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Die Hamburger Regisseurin Monika Treut.

© Thilo Rückeis

Monika Treut erhält den Teddy Award: „Das Publikum beschimpfte uns“

Filmemacherin Monika Treut ist eine Pionierin des queeren Films. Am Freitag bekommt sie auf der Berlinale den Special Teddy Award. Ein Gespräch über frühe Skandale, Taiwan und die Frauenquote.

Monika Treut, Sie haben 1985 gleich Ihren ersten Spielfilm „Verführung: Die grausame Frau“ im Forum gezeigt. Die Hauptfigur ist eine lesbische Domina, was damals sicher noch etwas Ungewöhnliches war. Wie war die Premiere im Delphi Kino?
Ziemlich wild. Das Kino war sehr voll, weil wir vorher schon einen kleinen Skandal gehabt hatten, der durch die Presse gegangen war. Die Filmförderung hatte unser Drehbuch abgelehnt. Es sei obszön und wir würden Toilettensprache benutzen, hieß es. Im Delphi standen die Leute dann sogar auf der Treppe, andere kamen nicht rein. Weil ständig Leute rausgegangen sind, die es schrecklich fanden, gab es einen lebhaften Austausch.

Wie verlief danach die Diskussion?
Das Publikum war wütend. Viele fanden den Film furchtbar, warfen uns Werbeästhetik vor. Forums-Leiter Ulrich Gregor wurde dafür kritisiert, uns überhaupt eingeladen zu haben. Das Team und ich hielten dagegen, bis Gregor zu mir sagte, ich solle aufhören, das Publikum zu beschimpfen. Dabei beschimpfte das Publikum ja uns! Anschließend wurden wir aber auf viele internationale Festivals eingeladen.

Mit der „Jungfrauenmaschine“, in der eine deutsche Journalistin die Queer- Szene von San Francisco entdeckt, lief es 1988 wieder ähnlich.
Heinz Badewitz hatte uns zu den Hofer Filmtagen eingeladen. Er mochte den Film sehr und setzte ihn auf den prominentesten Platz: Samstagabend, 20 Uhr, im großen Kino. Ich habe ihn gewarnt und vorgeschlagen, den Film lieber um 23 Uhr im kleinen Kino zu zeigen. Aber das wollte er nicht, und so nahm das Unheil seinen Lauf: Ganze Reihen gingen fluchend raus, knallten die Türen. Anfangs saßen sogar Leute auf der Erde, am Ende war nur noch ein Fünftel des Publikums da. Es war einfach nicht der richtige Film für dieses Festival und für diese Zeit.

Hat diese Ablehnung Ihrer ersten Arbeiten auch dazu beigetragen, dass Sie in die USA gegangen sind?
Ja, ich war hier nicht glücklich. Durch die schlechten Reaktionen in Hof habe ich den Verleih für die „Jungfrauenmaschine“ verloren, der vorher zugesagt hatte. Beim Versuch, ihn selber zu verleihen, sagten die Kinobetreibern am Telefon immer nur: Was, dieser schreckliche Film? Auf keinen Fall zeigen wir den! In den USA hingegen gab es mehrere Interessenten, ich konnte mir den besten Verleih aussuchen. So dachte ich mir: Vielleicht sollte ich dahin gehen, wo man den Film mag, und zog nach New York.

Sie haben mit sexpositiven Aktivistinnen und Darstellerinnen wie Susie Bright und Annie Sprinkle zusammengearbeitet, die in Ihren Filmen sehr witzig rüberkommen. Waren die Deutschen Ende der 80er, Anfang der 90er noch nicht bereit für diese Mischung von Sex und Humor?
Ja, diese Kombination – noch dazu mit dem lesbischen Element – hat viele verstört. Wenn ich meine Filme als Leidensgeschichten inszeniert hätte, hätte das Publikum vielleicht mitfühlend reagiert. Aber so war eine Stufe übersprungen. Die Frauen hatten einfach zu viel Spaß – und das ganz ohne Männer. Da fragten sich die Leute: Was ist mit denen los, fehlt denen nichts?

