten Sauna steigen jetzt schon. „Schiebt sich eine Wolke vor die Sonne, bekomme ich Anrufe, ob wir offen haben“, sagt Betriebsleiter Patrick Leibbrand bei einer Zigarette im Garten. Dessen Schlingpflanzen verleihen dem Begriff „Hofgarten“ eine ganz neue Bedeutung. Für Touristen würden die drei B – Bundestag, B-Tor, Boiler – zum Standard gehören, meint er mit gut versteckter Ironie.

Klappern gehört zum Handwerk. Leibbrand stammt aus Rheinland-Pfalz, hat als Aushilfe angefangen, sich schnell hochgearbeitet. 50 Mitarbeiter hat die Sauna. Das Herz, die Dampfsauna: ein Labyrinth. Schwule laufen gern herum. In den Grundriss sind Erfahrungswerte anderer Saunen eingeflossen. Was auffällt: die Liebe zum Detail. Kessel, Rohre, Leitungen, eigentlich kein schöner Anblick, werden mit LED bestrahlt – und ästhetisiert. Als würden sie dazugehören. Tun sie ja auch. „Wir verstecken nichts“, sagt Leibbrand. Berliner Industrial Style, wie ihn das Berghain vormacht. Bloß keine Palmentapeten und Kunstpflanzen! Alles ist selbst entworfen, einer der Chefs ist Bauingenieur, ein Designbüro gibt es nicht. Dafür ein eigenes Blockheizkraftwerk, die Energie der ausgehenden Luft wärmt zugleich die eingehende. „Monster“ nennt Leibbrand die Anlage, meint das aber viel liebevoller als die Mitarbeiter des BER, die den dortigen Rauchabzug genauso bezeichnen.

Das BKA-Theater war schon viel länger hier

„Es ist absurd“, sagt Uwe Berger schmunzelnd. Er sitzt im Bierexpress, neben der Hofeinfahrt, die Mustafa- Schlange wird minütlich länger. „Jetzt ist Rush Hour“. Sieht er jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit. Berger ist Geschäftsführer des BKA-Theaters. „Früher war hier eine räudige Currywurstbude. Bei Mustafa haben wir zuerst auch gegessen. Tritt Wladimir Kaminer bei uns auf, bittet er immer noch, dass man ihm einen Döner hochholt.“

Berger stieß 1995 zum BKA, die Ursprünge hat er also nicht mitbekommen. In den 80er Jahren entstand die Kabarett-Truppe CaDeWe um Rainer Rubbert am Mariannenplatz, 1988 bezog sie festes Domizil am Mehringdamm. Dort, wo zuvor die Diskothek „Dachluke“ war. Der junge Klaus Wowereit soll öfter aus Tempelhof den Mehringdamm hochgekommen sein, um hier abzuhotten.

„Intelligente Kleinkunst, Musik und gerne auch Trash“ umschreibt Uwe Berger das Profil des BKA. Tim Fischer, Helge Schneider, Josef Hader traten in ihren Anfängen auf, Ades Zabel und Biggy van Blond gehören heute zu den Stammkünstlern. „Wir sind ja ein tendenziell schwules Theater“, sagt Berger, „das passt ganz gut zum Boiler.“ Und der Mehringdamm? Sei natürlich viel touristischer geworden. Aber langsamer, nicht hysterisch wie in Friedrichshain oder am Schlesi. Weil der Kiez schon immer beliebt war. Wer in den 80ern kam, sitzt heute, mit mehr Grau in den Haaren, im Yorckschlösschen bei Weißwein und Jazz.

Renate Vogt hat zugehört. Die Chefin von Vogt’s Bierexpress trinkt am gleichen Tisch Kaffee. „Der Kiez hat sich phänomenal entwickelt", meint sie. So viele junge Leute, aus Italien, Korea, Spanien. 1982 hat sie mit ihrem Ehemann den Bierexpress übernommen. Der war damals noch viel „anrüchiger“. Im Rathaus hatte das Sozialamt seinen Sitz. „Wenn ausgezahlt wurde, haben wir das gemerkt.“ Weil die Männer dann schon frühmorgens bei Bier und Korn saßen. Renate Vogt wohnt in Mariendorf, geboren ist sie in Prenzlauer Berg. Mit der Familie rübergemacht vor dem Mauerbau, nach Baden-Württemberg. „Ohne Berlin, das ham’wa nicht ausgehalten.“

Also ging’s zurück, in den Westteil. Heute sitzt sie gern in ihrer eigenen Kneipe. „Starke Partner“ hätten sie zur Rechten und zur Linken, damit meint sie Curry 36 und Mustafa. Belustigt blickt sie auf die Schlange. Sie wird gerade mal wieder so lang, dass sie die Hofeinfahrt versperrt.

Die Kebap-Schlange: Das große Rätsel von Kreuzberg

Diese Schlange ist eine Sphinx. Ein Rätsel. Wie kann eine klapprige 2-Quadratmeter-Bude Tausende von Menschen anziehen? Die freiwillig ihre Lebenszeit ausgeben, um einen Döner zu kosten, der nicht schlecht schmeckt, aber keine Stunde Wartezeit wert ist? „Ich habe Menschen gesehen“, erzählt Patrick Leibbrand, „die sich bäuchlings aufs Pflaster legen, um die Schlange in ihrer ganzen Länge fotografieren zu können – für die Lieben daheim.“

Die Schlange ist Selbstläufer, Perpetuum mobile. Die Leute stehen an, um anzustehen. Um dabei zu sein. Hier könnten auch Leberkässemmeln mit Senf verkauft werden, es wäre egal. Die Schlange hat sich längst vom Produkt emanzipiert, ist ihr eigenes Produkt geworden. Und wer so viel investiert, dem schmeckt der Döner fast zwangsläufig „super“.

Auf den Moment, an dem sich die drei Schlangen von Mustafa, Boiler und Curry 36 vereinigen und niemand mehr weiß, wo er gerade ansteht, wartet jeder. Patrick Leibbrand schwört: Er hat es gesehen, am Ostermontag würde es passieren. Schlimm ist das aber nicht: Die Saunagäste, denen es zu lange dauert, reihen sich dann eben in eine der beiden anderen Schlangen ein. Um noch was zu essen.

Alle Artikel unserer Sommer-Reihe zu Berliner Höfen finden Sie unter www.tagesspiegel.de/berliner-hoefe.

Letztes Jahr präsentierten wir an dieser Stelle die Reihe "Berliner Türme". Alle Texte dazu finden Sie unter www.tagesspiegel.de/berliner-tuerme

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