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Die zwischen 2001 und 10017 entstandene Foto-Serie „The Giant“ von Risk Hazekamp.

© Risk Hazekamp/SM

"Lesbisches Sehen" im Schwulen Museum: Tanz mit den Ahninnen

Das Schwule Museum Berlin versammelt in der Ausstellung „Lesbisches Sehen“ Werke von Künstler*innen aus sechs Generationen.

Ein kühner kühler Blick in die Weite. Den Körper leicht nach rechts gedreht, die Abendsonne im Gesicht. Drei Mal ist dieselbe schlanke Person auf Risk Hazekamps fotografischem Triptychon „The Giant Series“ zu sehen. Jedes Mal trägt sie eine helle Jeansjacke und eine dazu passende Hose. Jedes Mal steht sie in einer imposanten, amerikanisch anmutenden Landschaft. Die zwischen 2001 und 2017 entstandenen Motive wecken Assoziationen an Cowboyfilme, an Zigarettenwerbung – und sie regen dazu an, über die Identität des Models nachzudenken.

Ist hier eine Frau zu sehen, eine Butch, ein Trans-Mann oder vielleicht eine nicht binäre Person? Denkbar wäre auch, dass in den 16 Jahren eine Identitätsverschiebung stattfindet. Relativ klar scheint nur eins: Hundertprozentig heterosexuell und cisgender ist „The Giant“ wohl nicht. Und damit passt diese Porträtserie hervorragend in die Ausstellung „Lesbisches Sehen“, die gerade im Schwulen Museum läuft.

Renée Sintenis war schon in der ersten Schau vertreten

Der Titel ist dabei als eine „Kippfigur“ zu verstehen, wie es Birgit Bosold formuliert, zusammen mit Carina Klugbauer Kuratorin der Schau. Er beziehe sich sowohl auf das, was zu sehen ist – also etwa eine als lesbisch gelesene Frau auf einem Foto –, als auch auf eine Perspektive, die sich von dem vorherrschenden männlichen Blick, dem male gaze, unterscheide. Das bedeutet zunächst einmal, dass hier ausschließlich Werke von (queeren) Frauen, Lesben, Trans und Inter gezeigt werden: mehr als 30 Künstlerinnen aus sechs Generationen, die alle einen Bezug zu Berlin haben.

Noemi Yoko Molitors „Hulk rocks red“ entstand 2017.
Noemi Yoko Molitors „Hulk rocks red“ entstand 2017.

© Noemi Yoko Molitor/Schwules Museum

Eine der bekanntesten ist die Bildhauerin Renée Sintenis (1888–1965), Schöpferin des Berlinale-Bären und mit ihrer androgynen Erscheinung eine geradezu ideale Verkörperung des Typus „Neue Frau“ in der Weimarer Republik. Von ihr sind drei kleine Plastiken zu sehen, darunter ein Bronze-Selbstporträt von 1944/45. Es war bereits 1984 in der Ausstellung „Eldorado – Geschichte, Alltag und Kultur homosexueller Frauen und Männer 1850–1950“ im Berlin Museum zu sehen, die den Ausgangspunkt für die Gründung des Schwulen Museums bildete.

Nan Goldin, Tracy Emin und Valie Export auf Postkartengröße

Derzeit bemüht sich das Haus in der Lützowstraße mit einem „Jahr der Frauen“ um eine stärkere Repräsentanz weiblicher Positionen. „Lesbisches Sehen“ ist ein gutes Beispiel für die künstlerische Vielfalt und den Ideenreichtum der Berliner Szene. Das Spektrum reicht von trashigen Erotikkalender-Parodien über klassische Porträtfotografie, geheimnisvolle Fahrradschlauch-Kunstfell-Kabelbinder-Installationen bis hin zu Ölgemälden und Zeichnungen. Ein besonders schöner Beitrag kommt von der Malerin Martina Minette Dreier, die sich mit „My Ancestors“ eine eigene Ahninnen-Galerie geschaffen hat. Auf postkartengroßen Tusche-und Filzstift-Zeichnungen, die locker verstreut fast eine komplette Wand einnehmen, porträtiert sie Kolleginnen wie Nan Goldin, Tracy Emin, Valie Export oder Louise Bourgeoise.

Ein lesbische Paar tanzt durch die Zwanziger

Dazu könnte auch die 1885 im lothringischen Metz geborene Lou Albert-Lasard gehören, die Anfang der Zwanziger nach Berlin kam. Von ihr ist eine Lithografie aus ihrem „Montmartre“-Zyklus mit dem Titel „Lesbos“ zu sehen. Sie zeigt ein tanzendes Frauenpaar, das von einem weiteren Frauenpaar im Vordergrund sowie zwei Männern im Hintergrund beobachtet wird. Das Sujet und der schwungvolle Strich lassen an Jeanne Mammen denken, die in der Weimarer Republik eine ganze Reihe von Zeichnungen mit lesbischen Paaren geschaffen hat. Diese waren kürzlich in ihrer Retrospektive der Berlinischen Galerie zu sehen und konnten wegen der Lichtempfindlichkeit des Papiers nicht gleich wieder ausgestellt werden. Sie hätten perfekt zum Programm von „Lesbisches Sehen“ gepasst.

In der Berlinischen Galerie fehlte seltsamerweise in den ausführlichen Begleittexten jeder Hinweis auf die Orientierung der unverheirateten Künstlerin. Selbst wenn es nur Gerüchte und keine Selbstzeugnisse von ihr dazu gibt, hätte man zumindest erwähnen können, dass es Zweifel an ihrer Mehrheitszugehörigkeit gibt – was wiederum einen weiteren Blick auf ihr Werk eröffnet. Im Kontext des Schwulen Museums, das bei „Lesbisches Sehen“ ganz auf Texttafeln verzichtet, sind solche Erklärungen gar nicht nötig, auch weil man durch die offene Perspektive der Ausstellung stets mehrere Lesarten für möglich hält. Und so führt sie weg vom male gaze hin zu einem queeren Möglichkeitsraum.

Schwules Museum, Lützowstr. 73, bis 20. 8., So/Mo/Mi/Fr 14–18, Do 14–20, Sa 14–19 Uhr

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