Seit es das Panorama gibt, liefen Ihre Filme meist dort, die Aufregung legte sich. Wie sehen Sie die Rolle des Panorama und des Teddy für den queeren Film?
Sie sind sehr wichtig. Ich habe das am Anfang gar nicht so begriffen, aber gerade in der Rückschau wird es doch deutlich. Die Berlinale ist schließlich ein A-Festival mit einer gewissen Außenwirkung. Das Panorama kommt gleich nach dem Wettbewerb und genießt international hohe Aufmerksamkeit. Weil der Teddy dort prominent verankert war, hat er dazu beigetragen, das Genre des queeren Films international zu fördern.

Ein Thema, das schon früh in Ihren Filmen auftaucht, ist Transsexualität. Mit „Gendernauts“ haben Sie 1999 eine Art Standardwerk dazu geschaffen, das Ihnen auch den Teddy Award einbrachte. Wie kamen Sie auf das Thema?
Das lag an New York. Ich war ja mit Annie Sprinkle befreundet, die in ihrer Wohnung einmal im Monat einen Salon veranstaltete, zu dem sie trans Männer und deren Unterstützerinnen einlud. Und weil ich damals, 1989, selber noch keine kannte, nahm ich ihre Einladung an, einmal vorbeizuschauen. Es war verblüffend, all diese muskulösen, bärtigen Wesen zu sehen, von denen ich wusste, dass sie keine biologischen Männer waren.

Und die haben Sie dann befragt.
Ich ließ mir erzählen, wie und warum sie das machten, wie Testosteron wirkt usw. Etwa zur selben Zeit begann auch eine Freundin aus San Francisco mit der Transition. Aus Anita wurde Max. Ich lud ihn nach New York ein und machte ein Filmporträt von ihm. Ich fand das alles auch deshalb so spannend, weil ich selber kurz mit dem Gedanken gespielt hatte. Als Frau ist es in dem Geschäft doppelt schwer, als Mann hätte ich wenigstens Zugang zur Bruderhorde gehabt.

Offener Sexismus ist weitgehend verschwunden.

Monika Treut

Aber da gehört ja doch noch ein bisschen mehr dazu ...
Sicher. Der Leidensdruck war bei mir nicht so hoch. Außerdem wusste ich, was es bedeutet: das Testosteron, die Operationen. Man muss sich komplett darauf konzentrieren. Das wäre mir zu selbstbezogen und langweilig geworden. Aber das Thema hat mich sehr berührt, auch weil ich als Kind ein Tomboy war und in der Pubertät keine Frau werden wollte.

Trans-Themen kommen langsam im Mainstream an. Im Wettbewerb läuft „Una mujer fantástica“ mit einer trans Frau in der Hauptrolle. Ist das ein Zeichen dafür, dass die Trans-Emanzipation aufholt?
Auf einer oberflächlichen Ebene kann man das so sehen. Es ist mehr Information im Umlauf. Zumindest gebildete Schichten wissen etwas darüber, finden es teilweise sogar interessant. Doch wie tief das geht, ist schwer zu sagen. In den USA wollen Trump und Pence die Trans-Rechte ja gerade wieder einschränken.

Ina Blum und Shelly Mars in "Die Jungfrauenmaschine".
Ina Blum und Shelly Mars in "Die Jungfrauenmaschine".

© Edition Salzgeber

Sie haben oft trans Männer porträtiert, zurzeit liegt der generelle Fokus eher auf trans Frauen. Wie erklären Sie sich das?
Die trans Frauen sind extrovertierter und schon länger im Unterhaltungsgewerbe präsent. Durch Drag Queens, früher Transvestiten, ist der Mann, der sich in eine flamboyante Frau verwandelt, ja zu einem regelrechten Topos geworden. Es gibt eine kulturelle Verankerung. Natürlich gab es schon immer changierende, androgyne Frauenfiguren, aber trans Männer sind noch ein relativ neues Phänomen.

