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Die Zeit drängt. Viele Verurteilte sind mittlerweile hoch betagt.

© dpa

Gastbeitrag zu Opfern des Paragrafen 175: "Unrecht gegen Homosexuelle nicht erneuern"

Die homosexuellen Opfer des Paragrafen 175 kollektiv entschädigen, alle Urteile aufheben: Diesen Antrag bringt Berlin jetzt in der Justizministerkonferenz ein, schreibt Justizstaatssekretär Straßmeir im Gastbeitrag.

Der Rechtsstaat kann sich gelegentlich selbst im Weg stehen. Die Opfer der Homosexuellenverfolgung in Ost und West zwischen 1945 und 1969 haben keine Zeit mehr zu warten, bis wir frühere Strafurteile aufheben. Soweit die Betroffenen noch leben, sind es betagte Männer, die nicht als Kriminelle ins Grab gehen wollen, sondern Rehabilitierung und Gerechtigkeit einfordern. Und das zu Recht.

Homosexuelle Handlungen waren in Deutschland bis 1969 schlechthin verboten, in der Bundesrepublik sogar nach der von den Nationalsozialisten verschärften Fassung des § 175 Strafgesetzbuch. Die Betroffenen wurden gesellschaftlich und strafrechtlich verfolgt, verurteilt, mitunter ins Gefängnis gesteckt. Die Höchststrafe betrug fünf Jahre. Sie wurden gesellschaftlich geächtet, Biografien wurden zerstört.

Während mit dem Grundgesetz 1949 unmittelbar viele Diskriminierungen beseitigt wurden, dauerte es bei der Strafbarkeit von homosexuellen Handlungen noch einmal ein Vierteljahrhundert, bis sich deren Abschaffung durchsetzte.

Es gab schon damals keinen Grund, Homosexuelle staatlich zu verfolgen

Dabei gab es schon damals keinen Grund, einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen zwei erwachsenen Männern unter Strafe zu stellen und staatlich zu verfolgen. Die freie Entfaltung der Sexualität war unter dem Grundgesetz stets ein Grundrecht. Nachdem sich diese Einsicht durchgesetzt hatte, bekannte sich der Bundestag im Jahre 2000 dazu, dass die damalige Verfolgung die Opfer in ihrer Menschenwürde verletzt hat. 2002 hob er dann die Verurteilungen aus der Zeit des Dritten Reiches auf. Hierbei blieb es jedoch.

Die nach 1945 Verurteilten sind bis heute nicht rehabilitiert. Gegen die Aufhebung der Urteile nach 1945 sträubte sich das Bundesjustizministerium mit allen Mitteln. Anstatt dem Rechtsstaat zur Geltung zu verhelfen, sah man ihn eher in Gefahr, insbesondere die Grundsätze der Gewaltenteilung und der Rechtssicherheit bedroht. An diesen wollte man nicht rütteln, die Urteile aus der Zeit „unter dem Grundgesetz“ nicht aufheben – zulasten der Opfer schwerwiegender  Persönlichkeits- und Menschenwürdeverletzungen durch eben diesen Rechtsstaat selbst. Wenn wir die Urteile nicht aufheben, sagen wir ja nichts anderes, als dass das damalige Strafurteil in Ordnung gewesen wäre. Das erneuert das damalige Unrecht.

Alexander Straßmeir (CDU), Staatssekretär für Justiz in Berlin.
Alexander Straßmeir (CDU), Staatssekretär für Justiz in Berlin.

© SenJustV

Bislang fehlte der politische Wille zu einer weitergehenden Rehabilitierung. Dabei überlässt das Bundesverfassungsgericht es durchaus dem Gesetzgeber, die Strafurteile zum Zwecke der Wiedergutmachung zu kassieren, wenn er triftige Gründe hierfür sieht. Die Opfer fühlten sich gedemütigt, der Makel haftete weiter an ihnen.

Nach viel Druck aus der Gesellschaft und dank des Engagements der Länder zeigen sich nun endlich Risse in der Abwehrhaltung des Bundes. Unter federführender  Beteiligung Berlins wurden 2012 und 2015 zwei Bundesratsinitiativen zur Rehabilitierung eingebracht.

Ein Gutachten, dass die Aufhebung der Paragraf-175-Urteile fordert

Und nach langer Überzeugungsarbeit ist das Dogma der vermeintlichen Unabänderlichkeit staatlichen Unrechts beseitigt: Im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat Prof. Dr. Martin Burgi ein umfängliches Rechtsgutachten erstellt. Darin kommt der renommierte Münchener Rechtsprofessor und Kommentator des Grundgesetzes zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die Aufhebung der Urteile und eine Rehabilitierung nicht nur verfassungsrechtlich zulässig sind und den Rechtsstaat nicht ins Wanken bringen, sondern Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht dies sogar gebieten. Empfohlen werden eine Aufhebung der Urteile und eine signifikante kollektive Entschädigungszahlung für Aufklärungsprojekte, Erinnerungs- und Bildungsveranstaltungen.

Bundesjustizminister Heiko Maas hat in der Folge erneut angekündigt, etwas tun zu wollen. So, wie er es bereits 2014 und 2015 angekündigt hatte. Auf konkrete Pläne, wie er sich die Rehabilitierung vorstellt, warten die Betroffenen jedoch immer noch vergebens.

Die Länder sind ein weiteres Mal gefragt

Also sind ein weiteres Mal die Länder gefragt.

Sie werden auf Vorschlag Berlins auf der anstehenden Justizministerkonferenz ab Mittwoch im brandenburgischen Nauen den Bund ein weiteres Mal auffordern müssen, konkret zu handeln. Das heißt: Der Bund soll ein Gesetz erlassen, das die Urteile generell aufhebt. Außerdem schließen wir uns der Empfehlung von Professor Burgi an, eine signifikante kollektive Entschädigungssumme zu zahlen.

Diese kollektive Entschädigung scheint ein gangbarer Weg zu sein. Es war nicht zuletzt die Uneinigkeit bei der Frage auch nach individueller Entschädigung, die in der Vergangenheit dazu geführt hat, dass am Ende gar nichts passiert ist.

Die Voraussetzungen für die Rehabilitierung sind geklärt

Deshalb ist der vorliegende Antrag vor allem ein erster Schritt Richtung Rehabilitierung, der endlich gegangen werden muss. Die Voraussetzungen sind geklärt.

Der Staat hat nicht nur das Recht, bei geschehenem Unrecht sich selbst zu korrigieren. Er hat als Rechtsstaat nach meiner Überzeugung auch die Pflicht, dies zu tun.

- Der Autor ist Staatssekretär für Justiz in Berlin.

Dieser Text erscheint auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an:queer@tagesspiegel.de.

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Alexander Straßmeir

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