zum Hauptinhalt
Rupert Everett als Oscar Wilde in Neapel.

© dpa/W. Moser

Interview mit Rupert Everett zu "The Happy Prince": „Heute könnte Oscar Wilde einen Mann heiraten“

"The Happy Prince": Die Verfilmung von Oscar Wildes Pariser Jahren war sein Herzensprojekt. Rupert Everett über den Pionier der queeren Bewegung.

Der Dichter Oscar Wilde als gebrochener Mann, in seinen letzten Jahren im Pariser Exil bis zu seinem Tod 1900: Davon erzählt Rupert Everett in „The Happy Prince“. Der britische Schauspieler führt erstmals selbst Regie und übernahm die Hauptrolle. Ein Herzensprojekt des 58-jährigen Kinostars, der sich mit mehr als 40 Filmen einen Namen machte, darunter „Another Country“ und „Die Hochzeit meines besten Freundes“. Sarah Kugler traf Everett anlässlich der Premiere des Films auf der Berlinale.

Mr. Everett, Anfang 2017 erließ die britische Königin ein Gesetz, das wegen Homosexualität verurteilte Menschen begnadigt – auch verstorbene. Ein gutes Zeichen?

Es ist eine absolute Frechheit, eine Beleidigung geradezu. Eine Begnadigung setzt immer voraus, dass jemand sich schuldig gemacht hat, in diesem Fall ist das der vollkommen falsche Ansatz. Eine Entschuldigung wäre angebracht gewesen, keine Begnadigung. Das ist typisch englisch, mal abgesehen davon, dass es reichlich spät geschieht. Aber wir sollten das Glas nicht immer als halbleer bezeichnen. Wir sind in den letzten 100 Jahren schon sehr weit gekommen. Alles verändert sich schnell, auch hinsichtlich der LGBTQ-Bewegung. Oscar Wilde wäre entzückt darüber, dass er heute einen Mann heiraten könnte.

Wilde hat den Begriff der Homosexualität mitgeprägt. War er seiner Zeit voraus?

Ich denke schon. Er war ein sehr moderner Mensch, was das betrifft, fast ein wenig zeitlos. Er stand am Beginn der LGBTQ-Befreiungsbewegung. Damals war Homosexualität noch nicht wirklich ein Begriff, geschweige denn, dass über das Thema öffentlich gesprochen wurde. Am wenigsten mit Frauen.

Ihr Oscar Wilde in „The Happy Prince“ ist ein gebrochener Mann und trotzdem voller Lust am Leben…

Er hatte eine Vergangenheit voller Luxus und muss jetzt in einer vollkommen anderen Gegenwart leben. Gleichzeitig macht er einfach immer weiter. Er ist kein Opfer, sondern kreiert sich seine eigene Welt, das finde ich bewundernswert. Allerdings hängt er an seiner Vergangenheit, das macht es schwierig für ihn.

Und Sie?

Ich möchte mit dem Wandel der Zeit verbunden bleiben. Man muss sich verändern. Ich starte jeden Tag von Null und schaue, was kommt.

Sie mögen Überraschungen?

Oh nein, ich hasse Überraschungen! Ein Widerspruch, ich weiß.

Ganz frei davon war die Arbeit an „The Happy Prince“ nicht.

Es lief nicht alles nach Plan, das stimmt. Was als guter Karriereschachzug begann, mündete in einer Erfahrung auf Leben und Tod (lacht). Es war nie meine Absicht, sowohl die Hauptrolle als auch die Regie zu übernehmen. Und als ich das Drehbuch schrieb, war ich zehn Jahre jünger. Ich hatte bereits in Filmen über Oscar Wilde mitgewirkt, sie endeten alle mit seinem Gang ins Gefängnis. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, einen Film zu machen, der zu diesem Zeitpunkt einsetzt, und schickte das Script an Scott Rudin, einen der besten Produzenten der Welt. Er war begeistert, wollte aber Philip Seymour Hoffman in der Hauptrolle, die ich aber gern selbst spielen wollte. Danach blieb das Projekt jahrelang liegen und verwandelte sich in etwas sehr Unangenehmes.

Aber Sie haben nicht aufgegeben…

Mich hat wohl die Verzweiflung angetrieben. Keiner wollte die Regie übernehmen, da sagte ich mir irgendwann: Fuck it, ich mache es selber! Ich wusste nicht, was auf mich zukommt: Die Finanzierung war schwierig, die eigentliche Produktion auch. Die Arbeit hat mich in Atem gehalten, oft war ich verzweifelt.

Rührt daher der morbide Grundton des Films, der auf Wildes Tod verweist?

Mein Vater ist zu der Zeit gestorben, als ich das Drehbuch schrieb. Der Prozess des Sterbens hat mich sehr beschäftigt: Wie sich die Empfindungen eines Sterbenden verändern, wie das Gehirn zerbröselt, der Geist sich verändert, auch die Perspektive. Der Raum dehnt sich und schrumpft wieder zusammen. Das war eine Inspiration für den Film, in dem Wildes Sicht immer weiter mit seinen Erinnerungen zusammenschrumpft. Sein Verstand fällt dabei auseinander – und auch sein Herz. Auch Wildes Grab habe ich häufig besucht. Ich bin mit seinem Enkel Merlin Holland befreundet, in nächster Zeit wird er das Grab öffnen lassen, um nach dem Sarg zu sehen. Er hat mir versprochen, dass ich dabei sein darf, großartig!

Ihr Film handelt vor allem von der Liebe. „Love is everything“ heißt es darin…

Wilde hat meiner Meinung nach nie verstanden, was wahre Liebe ist. Dabei hatte er sie mit Robbie Ross längst gefunden. Ross liebte Wilde bedingungslos, genauso wie Wildes Frau. Auch diese Liebe hat er nicht gesehen, er war sehr grausam zu ihr, ohne es sich je einzugestehen.

Die Kamera ist stets sehr nahe an dem Schriftsteller, sie schildert das Geschehen aus seinem Blickwinkel. Wie nahe sind Sie ihm dabei selber gekommen?

Ich empfinde ihm gegenüber eine große Liebe, aber ich bin mehr ein Bourgeois als er. In seinen erfolgreichen Tagen ist Wilde fasziniert von der Halbwelt, er flirtet damit. Im Exil wird sie zu seiner Lebenswirklichkeit, Kriminelle und Stallburschen gehören auf einmal zu seinem Freundeskreis. Wilde ist eine selbstzerstörerische Person, er stürzt sich geradezu in den Ruin. Diese Besessenheit, mit der er untergeht, hat mich fasziniert und bewegt. Ich selber stoppe immer in der letzten Minute (lacht).

Wer hat Sie denn am Set gestoppt, Ihnen gesagt, wenn Sie etwas falsch machen?

Niemand, es war die reine Diktatur! Aber nach zehn Jahren kannte ich mein Projekt gut genug, das war mein Glück.

– In 7 Berliner Kinos. OmU: Delphi Lux, Filmtheater am Friedrichshain, Kino in der Kulturbrauerei, Neues Off, Xenon

Sarah Kugler

Zur Startseite