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Mit der Aktion "Mösen in Bewegung" sorgten Lesben auf dem Berliner Christopher Street Day 1998 für mehr lesbische Präsenz auf der Parade.

© Kristina Strauß

Die Ausstellung „Homosexualität_en“: Die Verschiebung der Mitte

Das Deutsche Historische Museum und das Schwule Museum Berlin zeichnen mit der Ausstellung „Homosexualität_en“ ein vielfältiges, spannendes Bild der queeren Kultur- und Emanzipationsgeschichte.

Das West-Berliner Frauenzentrum hatte sich für den 11. Mai 1974 etwas ganz Besonderes ausgedacht: Es lud zur „Rockfete im Rock“ in die TU-Mensa. Zugelassen waren ausschließlich Frauen. So etwas hatte es in der Bundesrepublik noch nie gegeben. „Der Spiegel“ schickte eine Reporterin, die unter der betulichen Überschrift „Das große Weiche dominierte“ von einer erfolgreichen Party berichtete, zu der rund 1500 Frauen kamen. Eine Premiere war an diesem Abend auch der Auftritt der aus sieben Frauen bestehenden Band Flying Lesbians, die sich erst kurz zuvor spontan gegründet hatte. Laut „Spiegel“-Reporterin spielte sie „ein paar respektabel harte Nummern“.

Die erste nur aus Frauen bestehenden Rockband des Kontinents existierte zwei Jahre lang und brachte sogar eine Platte heraus. Auf dem knallrotem Cover prangte eine große Amazonen-Doppelaxt – ein in der Lesbenbewegung bis in die neunziger Jahre häufig verwendetes Symbol. „Wir sind die homosexuellen Frauen“ oder „Matriachats-Blues“ hießen die Songs auf der nicht mehr lieferbaren Flying-Lesbians-Platte. Nachhören kann man sie nun in der Ausstellung „Homosexualität_en“ im Deutschen Historischen Museum.

Das Flying Lesbians-Kapitel, bei dem auch Schwarz-Weiß-Fotos der „Rockfete im Rock“ zu sehen sind, ist im Raum „Wildes Wissen“ angesiedelt. Schlaglichtartig werden wichtige Ereignisse und Akteure der homosexuellen Emanzipationsbewegung und Kultur vorgestellt. Zu sehen sind etwa Titelblätter der Zeitschrift „Der Eigene“, Plakate der „Gayhane“-Partys im Berliner SO 36, Fotos von geheimen Homofeten in Ost- Berlin oder die wild bekritzelte Toilettentür einer Klappe, in der sich Schwule zum anonymen Sex treffen.

Dieser mit seinen weißen Gitterwänden und alphabetischen Unterteilungen an ein Archiv erinnernde Raum ist das Herzstück der „Homosexualität_en“- Ausstellung. Denn er verweist in seiner Disparatheit und seiner liebevollen Detailliertheit auch auf die spezielle Situation der homosexuellen Geschichtsschreibung: Um die Bewahrung historischer Zeugnisse haben sich vor allem die Aktivisten selber bemüht, weshalb die meisten der gezeigten Stücke aus Archiven der Bewegung wie dem Lesbenarchiv Spinnboden oder dem Archiv des Schwulen Museums stammen.

DHM-Präsident Koch will das Thema in der Mitte der Gesellschaft verorten

Große Sammlungen und Institutionen blenden queere Themen hingegen eher aus. So zeigt etwa das DHM in seiner aktuellen 7000 Objekte umfassenden Dauerausstellung lediglich fünf Stücke, die sich mit der Geschichte homosexueller Männer befassen (Lesben kommen gar nicht vor). Um so bedeutsamer ist es, dass sich genau dieses Haus jetzt auf zwei Stockwerken so umfassend den „Homosexualität_en“ widmet und damit den Anspruch verbindet, „das Thema in der Mitte der Gesellschaft zu verorten“, wie es DHM-Präsident Alexander Koch formuliert.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters findet das Plakat "verstörend"

In der Mitte und um die Mitte finden seit dem Irland-Referendum für die Homo-Ehe auch hierzulande wieder aufgeregte Debatten statt, die dem Museum eine Gratispackung Relevanz und Aktualität bescheren. Allerdings geht die Ausstellung weit über dieses Thema hinaus. Das zeigt schon das Plakatmotiv, das von Kulturstaatministerin Monika Grütters beim Presserundgang als „verstörend“ bezeichnet wurde und auch in Teilen der queeren Community auf Ablehnung stößt. Zu sehen ist eine hellhäutige, kurzhaarige Person mit grellrot geschminktem Mund, nacktem muskulösem Oberkörper, kleinen gepiercten Brüsten und einem weißen Slip, in dem sich etwas wölbt.

Im Schwulen Museum: zeitgenössische Kunst und spannende Interviews

Ein Mann, der eine Frau spielt? Eine Frau, die sich als Mann gibt, der eine Frau darstellt? Das Bild verweist in seiner irritierenden Zeichenvielfalt auf zwei zentrale Aspekte des Titels „Homosexualität_en“: den Plural und den Unterstrich. Das Kuratoren-Team um Birgit Bosold vom Schwulen Museum vertritt einen multiperspekivischen Ansatz, bei dem es nicht um das eine große Narrativ der deutschen Homosexualitätsgeschichte geht, sondern um eine Vielfalt verschiedener Geschichten.