In den nuller Jahren haben Sie drei Dokumentar- und einen Spielfilm in Taiwan gedreht. Wie kam es zu diesen Ausflügen?
Das Frauenfilmfestival von Taipeh hatte mich 2002 eingeladen, weil sie eine Retro von mir zeigten. Dort gab es nach den Vorführungen immer lange Publikumsgespräche, unter einer Stunde kam ich nie raus. Diese Intensität hat mich total umgehauen. Anschließend bin ich drei Tage im Land rumgefahren. Am Ende fragte mich der dortige öffentlich-rechtliche TV-Sender, der von Frauen geleitet wurde, ob ich nicht mal eine Dokumentation drehen will. Sie würden die finanzieren, das Thema könne ich frei wählen. Das ist mir beim NDR noch nie passiert!

Sie haben natürlich angenommen.
Ja, so entstand „Den Tigerfrauen wachsen Flügel“, in dem ich drei taiwanesische Frauen aus verschiedenen Generationen porträtiert habe. Daraus hat sich dann eine Beziehung zu dem Land entwickelt. Leider war ich dort nicht mehr so gut gelitten, nachdem die Pro-China-Regierung an die Macht kam. Zum Glück sind jetzt wieder offenere Politiker an der Macht. Es gibt eine Präsidentin und eine transsexuelle Ministerin für Kommunikation. Taiwan ist erstaunlich weit vorn, wenn es um liberale, humanistische Politik geht.

Einen Taiwan-Einblick gibt dieses Jahr die Panorama-Doku „Small Talk“, die Annäherung einer Regisseurin an ihre lesbische Mutter. Wie haben Sie die Situation queerer Menschen dort erlebt?
Weil es sehr konfuzianisch geprägt ist, steht die Kontinuität der Generationen im Vordergrund – auch Lesben und Schwulen ist das wichtig. Deshalb wird wenig darüber gesprochen. Selbst in liberalen Familien wird behauptet, dass die lesbische Tochter nur mit einer alten Studienfreundin zusammenlebt, aber eben nicht mit ihrer Geliebten. Es bleibt immer die stille Hoffnung, dass sich etwas ändert und irgendwann Enkelkinder kommen.

Sie sind Mitglied bei der Initiative Pro Quote, die auch wieder auf dem Festival präsent ist. Haben Sie das Gefühl, das Engagement der Gruppe bewirkt etwas?
Ich finde schon. Anfangs haben einige Herren in der Branche ja etwas konsterniert reagiert, doch inzwischen wandelt sich das Bewusstsein. Vor allem als die Zahlen vorgelegt wurden, schluckten doch viele. Schließlich stellen Frauen fast die Hälfte der Filmhochschul-Absolvent*innen, aber bei den Fördermitteln und TV-Aufträgen sind sie immer noch stark unterrepräsentiert. Wir sollten uns ein Beispiel an Schweden nehmen: Da geht fast die Hälfte der öffentlichen Filmfördergelder an Frauen.

Hat sich der Umgang zwischen Männern und Frauen in der Filmbranche seit den Achtzigern verbessert?
Offener Sexismus ist weitgehend verschwunden. Vielleicht denken manche Männer immer noch so, aber sie trauen sich nicht mehr, es auszusprechen. Beim Filmbüro Hamburg, das meine Produktionen förderte, hatte ich damals größtenteils mit gestandenen älteren Männern zu tun, die mich entweder völlig ignorierten oder mir einen kumpeligen Sohnesstatus anboten. Dazwischen gab es nichts. Allerdings hat es mich auch angestachelt, weil ich immer dachte: Das kann doch nicht wahr sein! Inzwischen hat sich trotz gelegentlicher Ausreißer vieles gebessert.

Teddy-Preisverleihung, 17.2., 21 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

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