Der Unterstrich, der sich unter der Bezeichnung Gender gap in linken Kreisen für die Bezeichnung von Personen (Zuschauer_innen) etabliert hat, steht für alle, die sich im binären Genderschema nicht wiederfinden. Dieses „Dazwischen“ repräsentiert auch das Plakat, auf dem Heather Cassils zu sehen ist. Der Trans-Künstler, von dem noch weitere Arbeiten im DHM ausgestellt sind, brachte seinen weiblichen Körper mit extremem Training und Steroiden in wenigen Wochen in eine extrem männlich wirkende Form. Das danach entstandene Foto bezieht sich zudem auf die Arbeiten zweier Künstlerinnen aus den Siebzigern und trägt den Titel: „Advertisement: Homage to Benglis, part of the larger body of work CUTS: A Traditional Sculpture“.

Die Medizin hat Homosexuelle lange pathologisiert

Zwar werden die Themen Transgender Trans- und Intersexualität in der Ausstellung nur gestreift, doch führt Cassils’ Bildhauerei mit dem eigenen Körper geradewegs in das Kapitel „In der Matrix“: Das veranschaulicht, wie die Kategorien Geschlecht und sexuelle Orientierung konstruiert wurden und werden. Eine zentrale Rolle spielte dabei stets die Medizin, die zur Pathologisierung homosexueller Menschen beitrug und sie zu therapieren versuchte. Bizarre Kartentests und ein Elektroschockgerät zeugen von dieser Zeit, die in der westlichen Welt zum Glück ausgestanden ist, seit die WHO Homosexualität 1990 aus der Liste der Geisteskrankheiten strich. Auf der anderen Seite war es mit Magnus Hirschfeld und seinem Berliner Institut für Sexualwissenschaft ebenfalls ein Arzt, der sich maßgeblich für die Gleichbehandlung homosexueller Menschen eingesetzt hat.

Mit der Aktion "Mösen in Bewegung" sorgten Lesben auf dem Berliner Christopher Street Day 1998 für mehr lesbische Präsenz auf der Parade.
Mit der Aktion "Mösen in Bewegung" sorgten Lesben auf dem Berliner Christopher Street Day 1998 für mehr lesbische Präsenz auf der Parade.

© Kristina Strauß

In zehn Räumen gibt das DHM überdies einen guten Einblick in den Wandel des Strafrechts (§175), erinnert an schwule und lesbische KZ-Opfer und dokumentiert mit persönlichen Video-Statements, wie Homosexuelle sich erstmals ihres Begehrens bewusst wurden. Das Gruselkontrastprogramm dazu: Die „Schimpf und Schande“-Audioinstallation, in der homofeindliche Zitate von Politikern, Journalisten und Kirchenvertretern aus aller Welt zu hören sind. Die Palette reicht von „Schwule sind Tiere“ bis zum aktuellen Urteil des Vatikanbotschafters, das Irland-Votum sei „eine Niederlage für die Menschheit“. Nach drei Minuten in einer dieser Hass-Hörinseln dürfte wohl niemand mehr daran zweifeln, dass nach wie vor jedes Jahr Paraden wie der Christopher Street Day gebraucht werden.

Dragkings, Sex und Andy Warhol

Die dort protestierende und feiernde Community ist die Kernzielgruppe des zweiten „Homosexualität_en“-Ausstellungsteils. Das Schwule Museum zeigt in fünf Räumen vor allem zeitgenössische Kunst, die sich mit Sexualität, Geschlechtern und Körpern jenseits der Norm befasst. Schon an der ersten mit „Satisfy Me“ betitelten Station geht es in Video- und Fotoarbeiten unter anderem von Andy Warhol, Stefan Thiel, Sam Taylor-Johnson sinnlich bis deutlich zur Sache. Hinter einem Vorhang aus dünnen schwarzen Fäden läuft eine Videocollage die größtenteils Frauen beim SM-Sex zeigt. Daneben hängt eine Bilderserie von Mary Cobles, die Dragkings zeigt – moderne Erben der geschniegelten Herrenimitatoren, die im DHM zu bewundern sind.

Unter der Überschrift „What’s next“ stehen die spannendsten beiden Räume im Schwulen Museum. Hier erzählen queere Berlinerinnen und Berliner in Videos, die in einer schönen Wohnzimmer-Installation präsentiert werden, von ihrem Leben und ihren Visionen. Der junge Aktivist Nasser aus Neukölln ist ebenso dabei wie Marianna Salzmann, Hausautorin am Gorki-Theater. Ganz ruhig und kühl erklärt sie: „Wenn man sich nicht mit seinem Geschlecht identifiziert und sagt, man will keine Kinder, dann sind das schon minimale terroristische Akte.“ Kann man mal drüber nachdenken, morgen auf dem CSD.

Deutsches Historisches Museum, bis 1. Dezember., täglich 10-18 Uhr; Schwules Museum, bis 1. Dezember, So, Mo, Mi, Fr 14-18, Do 14-20, Sa 14-19 Uhr

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